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Lokaljournalismus
Karriere in Rinteln

Ein eher ungewöhnlicher Berufsweg: Jakob Gokl zog von Wien ins niedersächsische Rinteln, um dort Journalist zu werden. Mit erst 27 Jahren arbeitet er nun als stellvertretender Chefredakteur.

Von Michael Borgers | 19.09.2017
    Porträt Jakob Gokl, stellvertretender Chefredakteur der Schaumburger Zeitung
    Mit 27 schon stellvertretender Chefredakteur: Jakob Gokl (Deutschlandradio / Michael Borgers)
    "Jetzt geht’s wieder los."
    Jakob Gokl ist froh, in sein Auto zu steigen, endlich wieder unterwegs zu sein. Denn genau das war er zuletzt nur noch selten. Anfang des Jahres wurde Gokl zum stellvertretenden Chefredakteur der Schaumburger Zeitung und der Schaumburg-Lippischen Landes-Zeitung ernannt. Eine Aufgabe, die er nicht gewollt, auf die er aber dennoch hingearbeitet habe.
    "Weil ich festgestellt habe, dass es Probleme gab, wo ich meinte, die müssten gelöst werden."
    Gokl spricht von "fehlenden Organisationsformen", von "Reibungsverlusten" und Arbeitsabläufen, die "optimiert" werden mussten. Dass der Österreicher erst 27 Jahre alt ist, vergisst man schnell, wenn man ihn so über seine Arbeit und Motive reden hört:
    "Ich halte es für eine wahnsinnig wichtige Aufgabe, den Kollegen den Rücken freizuhalten, ihnen die Möglichkeit zu geben, guten Journalismus zu machen."
    Für Gokl bedeutet das vor allem: kritischer und tiefgründiger Journalismus. Selbst recherchierte er früh darüber, wie sich selbsternannte "Germaniten" in Rinteln ansiedelten, Anhänger der rechtsextremen Reichsbürger-Bewegung. Oder er berichtete über Betrugsvorwürfe gegen den lokalen Verband des Deutsche Roten Kreuzes.
    "Und gäbe es hier keine Lokalzeitung - es wäre keine andere Zeitung nach Rinteln gekommen und hätte sich den kleinen Kreisverband angesehen. Für die Menschen hier vor Ort ist es essentiell, dass ihre Großschadensvorsorge funktioniert."
    Der Blick von außen
    Dass er selbst keiner von vor Ort ist, sieht er als Vorteil: Gokl zog erst vor fünf Jahren von Wien in die Kleinstadt im Weserbergland, wurde Praktikant, Volontär und Redakteur. Musste sich Netzwerke komplett neu aufbauen.
    "Ich bin hier mit niemandem in der Schule gesessen, ich duze mich mit keinem Bürgermeister oder bin da mit irgendwem im Schwimmverein gewesen."
    Beim Termin, zu dem Gokl an diesem Tag unterwegs ist, geht es um ein Freibad, das seit Jahren defizitär ist. Eine Geschichte über ehrenamtliche Politiker, die offenbar versuchten, Verluste zu verschleiern und hinter verschlossenen Türen nach Lösungen suchten – und so die Probleme lange Zeit unter der Decke halten konnten:
    "Und dann entstand auch die perverse Situation, dass die Leute wütend auf die Zeitung wurden, weil die Zeitung kritisch begonnen hat, über dieses Bad zu berichten. Weil die Leute gedacht haben: Ihr schreibt uns unser Bad kaputt."
    Wichtiges Lokalthema: das Freibad
    Gokl ist mit dem Schaumburger Landrat verabredet. Er will von dem Politiker wissen, wie es weitergeht in der Sache. Plant ein Interview mit ihm für die morgige Ausgabe. Auf dem Flur begrüßt ein Sprecher den Journalisten.
    "Herr Heimann, Guten Tag." "Hallo Herr Gokl."
    Das anschließende Gespräch mit den beiden Behördenvertretern dauert mehr als eine Stunde. Mit dem Ergebnis ist Gokl dennoch nicht zufrieden.
    "Das ist leider ein bisschen das Politikersyndrom, dass man natürlich gerne über die Grundsatzdinge redet, weil die sind schön und angenehm. Und die ganz konkreten Sachen: Da muss man noch mal nachsehen."
    Das Thema soll dennoch in die Zeitung. Dann halt als offener Brief des stellvertretenden Chefredakteurs darüber, warum man über das Freibad und seine Probleme berichtet.
    "Das ist auch eine Aufgabe von Lokaljournalismus, dass wir den Leuten die Probleme vor Augen führen müssen: nämlich, dass die Gefahr real besteht, dass dieses Freibad geschlossen wird.."
    Gokl macht sich wieder auf den Weg. Zurück an den Schreibtisch seiner altehrwürdigen Zeitungsredaktion, der sechsältesten deutschen, in der auch schon der ehemalige Spiegel-Chefredakteur Georg Mascolo sein Handwerk lernte. Wie lange Gokl noch in Rinteln arbeiten wird? Noch fühle er sich sehr wohl. Nur eines weiß er sicher: Die 60-Stunden-Wochen der vergangenen Monate will er nicht auf Dauer haben. Das sei nicht gut für die Familie, sagt der junge Vater. Und er weiß, wovon er spricht: Sein eigener ist ebenfalls Journalist.