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Sachsen-Anhalt
Asylbewerber unter Quarantäne

In Halberstadt in Sachsen-Anhalt steht eine Flüchtlingseinrichtung seit mehr als zwei Wochen unter Quarantäne. Seitdem geht dort die Angst um, sich anzustecken. Informationen fließen nur spärlich, es gab bereits Tumulte. Die Opposition im Landtag kritisiert den Umgang mit den Asylbewerbern.

Von Niklas Ottersbach | 16.04.2020
Die Zentrale Erstaufnahmeeinrichtung für Asylbewerber in Halberstadt in Sachsen-Anhalt
Über Ostern kam es in der ZAst am Rand von Halberstadt zu Tumulten unter den Bewohnern (Deutschlandradio/ Niklas Ottersbach)
Am Stadtrand von Halberstadt, an einer Straße, die ins Nichts führt, liegt sie: die ZAst. Die Zentrale Anlaufstelle für Asylbewerber in Sachsen-Anhalt. Sie besteht aus drei großen, grau-orangefarbenen Häuserblöcken. In der ehemaligen NVA-Kaserne wurden früher die DDR-Grenztruppen ausgebildet, heute leben hier 800 Asylbewerber auf engem Raum, getrennt durch Metallzäune. Seit der Quarantäne Ende März kommt hier keiner mehr raus. Und kaum einer rein. Schon gar nicht Journalisten. Vor dem Eingang der ZAst stehen drei Polizei-Einsatzwagen, auf einer Anhöhe hinter dem Gelände noch mal vier. In der Luft schwebt ein Polizeihubschrauber.
Kritik an der Informationspolitik
Einer der wenigen, der hier rein und raus darf, ist Mamad Mohamad. Der 39-jährige Syrer ist Chef des Landesnetzwerks der Migrantenorganisationen in Sachsen-Anhalt. Er kam 1996 als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Halberstadt. Nun ist der Sozialarbeiter einer der Vermittler zwischen Bewohnern und Leitung, außerdem verteilt er jeden zweiten Tag Lebensmittel wie Fladenbrot, Öl und Thunfisch an die Bewohner. Das Grundproblem, sagt Mamad Mohamad, sei die sparsame, bis nicht vorhandene Informationspolitik der Landeseinrichtung:
"Das ging quasi über Nacht - haben die die Zäune aufgerichtet und früh morgens sind die Leute aufgestanden und haben gedacht: Jetzt wird hier eine Abschiebung vorbereitet. Da ging schon die Ursache des Problems los. Man hat wenig mit den Bewohnern kommuniziert, sondern einfach Tatsachen geschaffen."
Knapp drei Wochen dauert die Quarantäne nun an, die rund 60 Infizierten sind in kleinere Einrichtungen im Landkreis Harz verlegt worden. Genauso wie die Risikogruppen: Schwangere, vorerkrankte und ältere Asylbewerber. Zurück bleiben überwiegend junge Männer, die nicht mehr hinaus können.
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"Die Leute können hier einfach nicht ausweichen"
Am Osterwochenende ist die Lage eskaliert: Eine Gruppe Georgier und Afrikaner gerieten aneinander, warfen Steine, die Polizei ermittelt wegen Landfriedensbruch. Und sie ermittelt auch gegen sich selbst. Denn ein Foto eines Polizeieinsatzes ist auf einer Facebook-Seite gelandet, auf der rechtsextreme Inhalte geteilt werden.
Tumulte auf der einen Seite, massive Polizeipräsenz auf der anderen Seite: Das alles zeige, sagt Mamad Mohamad, dass es so nicht weitergehen könne. "Die Einrichtung ist für Quarantäne nicht geeignet und das ist das Problem. Und dazu kommt das Informationsdefizit, das schwierige Essen und die Leute können hier einfach nicht ausweichen. Sie benutzen die gleichen Toiletten, die Flure."
Mehr Desinfektionsmittel und schnelles Internet
Dabei hat sich schon einiges verbessert in der ZAst in Halberstadt: Die Toiletten werden öfter gereinigt, es gibt mehr Desinfektionsmittel und zum Teil sogar WLAN. Und es gibt einen grundlegenden Strategiewechsel: Anfangs sollten die Bewohner durch Zäune getrennt werden, was nicht funktioniert hat, weil die Asylbewerber einfach drüber geklettert sind. Das neue Konzept: Keine Trennung der Bewohner mehr, dafür Coronatests alle zwei Tage und frühzeitig Infizierte in kleinere Einrichtungen verlegen.
