Donnerstag, 28. März 2024

Archiv

"Londoner Patient"
Zweiter HIV-Patient weltweit nach Stammzellbehandlung virenfrei

Der „Berliner Patient“ galt bislang als einziger Mensch, der erfolgreich von seiner HIV-Infektion geheilt worden ist. Die Heilung war ein Nebeneffekt einer erfolgreichen Krebsbehandlung. Nun gibt es in England einen weiteren Fall. Von einer Heilung wollen die Forscher bei dem "Londoner Patienten" aber noch nicht sprechen.

Martin Winkelheide im Gespräch mit Uli Blumenthal | 05.03.2019
Aids-Schleife
Als allgemeine Therapie gegen HIV kann die Stammzellentherapie nicht genutzt werden, sagen Mediziner (dpa/picture-alliance/Oliver Berg)
Uli Blumenthal: Der "Berliner Patient" gilt bislang als einziger Mensch der erfolgreich von seiner HIV-Infektion geheilt worden ist. Seit inzwischen 12 Jahren muss der US-Amerikaner Timothy Ray Brown keine Medikamente mehr einnehmen. In seinem Blut ist nach wie vor kein Virus nachweisbar. Nach dem "Berliner Patienten" gibt es jetzt einen "Londoner Patienten". Bei ihm sind nach erfolgreicher Krebsbehandlung und Stammzellen Transplantationen seit 18 Monaten keine HI-Viren mehr im Körper nachweisbar. Britische Forscher haben den Fall jetzt zeitgleich auf einer Tagung in Seattle und im Fachblatt Nature vorgestellt. Ihr Arbeiten gelesen hat mein Kollege und Fachjournalist Martin Winkelheide. Herr Winkelheide: Der "Londoner Patient" sorgt für großes Echo, sowohl in der Forschung als auch in den Medien. Zurecht?
Fall des Berliner Patienten ist wiederholbar
Martin Winkelheide: Ja. Es hat ein großes Echo ausgelöst, weil man schon mehrfach versucht hat, den Fall des Berliner Patienten zu wiederholen, aber bislang immer gescheitert ist. Entweder weil bei den Patienten die Krebserkrankung wiedergekommen ist, die Patienten in Folge der Stammzelltransplantation gestorben sind oder man ihnen doch wieder Medikamente geben musste. Man hat sich deshalb gefragt: Kann man das eigentlich tatsächlich wiederholen? Und die Londoner Forscher haben jetzt gezeigt: Ja, es ist wiederholbar.
Blumenthal: Bevor wir auf die aktuellen Entwicklungen blicken, der Blick zurück: Was genau ist damals bei diesem "Berliner Patienten" gemacht worden?
Winkelheide: Der "Berliner Patient" hatte einen akuten Blutkrebs, eine sehr aggressive Form. Und nachdem die Chemotherapie bei ihm nicht gewirkt hat, hat man das Mittel der Wahl ergriffen: Man hat eine Stammzelltransplantation gemacht. Bevor man ihm Zellen eines Spenders gegeben hat, hat man das alte Immunsystem aber abgetötet - mit einer Chemotherapie und mit einer Strahlentherapie. Und man hat insgesamt zwei Mal eine Stammzelltransplantation machen müssen bei ihm, weil es zwischenzeitlich zu einem Rückfall bei der Krebserkrankung kam. Außerdem hat man ihm natürlich nicht irgendwelche Stammzellen transplantiert. Man Zellen genommen, die vom Gewebetyp passen und die eine Besonderheit aufweisen: Auf ihrer Oberfläche fehlte eine besondere Struktur, der sogenannte CCR5-Co-Rezeptor. Das ist bildlich gesprochen die Türklinke an der Tür, durch die das Aids-Virus normalerweise in die Immunzellen reinkommt. Wenn man die Türklinke abmontiert, kommt das Virus eben nicht in die Zelle rein.
"Das war eine sehr pfiffige Idee"
Und das hat man jetzt bei dem ‚Londoner Patienten‘ kopiert. Der Fall ist allerdings ein Bisschen anders gelagert. Dieser Patient hat einen Lymphdrüsenkrebs, keine Leukämie. Auch bei ihm hat die Chemotherapie nicht funktioniert und man hat deshalb eine Stammzelltransplantation gemacht. Aber man hat nicht so aggressiv vorbehandelt. Man hat nur eine Chemotherapie gemacht. Das heißt, was man jetzt gelernt hat: Auch mit einem etwas milderen Vorgehen kann man trotzdem einen Erfolg erzielen. Der Patient ist seit 18 Monaten ohne Virus, also kein Virus im Blut oder im Körper nachweisbar. Trotzdem sind die Mediziner noch sehr zurückhaltend und sagen: Von Heilung wollen wir erst mal nicht reden. 18 Monate sind zwar eine lange Zeit, aber da kann auch später noch was passieren.
Fachleute sind noch vorsichtig
Blumenthal: Warum sind die noch so vorsichtig?
Winkelheide: Weil man eben auch gesehen hat, dass das Virus sich im Körper eines Patienten sehr gut verstecken kann und auch reaktiviert werden kann. Die Idee bei der Stammzelltransplantation ist ja erstmal, dass der Krebs geheilt wird. Das ganze Verfahren ist sozusagen ein positiver Nebeneffekt einer gelungenen Krebstherapie. Die Idee ist aber auch, dass das neue gesunde Immunsystem, die neuen Stammzellen, die Kontrolle übernehmen - und zwar auch die Kontrolle über das alte Immunsystem. Sodass die auch versteckte, möglicherweise infizierte Zellen abräumen und das neue Immunsystem geschützt ist vor dem HI-Virus. Beide Effekte sind wichtig.
Blumenthal: Taugt das Verfahren, das beim Berliner und beim Londoner Patienten angewendet wurde, als allgemeine HIV-Therapie?
Winkelheide: Nein, überhaupt nicht. Dafür ist einfach viel zu riskant und aufwendig. Denn man darf nicht vergessen: Infolge einer Stammzelltransplantation können Menschen sterben. Denn das alte Immunsystem wird ja platt gemacht, das neue muss erst heranreifen – und in dieser Zeit sind die Patienten extrem empfindlich und empfänglich für andere Infektionen, da kann ein Schnupfen lebensbedrohlich sein. Also das taugt nicht um Menschen zu behandeln, die 'nur' HIV-infiziert sind, da gibt es einfach gute Medikamente die gut wirksam sind, die über Jahre und Jahrzehnte das Virus gut kontrollieren können. Aber das Verfahren liefert neue Ideen, was die Wissenschaft eben machen kann, um ein sicheres Verfahren zu entwickeln, um dieselben Effekte zu erzielen, die man mit dieser sehr invasiven Therapie erreicht hat.