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Luftfahrt
Spazierflug mit dem NATO-Aufklärer

In Geilenkirchen an der niederländischen Grenze liegt eine Airbase der NATO. Die großen AWACS-Aufklärungsflugzeuge der Organisation werden weltweit eingesetzt. Über dem Rheinland bereiten sich die Piloten und ihre Crew auf die Einsätze vor.

Von Rudi und Rita Schneider | 01.06.2014
    Morgendunst liegt über dem Vorfeld der NATO Airbase in Geilenkirchen. Mehrere AWACS Flugzeuge mit dem signifikanten Radar Dom auf dem Dach stehen aufgereiht auf ihren Parkpositionen neben Tankerflugzeugen und warten auf ihren Einsatz. Die Crewmitglieder des Tanker-Fluges mit dem Rufzeichen "Esso 75" finden sich am frühen Morgen in einem Briefing Raum unterhalb des Towers ein. Ein Beamer projiziert die Wetterlage über Europa an die Wand und die Metereologin Julia Doganoy begrüßt die Einsatz Crew.
    Den genauen Wetterdetails folgt für die Piloten die Einweisung in den Flugplan, der für den bevorstehenden Flug von Geilenkirchen über definierte Wegpunkte und Luftstraßen zu einem reservierten Übungsluftraum nördlich von Hamburg führt.
    Nach dem Briefing begibt sich die gesamte Crew zum Flugzeug. Der Stratotanker mit der Bezeichnung KC-135 gehört zur Flotte der Air National Guard Utah und kommt aus Salt Lake City. Marine Estelle ist Studierende für Journalismus und begleitet uns auf diesem Flug. Ihr fällt schon auf dem Vorfeld auf, dass der Stratotanker ein sehr großer vierstrahliger Jet ist, aber zum Einstieg ist keine Gangway zu sehen.
    "Der Weg, wie man ins Flugzeug gelang, ist schon etwas ganz Besonderes. Wir sind nämlich wie die Crew auch über eine sehr steile Leiter direkt ins Cockpit geklettert. Also es ist nicht wie bei normalen Passagierflugzeugen über den Finger oder eine normale Treppe, sondern man gelangt mit dieser Leiter direkt ins Cockpit, wo dann schon die Kontrolllampen blinken und man wirklich von einer Vielzahl an Knöpfen und Schaltern begrüßt wird."
    Der Stratotanker KC-135 basiert auf einer Legende der zivilen Luftfahrt, einer vierstrahligen Boeing 707, die speziell für die Luftbetankung umgerüstet wurde. Die Cockpit Crew führt gerade den Preflight-Check durch, bei dem unter anderem die Funktion aller Steuerflächen geprüft wird. Die Bodencrew prüft von außen, ob und wie sich die Steuerflächen an den Tragflächen und am Leitwerk bewegen und meldet das per Funkkontakt ins Cockpit.
    Nachdem dann die Triebwerke angelassen sind, meldet sich der Tower. Nach der Startfreigabe des Towers für die "Esso75" beschleunigt der Stratotanker, hebt ab und fliegt in einer weiten Rechtskurve in Richtung Nordost.
    Mobile Tankstelle in luftiger Höhe
    Für das Üben der Luftbetankung sind spezielle Lufträume reserviert. Unser Ziel ist das Gebiet zwischen der Grenze zu Dänemark bis Bremen. Auf unserem Weg dorthin fädeln wir uns in das normale Luftstraßensystem über Westdeutschland ein. Captn. Shawn Barrett hat seine Hand am Steuerhorn und schwärmt von seinem Luftfahrt-Legende-Flugzeug, das er, wie er sagt "fliegen darf":
    "Es ist schon erstaunlich, ein Flugzeug zu fliegen, dessen Geschichte 65 Jahre zurückreicht. Ich kenne einige Piloten, deren Väter und Großväter das gleiche Flugzeug geflogen haben... das Flugzeug ist ein Vermächtnis."
