Blutspendeverbot für Homosexuelle

Generalverdacht gegen eine Gruppe

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Zwei Blutkonserven vor schwarzem Hintergrund. Darauf wird erklärt, welche Blutgruppe welcher anderen spenden kann.
Pauschal ausgeschlossen: Homosexuelle dürfen weder den Gruppen A, noch B, noch AB spenden. © imago images / CHROMORANGE
Von Andrea Roedig · 20.06.2021
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Die britische Regierung hat angekündigt, auch schwule Männer zur Blutspende zuzulassen. In Deutschland ist das noch immer untersagt. Andrea Roedig wundert sich über ein unzeitgemäßes Verbot.
"Eigentlich ist das eine Diskriminierung", meinte neulich eine Freundin zu mir. Wir sprachen über künstliche Befruchtung, und sie erwähnte, dass die Kosten für In-vitro-Fertilisation nur für Frauen unter 40 Jahren von den Krankenkassen bezuschusst werden. Die Älteren mit Kinderwunsch sind von der Leistung ausgeschlossen. Eine Diskriminierung?

Aus der Zeit gefallene Sexualmoral

"Mach mal halblang", war meine Antwort. Es gibt gute medizinische Gründe dafür, eine Grenze zu ziehen. Selbst wenn manche Frauen über 40 fitter sind als andere unter 30, müssen gesetzliche Regelungen mit Allgemeinkategorien arbeiten. Manchmal ist der Ruf "Diskriminierung" fast schon zu einem unüberlegten Reflex geworden.
Im Fall des Blutspendeverbots für schwule und bisexuelle Männer ist das allerdings anders. Man mag sich angesichts der britischen Lockerung verwundert die Augen reiben: Wie bitte? Schwule dürfen in Deutschland und Österreich nicht Blut spenden, es sei denn, sie hatten ein Jahr lang keinen Sex?
Das klingt wie eine Kombination von 80er-Jahre Politik – denn aus diesen Aids-Zeiten stammt das Verbot – und katholischer Sexualmoral: Ihr dürft zwar homosexuell sein, nur praktizieren sollt ihr nicht. Die Regelung klingt, mit anderen Worten, komplett aus der Zeit gefallen, und sie entspricht, nebenbei bemerkt, auch nicht wirklich den EU-Richtlinien.

Persönliches Risikoverhalten als Kriterium

Natürlich kann man mit Schutzgründen argumentieren. Das Übertragungsrisiko für HIV ist bei Sex zwischen Männern um ein Vielfaches höher als im heterosexuellen Geschlechtsverkehr, homo- und bisexuelle Männer haben statistisch gesehen mehr Sexualkontakte und leben oft promisker als heterosexuelle Männer und alle Frauen. Aber das rechtfertigt nicht, sie insgesamt vom Blutspenden auszuschließen, denn in diesem Fall ist es ja nicht ein "objektivierbares" Kriterium, das den Ausschluss begründet, sondern hier wird einer Gruppe per Generalverdacht eine risikoreiche Sexualpraxis attestiert.
Queere Interessenvertretungen weisen schon seit Jahren auf den Missstand hin: ein monogam lebendes Männerpaar überträgt mit Sicherheit weniger Geschlechtskrankheiten als ein heterosexueller Bordellbesucher, der keine Kondome mag. Entscheidend sei nicht die sexuelle Orientierung, sondern das persönliches Risikoverhalten.
Porträt der Publizistin Andrea Roedig.
Es zählt das Verhalten im Einzelfall: Andrea Roedig plädiert für faire und realistische Kriterien bei der Zulassung zu Blutspenden.© Elfie Miklautz
Genau das sollte, wenn nötig, in den Aufnahmebögen abgefragt werden: "Hatten Sie in den letzten drei Monaten ungeschützten Sex mit vielen verschiedenen Partner:innen?" Eine Frage für ausnahmslos alle Personen. Im Grunde wäre das State of the Art und entspräche der Politik der Gleichstellung und Antidiskriminierung der letzten Jahrzehnte.

Humanisierende Orientierung am Individuum

Ex-negativo zeigt sich an diesem Beispiel des Blutspendens, welchen Weg wir schon gegangen sind. Dieser Weg – nennen wir ihn fortschrittlich oder emanzipativ – führt weg von der Identifizierung als Gruppe hin zur Individualität. Er stärkt – philosophisch gesprochen – das Einzelne gegenüber dem Allgemeinen, und er folgt dem Ideal eines Rechts, das mit verbundenen Augen der Justitia, "ohne Ansehen der Person" urteilt.
Es ist egal, wer du bist, woher du kommst, es zählt nur das jeweilige Verhalten, der Einzelfall. Die humanisierende Wirkung dieser Einstellung, die sich am Individuum ausrichtet, nicht am Kollektiv, ist kaum zu unterschätzen. Sie ist das Heilmittel gegen die "Gewalttat des Gleichmachens", von der Theodor W. Adornos Philosophie fast durchweg handelt.
Nach dem Aufkommen von Aids in den 1980er-Jahren kursierte für HIV die Bezeichnung "Schwulenvirus", ähnlich wie Donald Trump noch 2020 Corona als "China-Virus" bezeichnete – "because it comes from China". Wir sind über die 80er-Jahre und hoffentlich auch über Donald Trump hinaus. Die billige Identifizierung und die mit ihr einhergehende Diskriminierung sollte Geschichte sein. Machen wir es in Sachen Blutspende also den Briten nach!

Andrea Roedig ist Philosophin und Publizistin. Sie ist Mitherausgeberin der österreichischen Kultur- und Literaturzeitschrift "Wespennest". 2015 erschien ihr gemeinsam mit Sandra Lehmann verfasster Interviewband "Bestandsaufnahme Kopfarbeit" und zuletzt ihr Essayband "Schluss mit dem Sex", beide im Klever Verlag.

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