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Lokführer-Streiks
"Millionen in Haftung genommen"

Der stellvertretende Unionsvorsitzende Armin Laschet übt heftige Kritik am GDL-Streik: Dieser verstoße "gegen alle Regeln der Verhältnismäßigkeit", sagte der NRW-CDU-Chef im DLF. In den kommenden Wochen erwartet er einen Gesetzesvorschlag zur Tarifeinheit.

Armin Laschet im Gespräch mit Dirk Müller | 20.10.2014
    Der Vorsitzende der CDU in Nordrhein-Westfalen, Armin Laschet.
    CDU-Parteivize Armin Laschet (dpa/Martin Gerten)
    Die Gewerkschaft Deutscher Lokomotivführer habe mit ihrem Ausstand am letzten Ferienwochenende bewusst viele Menschen getroffen - und das nur wegen Organisationsfragen zweier kleiner Gewerkschaften. Obwohl Angebote der Bahn auf dem Tisch gelegen hätten, habe die GDL Grundsatzfragen klären wollen. Dafür Millionen Menschen in Haftung zu nehmen, sei unverantwortlich.
    Ändern werde man das aber kaum können, sagte Lascht und bezog sich damit auf das von der Bundesregierung geplante Gesetz zur Tarifeinheit. Mit diesem Gesetz wolle man verhindern, dass viele kleine Gewerkschaften das Land lahmlegten - andererseits sei dies verfassungsrechtlich nicht einfach auszugestalten, da auch kleinere Gewerkschaften ihr Betätigungsrecht behalten müssten. Die Gewerkschaften müssten aber auch das Gemeinwohl im Blick haben. Laschet erwartet in den kommenden Wochen einen Gesetzesvorschlag der Bundesregierung.
    Der NRW-Oppositionsführer äußerte sich auch zum geplanten Flüchtlingsgipfel in Nordrhein-Westfalen. Er begrüßte den Termin - warf der Landesregierung aber auch Versäumnisse vor: Es hätten die Standards gefehlt, niemand habe genau hingeschaut oder hingehört, was die Kommunen zu sagen hätten. Diese müssten vor allem finanziell entlastet werden. Da der Haushalt viele Milliarden Euro umfasse, sei das Geld dafür auch aufzutreiben. "Menschenwürdige Unterkunft für Flüchtlinge ist ein Minimalstandard, den wir erfüllen müssen", so Laschet.

    Das Interview in voller Länge:
    Dirk Müller: Es sind doch noch irgendwie und wo auch immer einige Züge gefahren an diesem Chaoswochenende in Deutschland. Notfallpläne der Notfallpläne haben ein bisschen Verkehr dann doch ermöglicht. Viele Pendler, Geschäftsleute und Reisende haben jetzt in der Früh bereits durchgeatmet. Seit ein paar Stunden ist der Arbeitskampf der GDL vorbei, zumindest vorübergehend. Also die nächsten paar Tage wieder ganz normal zur Arbeit kommen oder gar in den Urlaub? - Zu früh gefreut, viel zu früh, denn jetzt legen die Lufthansa-Piloten nach. Die Gewerkschaft Cockpit macht einen erneuten Arbeitskampf. Ab 13 Uhr sind Kurz- und Mittelstreckenflüge betroffen in unterschiedlichen Stufen. Nach zunächst wenig Verständnis für die Streiks der Lokführer und auch der Piloten mündet das Ganze jetzt in der Öffentlichkeit bei vielen Betroffenen in Ärger, in Wut und auch in Aggression. Warum erpressen die uns alle, lautet eine gängige Reaktion. Besonders in Ungnade gefallen dabei offenbar GDL-Chef Claus Weselsky. Und was macht die Politik? Auch eine Frage. Dafür ist bei uns jetzt Armin Laschet zuständig, stellvertretender Parteichef der Bundes-CDU und Fraktionschef seiner Partei in Nordrhein-Westfalen. Wir erreichen ihn in Aachen. Guten Morgen!
    Armin Laschet: Guten Morgen.
    Müller: Herr Laschet, haben wir es bei der GDL, beim GDL-Chef in Wahrheit mit Napoleon zu tun?
    Laschet: Na das glaube ich nun nicht, dass man dies so vergleichen kann. Aber das, was wir am Wochenende erlebt haben, verstößt schon gegen alle Regeln der Verhältnismäßigkeit. Das Streikrecht ist ein altes Recht, das im Tarifstreit zwischen Arbeitnehmern und Arbeitgebern vorgesehen war, das man verhältnismäßig einsetzen sollte. Aber mein Eindruck war: Dies genau an diesem letzten Ferienwochenende zu machen, bewusst viele Millionen Menschen damit zu treffen, lediglich um einen Streit zu führen zwischen Organisationsformen unterschiedlicher kleinerer Gewerkschaften, das hat aus meiner Sicht mit Verhältnismäßigkeit nicht mehr viel zu tun.
