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Lola Shoneyins Debütroman
Polygamie und patriarchale Strukturen in Nigeria

Von Wera Reusch | 19.03.2015
    Die nigerianische Schriftstellerin Lola Shoneyin widmet sich in ihrem Debütroman dem Thema Polygamie. Was uns fremd anmutet, ist in Afrikas bevölkerungsreichstem Land weit verbreitet: Etwa ein Drittel aller nigerianischen Frauen lebt in einer polygamen Ehe. Für ihren Roman wählte die Autorin eine eher untypische Protagonistin. Die 23-jährige Bolanle stammt aus einer christlichen Familie, hat einen Hochschulabschluss und will dennoch einen Mann heiraten, der bereits drei Frauen hat:
    "Nachdem ich ihm zum ersten Mal begegnet war, erzählte ich Lara, ich hätte den perfekten Mann für mich gefunden. 'Du willst einen Polygamisten heiraten und Teil einer großen grauenhaften Familie werden? Mama dreht durch! Wann erzählst du's ihr?', kicherte meine Schwester hämisch. (...) Mama reagierte wie erwartet. Ungeduldig hörte sie sich an, was ich vorhatte, und sagte dann, sie würde diesem Mann, der mich verführt hat, gern die Augen auskratzen. (...) Polygamie sei was für solche, die bloß aufs Geld aus seien oder aus dem hintersten Dorf stammten, aber nicht für Kinder, die in einem anständigen christlichen Haushalt aufgewachsen seien und eine gute Ausbildung hätten."
    Bolanle setzt sich jedoch durch und heiratet den wesentlich älteren Baba Segi. In ihrer neuen Familie wird sie allerdings sehr unfreundlich empfangen, denn durch ihre Ankunft gerät das gesamte Gefüge durcheinander. Die älteren Frauen Iya Segi, Iya Tope und Iya Femi, mit ihren sieben Kindern sehen sich durch den Neuankömmling bedroht:
    "Bolanle hätte wissen müssen, wie sehr ihr Einzug unseren Haushalt verändert. Ich erinnere mich noch sehr genau an den Tag, an dem sie den Fuß über die Schwelle dieses Hauses setzte, denn an diesem Abend teilte Iya Segi uns die wöchentlichen Rationen zu. (...) Iya Femis Kopf glühte. Sie wollte das Blut der neuen Ehefrau, die ihren Platz als neueste, jüngste, knackigste Ehefrau eingenommen hatte. (...) 'Schmeckt unser Essen etwa nicht gut genug? Warum sollte Baba Segi noch eine Frau heiraten wollen? Verschmäht er etwa unsere Brüste, weil sie nicht mehr fest wie Fäuste sind?', fragte Iya Femi."
    Schon bald kommt es zu Verwicklungen, und Bolanle wird Opfer bösartiger Intrigen. Die Situation spitzt sich zu, als sie nach zwei Jahren immer noch nicht schwanger ist - was ihr nicht nur den Ärger des Familienoberhaupts einträgt, sondern auch die geballte Häme der drei anderen Frauen. Lola Shoneyin schildert die polygame Familie als einen Ort extremer Konkurrenz. Jede der Frauen kämpft erbarmungslos um Vorrechte und Ressourcen für sich und ihre Kinder. Dies reicht von Essen über Geld bis hin zu alltäglichen Dingen wie einem Sessel:
    "Traditionellerweise musste die Gemütlichkeit eines Sessels verdient werden, was bedeutete, wenn man nicht schwanger war, ein Ödem hatte, stillte oder auf Kleinkinder aufpasste, hatte man keinen Anspruch darauf. Dreißig Minuten hatte Baba Segi im spärlich beleuchteten Abstellraum verbracht, damit er seine neue Frau auch ja gehörig beeindruckte, wischte und klopfte Staub ab, bis er dann schließlich einen Sessel ins Wohnzimmer schob. Iya Segi und Iya Femi wurden von Zorn gebeutelt, als sich Bolanle zu uns setzte. (...) Bald darauf fing Baba Segi an, über Bolanles flachen Bauch zu murren, und Iya Segi ergriff die Gelegenheit und informierte ihn, dass Komfort den weiblichen Körper selbstzufrieden macht. (...) Am nächsten Tag verschwand Bolanles Sessel wieder im Abstellraum."
    Indem Lola Shoneyin die Geschichte aus mehreren Perspektiven erzählt, macht sie die unterschiedlichen Strategien der Figuren sichtbar und die jeweiligen Motive, sich in diese Form von Ehe zu begeben. Für den Patriarchen ist es prestigeträchtig, sich mehrere Frauen leisten zu können. Für die Frauen sind ökonomische Gründe ausschlaggebend dafür, in eine Versorgerehe zu flüchten. Ihr Status ist in erster Linie über den Mann und Kinderreichtum definiert. Ledige und kinderlose Frauen gelten in Nigeria nicht viel, mögen sie noch so gebildet sein - auch das ist eine Botschaft des Romans. Außerdem macht Shoneyin deutlich, dass Gewalterfahrungen und Zwang seitens der Herkunftsfamilie dazu führen können, dass sich eine Frau in einer polygamen Ehe wiederfindet. Die Autorin macht keinen Hehl daraus, dass sie Polygamie ablehnt. Shoneyin verpackt ihre Kritik in einen humorvollen Stil, der unverblümt und mitunter recht drastisch ist. Ihre Figuren sind stark typisiert: Der grobschlächtige Patriarch, die berechnende erste Frau, die opportunistische zweite, die durchtriebene dritte und die gutgläubige vierte. Man könnte sich die tragikomische Geschichte auch als Theaterstück vorstellen - manche Passage erinnert an einen deftigen Schwank.
    "Iya Segi watschelte herein. Ihr Kleid sah wie ein Kissenbezug mit Ärmeln aus, und der Rüschenkragen reichte ihr bis zu den Ohren. Für ihren Hals schämt man sich wirklich. Wenn sie immer Kleider mit hohen Kragen tragen würde, würde sie vielleicht weniger essen. (...) Bolanles Aufzug sah aus, als sei er von ein paar Witzbolden zusammengeflickt worden. Um die Wahrheit zu gestehen: Ich habe ihn eigenhändig angefertigt. Ich habe dem Schneider ein paar Mal zugesehen und den Rock aus den Resten zusammengenäht, die er wegwarf. (...) Ich war die Königin, (...) mein Rock saß wie angegossen, der Schlitz reichte knapp übers Knie. Meine Bluse war mit Strass verziert, und die Abnäher betonten meine Figur und hoben meine Brüste. (...) Es war ein schöner Tag."
    "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi" ist ein temperamentvoller Roman mit einer überraschenden Pointe. Lola Shoneyin ist mit ihrem Debüt auf großes Echo gestoßen. Die 39-Jährige zählt zu einer Reihe junger Autorinnen, die die Literatur Nigerias mit neuen Themen und Sichtweisen bereichern. Während einige ihrer Schriftstellerkolleginnen nach dem Studium in Großbritannien oder in den USA im Ausland blieben, ging Lola Shoneyin nach Nigeria zurück und arbeitet dort als Lehrerin. Man darf vermuten, dass sie mit ihrem Roman weniger ein internationales Publikum im Blick hatte, als vielmehr eine Debatte über Polygamie und patriarchale Strukturen in ihrem Heimatland anregen wollte.
    Lola Shoneyin: "Die geheimen Leben der Frauen des Baba Segi", aus dem Englischen von Susann Urban, Edition Büchergilde, Reihe Weltlese, Band 13, herausgegeben von Ilija Trojanow, Frankfurt/Main, 2014. 284 Seiten, 22,95 Euro.