    Das Flugzeug, das wir später betanken werden ist eine NATO AWCAS oder E-3A im NATO Jargon. Auch die E-3A basiert auf der Boeing 707, die das erste in Großserie gebaute Düsenverkehrsflugzeug der Luftfahrtgeschichte ist. Die E-3A mit dem typischen Radardom auf dem Dach ist einige Minuten vor uns gestartet und wir können sie aus dem Cockpit etwa 25 km vor uns sehen. Dort, wo normalerweise die Passagiere sitzen ist in diesem Flugzeug freier Raum. Die Zusatz-Tanks befinden sich u.a. unter dem Fußboden im Cargo-Raum. Ganz hinten im Flugzeug, praktisch unterhalb des Leitwerks befindet sich der Arbeitsplatz des Tankwarts, der hier "Boom Operator" genannt wird. Tim Molder liegt auf einer speziellen Pritsche auf dem Bauch und er hat vor sich eine Kontrollkonsole mit einem Joystick, mit dem er das Tankrohr bedienen und steuern kann.
    "Wir haben eine NATO-AWACS aus Geilenkirchen mit uns und befinden uns in 28.000 Fuß Höhe nördlich von Hamburg. Wir üben mit den Jungs jetzt zweieinhalb Stunden Luftbetankung. Deren Rufzeichen ist NATO Zero Two. Unser Rufzeichen ist Esso Seven Fife. Wir werden 50.000 Pfund Treibstoff abladen und zur AWACS pumpen. Das Wetter hier über Norddeutschland stabil und ruhig. Das ist ein guter Tag für eine Luftbetankung."
    Das Betankungsrohr hat durch Teleskoptechnik eine Länge zwischen 8 und 12 Metern. Zwei kleine V-förmige Steuerflächen erlauben dem Boom Operator, die Betankungsspitze in einem Radius von etwa 4 mal 4 Metern horizontal und vertikal zu bewegen. Bis zu diesem relativ kleinen Manöverierraum muss sich das andere Flugzeug äußerst vorsichtig herantasten. Ist der Kontakt hergestellt, wird das Kerosin mit Hochdruck ins Empfängerflugzeug gepumpt, und was das für beide Piloten bedeutet, erklärt uns Captn. Barrett im Cockpit.
    "Das ist unser Treibstoff-Panel. Es zeigt uns alle Tanks, sowohl den Treibstoff, mit dem wir die anderen Flugzeuge betanken, als auch die Tanks mit unserem eigenen Treibstoff, mit dem wir fliegen. Wir müssen immer auf unsere Balance achten, besonders, wenn wir betanken. Man sieht gerade, wie sich die Zahlen rapide bewegen, da fließen gleich Tonnen von Treibstoff aus unserem Flugzeug in das andere. Dadurch werden wir leichter und das andere Flugzeug schwerer, und das müssen beide Piloten sofort mit Steuerbewegungen ausgleichen."
    Milimeterarbeit bei 600 Stundenkilometern
    Marine hat sich neben Boom Operator Tim Molder platziert und beobachtet gespannt, wie sich die riesige AWACS unter uns zentimeterweise herantastet.
    "Ich liege jetzt hier rechts neben dem Boom Operator, genauso wie er auch auf dem Bauch und kann durch das kleine Fenster blicken und sehen, wie sich die AWACS langsam und mühevoll nähert. Ich kann sogar den Piloten erkennen, wie er dabei jede Turbulenz auszugleichen versucht. Das ist wirklich Millimeterarbeit. Man spürt einen ganz kleinen Ruck durchs Flugzeug, wenn sich dann der Kreislauf schließt und das Betankungsrohr wirklich in der AWACS liegt, als ob man so ein bisschen hochgedrückt wird. Also das ist sehr beeindruckend."
    Erst aus dieser Perspektive wird im wahrsten Sinne des Wortes offensichtlich, dass sich beide Flugzeuge in einem ständig bewegten und auch verwirbelten Luftmedium bewegen. Wir reden über zwei 120 Tonnen Flugzeuge, die mit etwa 600 Stundenkilometer unterwegs sind. Alles wird von Hand geflogen, jede auch noch so kleine Steuerkorrektur. Was geschieht, wenn sich beide Flugzeuge zu nahekommen, demonstriert uns Captn. Barrett.