    Müller: Jetzt sagt ja Claus Weselsky, es geht nicht nur darum, es geht auch ums Geld, wir haben über Jahrzehnte, vor allen Dingen auch in den letzten Jahren verhältnismäßig zu wenig Geld bekommen.
    Laschet: Ja, das mag ja sein. Aber da lagen Angebote auf dem Tisch. Dann muss man erst einmal reden. Aber man wollte Grundsatzfragen klären, und wenn man zwischen zwei Partnern, zwischen zwei Menschen, die verhandeln, erst Grundsatzfragen klären will und dafür Millionen Menschen in Haftung nimmt, dann finde ich das einfach unverantwortlich. Man hätte über die Angebote, die die Bahn ja mehrfach vorgelegt hat, sprechen sollen. Wenn das dann gescheitert wäre, hätte man immer noch streiken können. Aber das war nach meinem Gefühl unverhältnismäßig. Nur wir sind als Politik da nicht Agierende. Wir ärgern uns genauso wie viele Menschen im Lande. Und ändern wird man das auch nicht können.
    "Brauchen wir nicht eine Vielfalt an Gewerkschaften?"
    Müller: Um das noch mal festzuhalten: Ansonsten würden Sie sich ja immer damit zurückhalten wie in der Vergangenheit, Tarifkonflikte, Tarifauseinandersetzungen während dieser Auseinandersetzung zu kommentieren, zu analysieren, einzuordnen. Aber jetzt ist Ihnen offenbar auch ein bisschen der Kragen geplatzt?
    Laschet: Ja! In der Tat sind Tarifauseinandersetzungen ja ein Bestandteil unserer Verfassung. Da sollte sich die Politik auch heraushalten. Aber es gibt zunehmend natürlich eine Diskussion darüber: Brauchen wir eigentlich eine Tarifeinheit? So haben wir das im Koalitionsvertrag genannt. Damit soll verhindert werden, dass in einem Tätigkeitsbereich, wie jetzt hier im Bereich der Deutschen Bahn, viele, viele, viele kleine Einzelgewerkschaften jeweils streiken und dadurch das Land lahmlegen könnten. Das ist allerdings verfassungsrechtlich nicht ganz so einfach und es gibt in anderen Bereichen auch die Frage, brauchen wir nicht auch eine gewisse Vielfalt bei Gewerkschaften. Wir haben zum Beispiel bei den Ärzten den Marburger Bund, da sind viele Klinikärzte angestellt, und wir haben dann die DGB-Gewerkschaften, und da sagen natürlich manche, ja wenn immer nur der Größere am Ende verhandeln darf, dann werden wir quasi überflüssig. Also eine recht komplizierte verfassungsrechtliche Lage. Da ist die Politik gefordert, aber nicht bei jedem Einzelstreik.
    Müller: Aber Sie wollen ja jetzt diese Einheitsgewerkschaften. Dieses Wort ist ja umstritten. Aber die Politik in Berlin versucht ja, nun zu vereinheitlichen, auf einen Nenner zu bringen und diese Vielfalt kaputt zu machen.
    Laschet: Nein, so einfach ist das nicht. Es soll genau das verhindert werden, dass viele, viele kleine das Land lahmlegen sollen. Aber das Ganze muss verfassungskonform ausgestaltet werden. Das heißt, es muss auch für kleinere Organisationsformen ihr Betätigungsrecht in Zukunft erhalten bleiben, und wie das geht, das ist noch nicht genau geklärt. Daran arbeitet die Bundesarbeitsministerin. Und ich denke, dass wir vielleicht schon in den nächsten Wochen einen Vorschlag sehen werden.
    Müller: Sie können uns garantieren, dass der Pluralismus, die Wahlfreiheit, die Koalitionsfreiheit darunter nicht leidet?
    Laschet: Ich kann Ihnen garantieren, dass das, was in der Verfassung vorgesehen ist, auf jeden Fall eingehalten werden muss, und wie man das macht, da würde ich erst einmal den Vorschlag abwarten.
    Müller: Ganz klar ein Plädoyer gegen die Machtpolitik, die Interessenpolitik der Einzelgewerkschaften?
    Laschet: Das Schwierige ist, dass Sie das nicht so pauschal beantworten können. Das was am Wochenende stattgefunden hat, war unverhältnismäßig. Andere Streiks von Einzelgewerkschaften können durchaus berechtigt sein. Deshalb kann man es immer nur am Einzelfall entscheiden und wir brauchen ein Gesetz, das auf möglichst viele Einzelfälle gut passt.
