Filmhistoriker zum 100. Geburtstag Fellinis

"Poetisch, surreal, autobiografisch und barock"

07:37 Minuten
Federico Fellini bei Dreharbeiten in den 60er-Jahren.
"Federico Fellini erzählt in seinen Filmen selten kohärente Geschichten, stattdessen reiht er kleine Episoden aneinander", erklärt Filmhistoriker Ulrich Gregor. © imago images / United Archives
Ulrich Gregor im Gespräch mit Eckhard Roelcke · 19.01.2020
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Vor 100 Jahren wurde einer der größten Regisseure geboren: Der Italiener Federico Fellini. Seine Filme böten eine solche Überfülle an poetischen Erfindungen, dass jedes seiner Werke eine unglaubliche Bereicherung sei, sagt Filmhistoriker Ulrich Gregor.
Federico Fellini ist einer der ganz großen italienischen Regisseure. Mit Filmen wie "La Strada", "Achteinhalb", "La Dolce Vita" und "Amarcord" schrieb er Filmgeschichte: pralle, dralle, tragische und komische, farbenfrohe und sinnenfreudige Filme. Vor 100 Jahren, am 20. Januar 1920, wurde Fellini geboren.
Der Film "La Strada" stehe "sozusagen triumphal über allem anderen", sagt der Filmhistoriker Ulrich Gregor. Er hat viele Jahre lang mit Moritz de Hadeln die Berliner Filmfestspiele geleitet. 1954 habe er sein erstes Fellini-Erlebnis gehabt. Damals sah er als Student in Paris den Film mit Giulietta Masina in der Hauptrolle zum ersten Mal.
Auch heute sei der Film sehr präsent in seinem Gedächtnis, so Gregor: die Hauptdarstellerin, die einheitliche Struktur und die ausdrucksstarken Bilder. "Diesen Film kann man einfach nicht vergessen, er ist großartig" - und es sollten noch weitere großartige Werke folgen. Der Filmhistoriker nennt "La Dolce Vita", "Amarcord" und "Achteinhalb".

Gewisse Ziellosigkeit durchzieht Fellinis Werk

Letzterer ist nach Gregors Einschätzung vielleicht sogar Fellinis stärkster Film, weil der Regisseur darin über sich selbst erzählt. Gregor fasst die Handlung zusammen: Es ist die Geschichte eines ziellosen Regisseurs, der einen Film machen möchte, aber nicht weiß, wovon der handeln soll. Letztlich lässt er eine große Abschussrampe für eine Rakete bauen. Dann zieht er sich aufs Land zurück, führt Gespräche mit Kirchenmenschen und am Schluss gibt es eine Pressekonferenz, bei der alle einen Zirkus-Reigen tanzen.

Federico Fellini spricht durch ein Megafon.
Enge Verbindung zwischen der Substanz von Fellinis Filmen mit dessen italienischer Heimat - so sieht es Filmwissenschaftler Ulrich Gregor.© imago images / Mary Evans
"Das ist ein genialer Film mit sehr vielen Einfällen", sagt Filmhistoriker Gregor. Und fügt hinzu: Dieses Gefühl der Ziellosigkeit sei wohl auch eine ironische Selbstkritik von Fellini. Denn der gehe in seinen Filmen auch immer in verschiedene Richtungen. Er erzähle selten kohärente Geschichten, sondern reihe kleine Episoden aneinander. Diese seien Produkte seiner Erinnerung und seiner Fantasie.

Eng mit der italienischen Heimat verbunden

Fellinis Filme hätten dabei "auch immer eine surreale Dimension, eine Dimension der reinen barocken Erfindung", aber "auch immer eine autobiografische", die von seinen Eindrücken und Erlebnissen, seiner Umwelt, der Atmosphäre und dem Ambiente zehrte. Die Substanz seiner Filme sei sehr eng mit seiner italienischen Heimat verbunden, zeigt sich Gregor überzeugt.
Diese Ziellosigkeit oder Offenheit, wenn man so will, durchziehe auch Fellinis Karriere, die von sehr viel Hin und Her geprägt sei: So habe es immer wieder Auseinandersetzungen mit Produzenten gegeben und Drehbücher seien vielleicht sogar nie fertig gewesen, bis zum letzten Moment seien sie umgeschrieben, abgeändert und fortgesetzt worden.

Überfülle an poetischen Erfindungen

Obwohl Fellini "eigentlich nie politische Filme gemacht hat, sondern immer ganz persönliche, poetische Erfindungen", sei er oft von linksgerichteten italienischen Kritikern verteidigt worden. Eine Aktualität im politisch-sozialen Sinne sei nicht so ohne Weiteres zu greifen. Seine Filme böten aber eine solche Überfülle an poetischen Erfindungen, dass sie alle eine unglaubliche Bereicherung seien.
Letztlich könne Fellini mit niemandem verglichen werden, sagt Gregor: "Er war ein eigenwilliger Mensch, ein Esoteriker. Manchmal, so mochte es erscheinen, war er aber auch ein Gesellschaftskritiker." In jedem Fall seien Fellinis Filme Illuminationen für den Zuschauer.
(ckr)
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