Sylvia Townsend Warner: "Lolly Willowes"

Selbstbestimmt und keine Scheu vor dem Teufel

06:24 Minuten
Schlichtes grünes Cover, mit der Fotografie einer blühenden Wiese im Wald, vor einem Aquarell-Hintergrund.
"Lolly Willowes" ist der Debütroman von Sylvia Townsend Warner. © Dörlemann / Deutschlandradio
Von Edelgard Abenstein · 24.10.2020
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Eine Frau, Ende 40, verlässt den Klammergriff ihrer Familie und zieht an einen entlegenen Ort. Im Debüt von Sylvia Townsend Warner, das 1926 erschien, geht es auf erfrischende Weise um weibliche Selbstermächtigung. Und es kommt der Teufel ins Spiel.
Sie ist knapp hundert Jahre alt und so einzigartig lebendig, als wäre sie frisch erfunden: Lolly Willowes, die Heldin des Debüts der hier nahezu unbekannten Schriftstellerin Sylvia Townsend Warner. Als der Roman 1926 in England erschien, machte er schlagartig Furore, und seine Autorin wurde über Nacht berühmt. Sofort interessiert sich Virginia Woolf, die gerade an ihrem epochemachenden feministischen Essay "Ein Zimmer für sich allein" schreibt, für die neue Kollegin und den subversiven Stoff, in dem eine Frau sich zur Hexe macht.
Der Roman beginnt ganz gemächlich. Laura, genannt Lolly, wächst in beschaulich-wohlsituierter Umgebung auf dem Lande auf, spröde, nicht besonders hübsch, neugierig und ziemlich gebildet; sie ist eine Vatertochter, der Vater stirbt, Bruder und Frau nehmen sie mit zu sich nach London, sie kümmert sich um deren Kinder, kein Weihnachten, kein Geburtstag, den sie nicht fürsorglich mit Glanz versähe.

Die umsichtig-genügsame Tante - eine Rolle

Lolly, der unentbehrliche Engel des Hauses. Natürlich soll sie mit einem der zahlreichen Verehrer verkuppelt werden, sie will aber keinen. 20 Jahre lang erfüllt sie die für sie vorgesehene Rolle der umsichtig-genügsamen Tante. Bis es ihr reicht. Da ist sie Ende 40. Das ist durchweg realistisch erzählt.
Mit wunderbar boshaftem Witz durchleuchtet Warner eine saturierte Gesellschaft, in der nur Gattinnen zählen, unverheiratete Frauen zwar gerne in Dienst genommen, dafür aber bevormundet und rundum bemitleidet werden. Ganz besonders dann, wenn sie keine Neigung zur Koketterie zeigen, wie Lolly, die sich nie Mühe gibt, "bei einer Gesellschaft auch nur das kleinste bisschen Unterhaltung beizusteuern", stattdessen freche Bemerkungen macht, die keiner richtig versteht.

Dorfbewohner machen Nacht zum Tag

Also befreit sich Lolly aus dem Klammergriff der Familie. Sie nimmt ihr Erbteil, sehr zum Entsetzen von Bruder und Schwägerin und zieht aufs Land, in einen entlegenen Ort, wo sie vollkommen fremd ist und führt dort endlich ein selbständiges Leben. Zwischen seltsamen Dorfbewohnern, die auf unerklärliche Weise die Nacht zum Tage machen.
Bis ihr Neffe Titus auch die Idee hat, dorthin zu ziehen, um ein Buch zu schreiben. Da ist mit einem Schlag die Freiheit wieder bedroht, und da tritt der "liebevolle Jägersmann" auf den Plan, der Teufel nämlich. Sie schließt ein Bündnis mit ihm, so dass er den Störenfried vertreibt. Und der Roman nimmt magisch-märchenhafte Züge an.

Fantastisch-skurriler Hexensabbat

In diesem zweiten Teil merkt man, dass Warner als Lyrikerin begonnen hat. Wenn Lolly allein durch Buchenwälder, über Kreidehügel streift, werden Wetter, Licht, Gerüche auf höchst poetische Weise plastisch. Genau wie der surreal anmutende, nächtliche Tanz der Dorfbewohner im Wald, zu dem sich die neue Freiheitssucherin wie selbstverständlich gesellt. Ein fantastisch-skurriler Hexensabbat, wie man ihn nicht kennt.
Auf die Frage Virginia Woolfs, woher sie soviel über Hexen wisse, hatte Sylvia Townsend Warner mit schöner Ironie geantwortet: "Weil ich selber eine bin". Dies und viele andere farbige Details über das Leben der Autorin erfährt man in Manuela Reicharts klugem Nachwort zu dem Buch.
"Lolly Willowes..." liest sich wie der Roman der Stunde. Nichts von Militanz und Erdenschwere, wie wir es heute oft beim Reden über "weibliches empowerment" haben. Lustvoller, zauberhafter, komischer wurde kaum je über weibliche Selbstermächtigung geschrieben.

Sylvia Townsend Warner: Lolly Willowes oder Der liebevolle Jägersmann
Aus dem übersetzt Englischen von Ann Anders
Dörlemann Verlag, Zürich 2020
272 Seiten, 25 Euro

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