    Müller: Aber ist das realistisch? Sie sagen, ein Einzelfallgesetz.
    Laschet: Nicht ein Einzelfallgesetz!
    "Wirtschaftlicher Schaden ist auch ein Argument"
    Müller: Sie sagen, das muss immer wieder neu entschieden werden, man muss die Situation, die Verhältnismäßigkeit, Ihr Thema, Ihre Forderung, hier neu überprüfen. Wie kann man das denn vom Gesetzgeber regeln?
    Laschet: Nein, das kann man nicht regeln. Das ist ja nur eine politische Einschätzung zu dem, was am Wochenende stattgefunden hat. Das ist nicht justiziabel. Sie können jetzt nicht der Gewerkschaft der Lokführer sagen, das war aber unverhältnismäßig, also werden wir das jetzt so und so sanktionieren. Das ist eine politische Bewertung und die sollte man auch nicht allzu oft machen. Nur an diesem Wochenende mit den Argumenten, die wir gehört haben, erschien mir das unverhältnismäßig. Ich glaube, wir sollten insgesamt in Deutschland wieder zu einer Debatte kommen, auch bei den Gewerkschaften, die da streiken, die das Gesamtwohl, das Gemeinwohl auch im Blick haben, und was uns gerade in diesen Wochen dadurch an wirtschaftlichem Schaden entsteht, ist auch ein Argument, das Gewerkschaften mit berücksichtigen sollten.
    Müller: Wie groß ist denn die Gefahr, Armin Laschet, wenn das Gesetz auf den Weg gebracht wird, dass im Gegensatz zu der Autonomie der Einzelgewerkschaften dann große, ganz große Gewerkschaften bestehen, wie beispielsweise Verdi, wo man immer das Gefühl hat, die Hälfte der Republik ist da organisiert?
    Laschet: Ja, das ist eben das, was nicht unbedingt beabsichtigt ist, und deshalb habe ich ja eben gesagt, das Gesetz muss klug formuliert sein, und da ist man dran. Wenn das so einfach wäre, wäre es ja längst fertig.
    Flüchtlinge: "Kommunen die Möglichkeiten zur Unterbringung geben"
    Müller: Machen wir eine Zäsur an diesem Punkt. Deutschlandfunk, 8:19 Uhr. - Flüchtlingsgipfel in Düsseldorf, unser ursprüngliches Thema, als wir uns verabredet haben für dieses Interview, auf Einladung von Ministerpräsidentin Hannelore Kraft (SPD) nach den Misshandlungen von Flüchtlingen in gleich mehreren Unterkünften in Nordrhein-Westfalen durch das Wachpersonal, unter anderem in Burbach, in Essen. Was wollen Sie besser machen?
    Laschet: Es ist gut, dass jetzt dieser Gipfel stattfindet. Nachdem auch der Ministerpräsident Kretschmann in Baden-Württemberg ja bereits in der letzten Woche mit allen Beteiligten, mit den Wohlfahrtsverbänden, den Kirchen, den Kommunen gemeinsam überlegt hat, wie kann man die Lage verbessern, machen wir das jetzt auch in Nordrhein-Westfalen. Wir haben das Problem gehabt, dass es keine klaren Standards gab, dass niemand genau hingeschaut hat, was ist eigentlich in den Unterkünften geschehen, und dass man nicht zugehört hat, was die Kommunen an Problemen schildern, und deshalb ist es heute erforderlich, beispielsweise die Kommunen in der Erstattung ihrer Kosten zu entlasten. Sie haben heute eine Situation, dass in Bayern und Mecklenburg-Vorpommern 100 Prozent der Kosten vom Land erstattet werden, in Nordrhein-Westfalen nur 20 bis 25 Prozent, und das schaffen die Kommunen nicht. Und wenn man Flüchtlinge menschengerecht unterbringen will, heißt das auch, dass man den Kommunen dazu die Möglichkeit geben muss.
    Müller: Dann freut sich Hannelore Kraft schon auf Ihre Vorschläge, woher sie das Geld nehmen soll.
    Laschet: Ja. Als Erstes freut sie sich bestimmt auf unsere weiteren Vorschläge.
    Müller: Sagen Sie uns erst mal das mit dem Geld. Wir bleiben jetzt bei dem Punkt. Mehr Geld für die Kommunen, woher nehmen?
    Laschet: Ja. Das Land hat einen Etat von vielen, vielen Milliarden Euro. Es gibt Geld für viele, viele unsinnige Projekte. Und ich finde, die menschenwürdige Unterbringung von Flüchtlingen, die zu uns kommen, ist ein Minimalstandard, den wir zu erfüllen haben. Ich bin sicher, in diesem Landeshaushalt finden Sie Möglichkeiten, das zu realisieren.