"Wir wussten, was wir tun"
Denise Vopel, Sprecherin des Landesverwaltungsamts, kann die Kritik am Umgang mit den Asylbewerbern in Halberstadt nicht nachvollziehen: "Was hätten wir da anders machen sollen? Wir haben uns auf den worst case vorbereitet, wir wussten, was wir tun, und wir haben unser Konzept umgesetzt."
Auffällig: Auf politischer Seite ist ein Verantwortlicher für die ZAst schwer zu finden. Zuständig für die zentrale Unterbringung der Asylbewerber ist eigentlich der Innenminister: Holger Stahlknecht von der in Sachsen-Anhalt sehr weit rechts stehenden CDU. Doch der Innenminister hält sich zurück. Stattdessen soll seine untergeordnete Verwaltungsbehörde den Streit um die ZAst managen. Für alle Pandemie-Fragen sei das SPD-geführte Gesundheitsministerium verantwortlich.
AfD und Linkspartei kritisieren Innenminister Stahlknecht
Kritik für den Umgang mit den Asylbewerbern gibt es aus der Opposition. Die AfD will statt der Asylbewerber lieber Deutsche auf Corona testen. Die Linkspartei fordert eine dezentrale Unterbringung der Geflüchteten. Henriette Quade, innenpolitische Sprecherin der Linkfraktion im Magdeburger Landtag, zielt mit ihrer Kritik an der schwarz-rot-grünen Landesregierung vor allem auf den Innenminister:
"Niemand will für die Leute verantwortlich sein. Die Verantwortung trägt ganz klar der Innenminister. Und wenn da die erste Botschaft ist, es wird keine Dezentralisierung geben und die zweite Botschaft: Keine Sorge, liebe Leute, wir haben uns das angeschaut, die Asylbewerber kriegen kein Essen kostenlos und kriegen nix, was ihnen nicht zusteht - dann ist das hochproblematisch."
Die Corona-Probleme in Sachsen-Anhalts Erstaufnahmeeinrichtung sind kein Einzelfall. In der Thüringer Erstaufnahmeeinrichtung in Suhl gab es nach den ersten Corona-Fällen ebenfalls Tumulte mit Polizei-Einsätzen. Auch dort in der Kritik: die Informationspolitik der Behörden.
Andreas Henke ist seit 14 Jahren Oberbürgermeister von Halberstadt. Er sagt: Lange Jahre sei die ZAst und ihre Bewohner von der Bevölkerung akzeptiert worden. Seit 2015, seit dem großen Flüchtlingsandrang habe sich das geändert. Und jetzt mit Corona sei es noch schlechter geworden, so Halberstadts Oberbürgermeister. "Ich beobachte das in den sozialen Medien, auf Facebook, wo also weitestgehend, das Verständnis für die Menschen in der ZAst gegen null tendiert."
Corona-Angst trifft ZAst-Bewohner und Mitarbeitende
Vermischt sich in Halberstadt die Skepsis vor Asylbewerbern mit der Angst vor Corona? Andreas Henke sagt ja, aber dabei gehe nicht nur um die Asylbewerber, sondern auch um die Mitarbeiter.
"Naja, zum einen denken die Leute, dass die Asylbewerber das Virus aus allen Ecken der Welt mitgebracht haben. Und zum anderen die Mitarbeiter, die ein und aus gehen in der ZAst, also, die Angst, dass sowohl Mitarbeiter als auch Bewohner das Virus mit in die Stadt gehen, ist schon begründet."
Deswegen hofft Halberstadts Oberbürgermeister auf eine Verteilung der Asylbewerber auf kleinere Einrichtungen. Auch Mamad Mohamad, der syrische Vermittler in Sachen ZAst wünscht sich das. Zwei Wochen soll die vom Land angeordnete Quarantäne noch andauern. Mohamad hofft, dass die ZAst-Bewohner sich danach wieder frei bewegen können. Eine weitere Verlängerung der Quarantäne: Das sei nämlich die große Horrorvorstellung der Asylbewerber in Halberstadt.