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Lukrez
Über die Natur der Dinge

Mehr als 2.000 Jahre alt ist der Text von Titus Lucretius Carus alt, und doch liest sich sein "De rerum natura" überraschend modern, wenn man ihn in moderne Prosa überträgt. Der Übersetzer Klaus Binder hat es gewagt - und herausgekommen ist eine fesselnde Übertragung der Schrift eines antiken Philosophen.

Rezension von Dagmar Röhrlich | 05.07.2015
    Mehr als 2.000 Jahre alt ist der Text von Titus Lucretius Carus alt, und doch liest sich sein "De rerum natura" überraschend modern, wenn man ihn in moderne Prosa überträgt. Der Übersetzer Klaus Binder hat es gewagt - und herausgekommen ist eine fesselnde Übertragung der Schrift eines antiken Philosophen.
    "Die Urelemente also sind aus kleinsten Teilen gebildet, gleichwohl massiv und unteilbar, zu einer zusammenhängenden Masse dicht gepackt." Das schrieb Lukrez vor mehr als 2.000 Jahren. Im ersten Jahrhundert vor Christus, als das republikanische Rom in Wirren zu Ende ging, wollte Titus Lucretius Carus seinen Mitbürgern mit solchen Sätzen die Philosophie der Epikureer nahebringen. Tausende wohlgesetzte Hexameter in bestem Latein verwendete er darauf, die Römer davon zu überzeugen, dass nicht ihre Götter die Welt lenken, sondern der Zufall. Dass es nur diese Welt gibt, in der die Götter zwar existieren mögen, aber auch nicht mehr zu sagen haben als die Sterblichen. Und dass alles - Götter, Menschen, Tiere oder Steine - aus den gleichen Urelementen bestehen.
    Lukrez hat mit seinem Lehrgedicht "Über die Natur der Dinge" bei den Römern wenig Erfolg gehabt, und später dann, im christlichen Mittelalter geriet der Text weitgehend in Vergessenheit. 1417 grub der Humanist Poggio Bracciolini eine Kopie in einem deutschen Kloster aus und veröffentlichte den Text, doch mit dem Ansehen des Epikurismus wurde es dadurch nicht besser: Wer ihn schätzte, verbarg das tunlichst, oder bekam es, mit der Inquisition zu tun.
    Heute sind die Texte von Lukrez, Epikur und ihren Mitstreiter im Internet frei verfügbar, im Original und in zahlreichen Übersetzungen. Doch bislang interessieren sich nur noch Altphilologen, Historiker und Philosophen für sie. Dabei zeigen Texte wie "Über die Natur der Dinge", dass die antiken Wurzeln unserer Kultur oft überraschend modern wirken. Daher wagten sich der Übersetzer Klaus Binder und dem Berliner Verlag Galiani an eine deutschen Ausgabe von "De rerum natura".
    Der wunderbar gemachte Band bringt den antiken Text in einer Prosaübertragung, die sich nicht damit abquält, meisterhafte lateinische Hexameter in gedrechselten deutschen Verse zu zwängen. Binder will stattdessen "Lukrez Bild 'unserer Welt' in deutscher Prosa sichtbar machen: für Leser heute". Das ist ihm gelungen: Zu lesen ist ein wunderbar flüssiger, häufig geradezu schöner Text. Doch das hat seinen Preis: Oft bleibt unklar, wer da zu einem spricht: Der Römer aus dem 1. Jahrhundert vor Christus, oder der Übersetzer aus dem 21. Jahrhundert? Binders Kommentare geben zwar Hilfestellung, sind aber nicht ausreichend. Wer wirklich wissen will, was Lukrez gemeint hat, kommt daher nicht um die Kommentare herum, von denen Binder einige in seiner Bibliografie anführt. Wer es auf sich nehmen mag, kann auch das lateinische Original im Internet aufrufen. Dort heißt die eingangs zitierte Stelle im Original:
    "Sunt igitur solida primordia simplicitate
    Quae minimis stipata cohaerent partibus arte."
    Lukrez: "Über die Natur der Dinge", in deutsche Prosa übertragen und kommentiert von Klaus Binder, Verlag Galiani Berlin, 405 Seiten, 39.99 Euro, ISBN-13: 978-3-86971-095-2