    Müller: Jetzt wird ja Einigen, Herr Laschet, in dem Zusammenhang einfallen, dass es seit Tagen heftige Auseinandersetzungen gibt um zwei Warhol-Bilder, die verkauft werden sollen. 100 Millionen Euro, das wäre doch was. Damit wäre vielen Flüchtlingen geholfen.
    Laschet: Daran sehen Sie jedenfalls in der Dimension, dass mit den zwei Bildern über 100 Millionen Euro reinkommen können, welche Spielräume es in einem Landeshaushalt gibt. Das ist allerdings eine davon zu trennende Frage, die von einer Spiel-AG da versteigert werden. Darüber gibt es einen kulturpolitischen Streit. Aber um zum Kern der Sache ...
    Müller: Sagen Sie uns schnell: Sind Sie für den Verkauf der Bilder?
    Laschet: Ich bin dafür, dass in Zukunft genau hingeschaut wird, dass nicht Kulturgut des Landes aus Museen aus Kassenlage verkauft werden kann. In diesem einen Vorgang sind die Bilder im Besitz einer Spielbank gewesen, die in Tresoren lagen, und das ist wohl jetzt nicht mehr zurückzuholen, wenn man die Experten hört.
    "Brauchen eine Ombudsstelle, die alles koordiniert"
    Müller: Aber dann hätten wir 100 Millionen, die wir gut investieren können.
    Laschet: Ja. Aber Sie finden an vielen, vielen anderen Stellen eines Landeshaushalts, wo unsinniges Geld ausgegeben wird, das Geld, das man braucht, um eine menschenwürdige Unterkunft sicherzustellen.
    Müller: Kontrolle, ein wichtiges Thema. Wie wollen Sie wen kontrollieren?
    Laschet: Da haben wir ein gutes Beispiel im Freistaat Sachsen. Der Freistaat Sachsen hat 2010 einen Heim-TÜV eingeführt für alle Flüchtlingsunterkünfte im Lande. Da hat man auch dann immer wieder Kontrollen gemacht, hat genaue Regeln gemacht, die man eingehalten hat, hat dann sogar Einrichtungen geschlossen, wenn sie den Regeln nicht entsprochen haben. So etwas brauchen wir auch für Nordrhein-Westfalen, also klare Regeln und Überprüfung der Regeln. Und wir haben darüber hinaus vorgeschlagen, einen Ombudsmann oder eine Ombudsfrau zu berufen, die in der Staatskanzlei angesiedelt ist und die auch die Arbeit der Landesregierung da koordiniert. Wir haben die merkwürdige Situation: Der Bund hat so was. Der hat eine Bundesbeauftragte für Migration, Flüchtlinge und Integration, eine Staatsministerin, die bei der Bundeskanzlerin sitzt. In Nordrhein-Westfalen haben Sie einen Innenminister, von dem wir ja in den letzten Wochen viel gehört haben, und einen Integrationsminister dem Namen nach, der aber mit dem Thema Flüchtlinge sich überhaupt nicht beschäftigt, weil das nicht in die Integrationszuständigkeit fällt. Deshalb brauchen wir unbedingt eine solche Ombudsstelle, die das alles koordiniert.
    "Ein ganz spezielles nordrhein-westfälisches Problem"
    Müller: Wenn wir auf die Entwicklung der jüngsten Wochen, der vergangenen Wochen blicken - Sie haben gerade auch die Landesregierung kritisiert -, die Frage an Sie, Herr Laschet: Sie sind da immer offen. Haben alle das Problem ein bisschen unterschätzt beziehungsweise gar nicht wahrgenommen, weil man nicht gedacht hat, dass da ein Problem entsteht?
    Laschet: Nein, das glaube ich nicht. Ich glaube, dass in 15 deutschen Bundesländern das wesentlich konzentrierter bearbeitet worden ist. Ich habe das Beispiel Freistaat Sachsen ja gerade genannt, die seit vier Jahren einen Heim-TÜV hatten. Andere Bundesländer, die auch die Kommunen besser ausgestattet haben. Mein Gefühl ist, dass das schon ein ganz spezielles nordrhein-westfälisches Problem in den letzten Wochen war. Aber umso wichtiger, dass heute auf dem Flüchtlingsgipfel Nordrhein-Westfalen an die guten Traditionen anknüpft, die es mal hatte.
    Müller: Bei uns heute Morgen im Deutschlandfunk der stellvertretende Parteichef der CDU, Armin Laschet. Danke für das Gespräch, auf Wiederhören nach Aachen.
    Laschet: Bitte schön.
    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Der Deutschlandfunk macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.