Die Tradition vom armen Philosophen

Ein kluger Denker mit Lamborghini - unmöglich!

Carl Spitzwegs bekanntestes Kunstwerk "Der arme Poet" war 2012/13 in der Staatsgalerie in Stuttgart zu sehen.
Carl Spitzwegs bekanntestes Kunstwerk "Der arme Poet" - Inbild des ideallistischen Denkers, der in Armut lebt. © dpa / picture alliance / Jan-Philipp Strobel
von Wolfgang Buschlinger  · 28.03.2018
Wenn Gedanken zu Geld gemacht werden, stinken sie - denn in der deutschen Philosophie-Tradition ist finanzieller Erfolg verpönt. Es gilt so etwas wie das Reinheitsgebot des Geistes. Zu Unrecht und warum eigentlich?
Der schnöde Mammon interessiert den hehren Geist nicht und darf ihn auch nicht interessieren. Oder könnte man sich das Umgekehrte wirklich vorstellen? Den klugen Denker mit großen Gedanken und noch größerem Charisma, wie er vor seinem Haus am Swimmingpool steht, lässig mit dem Schlüssel wedelt, um dann in seinem Lamborghini einen auf dicke Hose zu machen? Eher doch wohl nicht. Nein. Der echte Denker lebt spartanisch. Basta. Wie der arme Poet in dem Gemälde Spitzwegs, der in seiner kargen Mansarde das Bett mit einem Regenschirm vor der eindringenden Nässe schützt. Reich ist er nicht. Dafür aber Poet. Und das ist Kompensation genug.

Eigeninteresse entwertet, was du sagst

Der arme Poet ist das Inbild einer deutschen Bildungsreligion, von der das Bürgertum im 19. Jahrhundert ergriffen wurde und immer noch ergriffen ist. Im Zentrum dieser Religion steht das Reinheitsgebot des Geistes. Das Gebot lautet: Wenn du etwas Wahres klar sagen willst, dann darf sich darin kein Körnchen Eigeninteresse befinden. Denn das Eigeninteresse trübt den Blick und entwertet damit das, was du sagst.
Dieses Reinheitsgebot betrifft Wissenschaftlerinnen, Philosophen, Poeten, Moralistinnen und Politiker gleichermaßen. Das erste große historische Vorbild dafür ist Sokrates, wie er unbeschuht und gedankenverlorenen auf dem Markplatz von Athen die Jugend kostenfrei zu wahren philosophischen Gedanken anregt und zum Dank dafür den Schierlingsbecher trinken darf.
Das zweite Vorbild ist Immanuel Kant, für den eine Handlung nur dann moralisch gut ist, wenn sie allein aus Pflicht geschieht. Jedwede Neigung und erst recht jedwedes Eigeninteresse entwerten die Tat. Nebenbei hat Kant – so jedenfalls die verklärende Mär – sein Leben so gelebt, wie es sich für einen Denker gehört. Bescheiden, strikt nach der Uhr arbeitend, und Königsberg hat er auch nie verlassen. Wozu auch?

Geld macht die Gedanken stinken

Nun ist Kant lange tot und das 19. Jahrhundert auch schon vorbei. Das macht aber nichts für das Reinheitsgebot heute. Denn das Reinheitsgebot gilt immer noch. Es schlägt sich in der Ansicht nieder, dass höchstens der ein großer Philosoph sein kann, dem Geld gleichgültig ist.
Womit wir beim dritten großen Vorbild wären, Diogenes, dem Mann aus der Tonne, der sich vom großen Alexander nur das eine wünscht, nämlich dass dieser ihm aus der Sonne gehe. Diogenes’ Bedürfnislosigkeit impliziert für die große Philosophin oder den großen Poeten heute: nicht erfolgreich sein zu dürfen, schon gar nicht in einem pekuniären Sinne. Geld stinkt vielleicht nicht, aber, so jedenfalls die Meinung, es macht die Gedanken stinkend, mit denen es verdient wurde. Das war auch schon bei den Sophisten so, den vierten, diesmal aber schlechten historischen Vorbildern.

Aber gibt es Wahrheit nur, wenn sie nichts einbringt?

Ist das aber wirklich so? Ist es so, dass ein Philosoph ein schlechter Philosoph ist, wenn er Erfolg hat? Wie hängen Wahrheit und Geld zusammen? Gibt es Wahrheit nur dann, wenn sie nichts einbringt? – Wir Deutschen sind bekanntermaßen Anhänger von Reinheitsgeboten. Nur nach deutschem Reinheitsgebot gebrautes Bier schmeckt wirklich. Wirklich? Nur der reine Gedanke, der dem Denker nichts einbringt, ist wahr. Wirklich? – Vielleicht sollten wir einmal über unsere Reinheitsgebote nachdenken. Richtig ist: Das Reinheitsgebot gehört zu unserer Denktradition. Eine Denktradition wird aber nicht dadurch legitimiert, dass sie Tradition ist, sondern dadurch, dass sie wahr ist. Am Ende ist es vielleicht wahr, dass auch ein verschwenderischer und vermögender Geist wahre Gedanken in die Welt setzen kann.
Übrigens: Auch Immanuel Kant war nicht der Asket, als der immer dargestellt wird. Eher wohl ein echter Partylöwe. Erzählt man sich jedenfalls unter Philosophen.

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