    "Wir simulieren jetzt einen Notfall. Wenn sich beide Flugzeuge zu nahekommen, dann fliegen wir einen einen sogenannten "Break away". Wir beschleunigen und ziehen nach oben, das andere Flugzeug verlangsamt und taucht nach unten ab, bis wir in sicherem Abstand sind."
    Und dann übt die Crew im Flieger unter uns immer wieder mit viel Feingefühl die Annäherung. Um zu erfahren, wie das die Piloten unter uns im Cockpit der E-3A gerade erleben, wechseln wir einfach in die AWACS unter uns. Am Steuer ist Captn. Pietro Imbro, der aus Trabani in Sizilien kommt, und so funktioniert das Betanken in der Luft aus seiner Sicht.
    "Die ganze Flightdeck Crew bereitet sich eine halbe Stunde vor dem Zusammentreffen auf die Betankung vor. Wir gehen die Checklisten durch. Unser Flugingenieur nimmt alle Sicherheitsschaltungen vor. Dann nähern wir uns hochkonzentriert bis auf wenige Meter an den Tanker. Ich sage Dir was, als ich das zum ersten Mal gemacht habe, war ich sehr, wirklich sehr angespannt. Man muss sehr gefühlvoll mit dem Steuer und Gashebel arbeiten, die Parameter müssen stimmen, alles muss sehr präzise sein und man muss das richtige Gefühl haben, genau im richtigen Moment die Verbindung zum Tanker herzustellen."
    Dass der Radar-Aufklärer auch die Möglichkeit hat, in der Luft aufgetankt zu werden, hat einen Grund, erklärt uns Generalmajor Andrew Mueller. Er ist der NATO Kommandeur für Deutschland und heute Crewmitglied auf diesem Einsatzflug.
    "Die Missionen dauern zwischen 10 und 12 Stunden. Die E-3A kann in der Luft auftanken. Insofern dauert das typische Mission-Scenario zwischen von 10 bis 12 Stunden."
    Komplexe Technik
    Generalmajor Andrew Mueller nutzt die Gelegenheit und stellt uns die Einsatz-Crew in der AWACS vor. Neben der Cockpit Crew besteht die Besatzung der AWACS aus 15 Spezialisten, die allesamt aus den verschiedenen NATO-Ländern kommen. Ihre Arbeitsplätze sind komplexe Bildschirmkonsolen. Michael Wilhelm ist der Systemtechniker und kümmert sich an Bord darum, dass diese Konsolen und alle Computer einwandfrei arbeiten.
    "Es ist sehr informativ und aufschlussreich, mit den anderen Leuten zusammenzuarbeiten. Weil, die wechseln ja ungefähr alle vier Jahre mal aus. Dann kommen Neue, also man ist immer mit verschiedenen Menschen zusammen und arbeitet mit ihnen zusammen. Ja, ich bin gebürtiger Wuppertaler und bin dann vor vielen Jahren nach Geilenkirchen gezogen."
    Die hochkomplexe Technik, so erzählt Michael Wilhelm, ist in jeder Hinsicht extrem gut abgesichert. Das kann man auch sehen, wenn man sich praktisch in diesem Flugzeug in den "Keller", das heißt, unter den Fußboden begibt. Marine hat ihn dorthin begleitet.
    "Ich durfte gerade hier mit in den Bauch des Flugzeuges klettern, wo die ganze Technik von oben zusammenläuft. Also hier sind die ganzen Generatoren, mysteriöse Kästen. Die ganzen Kabel sieht man hier, schwarz, rot, gelb. Alles Mögliche natürlich auch ohne Verkleidung, damit man hier immer alles überprüfen kann. Es natürlich auch relativ kühl hier. Ich bin gerade über eine Luke geklettert, wo stand "EXIT" und die war ziemlich kalt. Also da ist der Ausgang."
    An der Konsole hinter Michael Wilhelm sitzt Crysanthi Moschou. Sie kommt aus Katherini in Griechenland. Sie ist Luftraum Überwacherin und nach Geilenkirchen abkommandiert.
