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Lücken in der Evolution

Paläontologie. - Chinesische Paläontologen haben den bislang ältesten Knochenfisch gefunden. Mit 418 Millionen Jahre ist das Fossil aber mindestens 20 Millionen Jahre älter als alle bisherigen Knochenfischfossilien. In der aktuellen "Nature" wird Guiyu oneiros vorgestellt.

Von Michael Stang | 26.03.2009
    Bislang galt das Erdzeitalter Silur nicht als Startphase der Entwicklung der Knochenfische, aus denen sich alle Wirbeltiere einschließlich des Menschen entwickelt haben. Erst das darauffolgende Devon, das vor 416 Millionen Jahren begann, brachte eine Vielzahl von Fischen hervor. – so die bisherige Lehrmeinung. Der Fund eines 418 Millionen Jahre alten Urfisches im Süden Chinas stellt dieses Dogma nun in Frage, sagt sein Entdecker Min Zhu vom Institut für Wirbeltierpaläontologie und Paläoanthropologie in Peking.

    "Das Fossil ist eine absolute Überraschung. Aus der Zeit des Silurs vor über 416 Millionen Jahren kannten wir bislang nur Bruchstücke von Fossilien, die eventuell zu diesen Urfischen gehören, das war aber alles immer äußerst spekulativ. Wir hatten nie geglaubt tatsächlich einen fast vollständigen Fisch zu finden, aber wir haben es geschafft. Unser Fund zeigt Merkmale, die wir von verschiedenen Tiergruppen kennen, aber noch nie zusammen bei einem Fisch gesehen haben, es ist fast ein wenig bizarr. Wir sind sehr glücklich, dass wir eine so spannende Entdeckung gemacht haben."

    Bei dem Fossil handelt es sich um einen nahezu vollständig erhaltenen Urfisch. Das 33 Zentimeter lange Exemplar gehört zu den so genannten Muskel- oder Fleischflossern – eine von zwei Klassen der Knochenfische, zu denen Quastenflosser, Lungenfische und alle Landwirbeltiere gehören. Der Urfisch, den Min Zhu und seine Kollegen Guiyu oneiros benannt haben, zeigt nicht nur sehr urtümliche, sondern auch schon hoch spezialisierte Merkmale. Dies deutet darauf hin, dass die Aufspaltung der Knochenfische viel früher als bislang angenommen stattgefunden haben muss, und zwar vor mindestens 419 Millionen Jahren. Min:

    "Bislang sind wir bei unseren Studien der ältesten Fische davon ausgegangen, dass sich die Urahnen aller Wirbeltiere vor rund 400 Millionen Jahren entwickelt haben. Das widerlegt nun unser Fund. Die Wurzel der ältesten Fische reicht viel weiter in die Vergangenheit zurück als bislang angenommen."

    Auch Paläontologe Michael Coates von der Universität von Chicago in Illinois, der den Fund in der heutigen Ausgabe von "Nature" kommentiert, ist von dem extrem gut erhaltenen Urfisch überrascht. Noch mehr verwundert ihn allerdings die weit vorgeschrittene Spezialisierung des bislang ältesten bekannten Knochenfisches.

    "Wenn wir primitive Urformen bestimmter Tiergruppen finden, ist es immer schwierig überhaupt zu erkennen, um was es sich da handelt, da meist charakteristische Merkmale noch gar nicht vorhanden sind. Es war auch nicht klar, wie sich der Urahn aller Wirbeltiere entwickelt hat. Erstaunlicherweise lässt sich der neue Fund aber ganz einfach in die Klasse der so genannten Fleischflosser eingliedern. Das bedeutet, dass es da noch eine ganze Reihe an Evolutionsschritten gegeben haben muss, die wir noch nicht einmal ansatzweise entdeckt haben und uns heute noch gar nicht ausmalen können. Mit dem neuen Fossil werden einige Ästen im Stammbaum der Evolution zeitlich weit nach hinten versetzt."

    Der neue Urfisch sei daher als Aufforderung zu verstehen, noch mehr Fossilien aus der Zeit des Silurs zu suchen, fügt Michael Coates hinzu. Wo bislang nur winzige Fossilienfragmente ein wackliges Theoriegebäude schultern mussten, liefert der Fund eines ganzen Fisches erstmals handfeste Daten für die Rekonstruktion der Evolution. Hypothesen sind nur so gut wie ihre Daten – mit besseren Fossilien kommen Paläontologen der Wahrheit nun einen entscheidenden Schritt näher, auch wenn sie nur ein kleiner Ausschnitt der einstigen Vergangenheit sind.