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Nutri-Score
Foodwatch: Klöckner hält Studie zu Lebensmittel-Ampel zurück

Eine Studie zur Nährwertkennzeichnung soll das umstrittene Modell des Nutri-Score positiv bewertet haben. Die Verbraucherorganisation Foodwatch wirft Landwirtschaftsministerin Julia Klöckner (CDU) vor, sie aus Rücksicht auf die Industrie nur in bearbeiteter Form veröffentlicht zu haben.

Von Daniela Siebert | 30.04.2019
Eine Nährwertkennzeichnung nach dem Modell Nutri-Score
Der Nutri-Score informiert mit den Ampelfarben über Inhaltsstoffe von Lebensmitteln (imago/Reporters)
Foodwatch lehnt sich weit aus dem Fenster: Bundeslandwirtschaftsministerin Julia Klöckner verheimliche eine Studie zur Nährwertkennzeichnung behauptet die Organisation. Als Beweis dafür nennt Luise Molling von Foodwatch eine Email aus dem Ministerium.
"In dieser internen Email schreibt ein Mitarbeiter des Ministeriums, bereits im Oktober 2018, dass die wissenschaftliche Bewertung des MRI vorliege und dass diese jetzt aber noch in den Referaten abzustimmen sei und eine weitere politische Bewertung nötig mache. Außerdem schreibt der Ministeriumsmitarbeiter in dieser Mail, dass die Studie den Nutri-Score grundsätzlich vorteilhaft für eine Front-Of-Pack-Nährwertkennzeichnung bewerte."
Sicher ist: das Max-Rubner-Institut, kurz MRI, hat Modelle zur Nährwertkennzeichnung untersucht, auch die Nutri-Score genannte Lebensmittelampel, die Verbraucher auf den Gehalt von Zucker, Salz und Fett in verarbeiteten Nahrungsmitteln aufmerksam machen soll. In Frankreich, Belgien und Spanien wird diese Farbcodierung für die Informationen bereits verwendet.
Laut foodwatch soll es eine ursprüngliche Version der Studie geben, in der das Max-Rubner-Institut diese Ampel positiv bewertet.
"Und in der nun veröffentlichten Variante der Studie wird sie eher zurückhaltend bewertet. Frau Klöckner hat sich in der Vorstellung der Studie auch nur zum Nutri-Score kritisch geäußert. Also das hat uns schon sehr erstaunt, wir fragen uns, wie kommt dieser Unterschied zustande und haben eben Frau Klöckner aufgefordert, diese Original-Studie – also diese rein wissenschaftliche Bewertung – bevor sie überarbeitet wurde im BMEL zu veröffentlichen und verweigert sie bislang."
Teilweise geschwärzte Mail publiziert
Foodwatch publizierte gestern auch eine teilweise geschwärzte Email aus dem Bundesministerium vom Oktober, in der es um die Lebensmittelampel "Nutri-Score" geht, bezugnehmend auf eine Presseanfrage zum Thema. Aus der offenbar hausinternen Email geht tatsächlich hervor, das Max-Rubner-Institut stufe "Nutri-Score" als "grundsätzlich vorteilhaft" für eine Nährwertkennzeichnung auf der Vorderseite der Verpackung ein. Die Ministerin wolle sich aber nicht voreilig positionieren, sondern die Sicht der Wirtschaft und der Verbraucher eruieren.
Das Bundeslandwirtschaftsministerium hat gestern mit einer Presseinformation auf die Vorwürfe von foodwatch reagiert. Diese ist lang, im Kern aber teilweise ausweichend. Man habe die vorläufige Studie am 11. April auf der eigenen Internetseite veröffentlicht. Ob es eine anderslautende Vorgängerversion gab, geht aus der Formulierung nicht hervor. Vorläufig sei die Studie, weil sich noch um Aspekte eines erwarteten Berichtes der EU-Kommission ergänzt werden solle.
Die Pressemitteilung führt auch aus:
"Nach derzeitigem Recht ist es derzeit nicht möglich, ein Nährwertkennzeichnungssystem in Deutschland verpflichtend vorzuschreiben. Die Etablierung eines vereinfachten Nährwertkennzeichnungssystems, zum Beispiel Nutri-Score oder Lebensmittelampel, ist nach aktuellem EU-Recht nur auf freiwilliger Basis zulässig. Zur Einführung eines verpflichtenden Systems müsste zunächst das EU-Recht geändert werden."
Warum andere EU-Länder diese Kennzeichnung bereits verwenden, bleibt unerwähnt und unklar.
Vor- und Nachteile verschiedener Modelle
Dafür betont die Pressemitteilung ein weiteres Ergebnis aus der Rubnerschen Studie, nämlich dass sämtliche der 11 dort untersuchten Kennzeichnungsmodelle Vor- und Nachteile hätten, so auch nutriscore. Hier bekäme beispielsweise auch ein Essen aus Pommes Frites, Schnitzel und Light-Softgetränk eine positive grüne Bewertung.
Das Max-Rubner-Institut solle ein Modell entwickeln, das die Vorteile verschiedener Kennzeichnungssysteme berücksichtigt. Quintessenz der Mitteilung:
"Wir befinden uns also mitten in der im Koalitionsvertrag festgelegten Erarbeitung eines vereinfachten Nährwertkennzeichnungssystems."
Eine Verbraucherbefragung zum Thema sei in Vorbereitung, ebenso ein Praxistest.
Verbraucherfreundliche Kennzeichnung sollte farblich sein
Für foodwatch stellt sich die Situation jetzt so dar, dass die Kennzeichnungsvariante Nutri-Score durch das Verhalten des Bundeslandwirtschaftsministeriums unnötig schlecht da steht. Luise Molling
" Für uns muss eine verbraucherfreundliche Nährwertkennzeichnung auf jeden Fall farblich sein, in Ampelfarben sein, sie muss auf der Verpackungsvorderseite stehen und sie muss von unabhängigen Wissenschaftlern – und eben nicht von der Industrie entwickelt worden sein – diese Kriterien erfüllt der Nutri-Score, er hat eine unheimlich solide wissenschaftliche Grundlage, er ist wirklich sehr umfangreich erforscht worden, daher unterstützen wir den Nutri-Score und fordern eben Frau Klöckner auf, diesen auch in Deutschland freiwillig einzuführen."
Bei Foodwatch vermutet man, Julia Klöckner suche noch eine Industrie-freundliche Lösung. Die Branche sei sich bei dem Thema nicht einig so Luise Molling, einzelne Unternehmen haben den Nutri-Score aber schon freiwillig eingeführt.
Auch Silke Schwartau von der Verbraucherzentrale Hamburg sieht in dem Verhalten des Bundeslandwirtschaftsministeriums eindeutig eine Verzögerungstaktik. Auch sie selbst hatte erst Anfang April eine schnelle verpflichtende Einführung des Nutri-Scores in Deutschland gefordert.