    "Ich bin seit einem Jahr dort stationiert und werde noch zwei weitere Jahre bleiben. Es ist sehr schön in Geilenkirchen. Die Arbeit ist sehr interessant. Die Erfahrungen, die ich hier mache, sind einfach großartig. Meine Tätigkeit an Bord ist die gleiche, die ich bei der griechischen Airforce ausgeübt habe. Die Zusammenarbeit zwischen Männern und Frauen ist sehr professionell, ich finde das sehr nett."
    Crysanthi zeigt uns an ihrem Bildschirm, wie man die einzelnen Radarziele identifizieren kann. Aus dieser Höhe kann man mit dem Radar einige hundert Kilometer weit im Umkreis sehen, sagt sie. Trevor Antivafe hat neben uns Platz genommen. Er ist der taktische Direktor und leitet die Mission. Trevor kommt von der Kanadischen Luftwaffe und schwärmt nicht nur von den Rocky Mountains in seiner Heimat.
    Internationale Crew
    "Es war eigentlich ein Versehen, das mich in diesen Job brachte. Ich war beim Militär und hatte nicht die geringste Ahnung, was ein Luftraum Überwacher ist. Ich wurde nach Geilenkirchen versetzt und entsprechend ausgebildet. Jetzt mache ich diesen Job mit Begeisterung. Der Dienst in Deutschland ist auch toll. Ich war schon mehrfach in Oberammegrau und Garmisch, auch in der Schweiz und Österreich, da fahre ich im Winter Ski."
    Treffpunkt zur kurzen Entspannung für die Crew ist die Küche, die sich im Heck, fast genau unter dem Radardom befindet. Dort gönnt sich der Navigator aus dem Cockpit gerade einen heißen Kaffee.
    "Ich bin Captain Jamie Budd von der United States Airforce. Ich komme aus Columbus, Ohio. Dort habe ich zunächst Betriebswirtschaft studiert, aber dann wurde ich Navigator bei der Airforce. Ich bin seit einem Jahr in Geilenkirchen und habe richtig Spaß hier in Deutschland. Am Rhein habe ich nicht nur alle Burgen besucht, sondern auch den exzellenten Wein genossen. Letztes Wochenende war ich auf dem Nürburgring und habe meine Corvette ausgeführt. Keine Angst, ich habe sie glücklicherweise in einem Stück nach Hause gebracht."
    "Nach Hause gebracht ist das Stichwort", meint Jamie lachend. "Wir beenden jetzt unseren Überwachungsflug in diesem Luftraum und bringen unseren Flieger wieder heim nach Geilenkirchen". In der Küche werden alle Tassen und Teller verstaut und gesichert, wie in einem Passagierflugzeug. Der einzige Unterschied, in der E-3A gibt es keine Stewardessen, dass machen alle Besatzungsmitglieder selbst. Jamie Budd hat Marine ins Cockpit eingeladen, um den Landeanflug auf Geilenkirchen mitzuerleben. Im Anflugkorridor geht es auch über Köln.
    "Es ist definitiv ein bleibendes Erlebnis hier einmal mit im Cockpit sitzen zu dürfen bei einer Landung hier auf dem Jumpseat zwischen den beiden Piloten. Beim Landeanflug sind wir über Köln geflogen. Ich konnte sogar die Domspitzen erkennen."
    "Beim Landeanflug dachte ich schon, oh je - oh je, die Landbahn springt uns gleich an. Aber die Piloten machen das so souverän und sanft. Es ist wirklich toll, ihnen bei der Arbeit zuschauen zu dürfen. Es war wirklich ein klasse Flug.
    Nach der Landung rollt die NATO-06 auf ihre Parkposition und Tactical Director Trevor Antifave beendet den Einsatz.
    Für Marine und mich war es eine Flugreise in zwei Flugzeugen die schlichtweg Luftfahrtgeschichte sind und heute einen wichtigen Dienst zu unserer Sicherheit in der NATO verrichten. Die Atmosphäre an Bord war, obwohl es militärische Flugzeuge sind, freundschaftlich... und international, so war auch der Abschied der Crew.
    "Adio, Güle Güle, Good by, Au revoir from Canada, Auf Wiedersehn, Arrivederci, Adios hasta la vista."