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Lulu als mondäne Edelnutte an der Komischen Oper Berlin

Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth hat die Oper "Lulu" von Alban Berg bearbeitet. Die Geschichte über eine männermordende Vampkindfrau platziert sie ins rassistische US-Südstaaten-Milieu der 50er. Musikalisch generiert sie aus Bergs Ansätzen Jazz-, Blues- und Ragtime-Einschübe.

Von Georg-Friedrich Kühn | 01.10.2012
    Kann man Alban Bergs unvollendet gebliebene Oper "Lulu" verändern? Man muss, wenn man’s kann. Der österreichische Komponist Friedrich Cerha plusterte das Werk vor Jahren auf zu einem dreiaktigen Monster. Die österreichische Komponistin Olga Neuwirth geht den umgekehrten Weg. Sie dampft es ein. Und das Ergebnis darf man als über weite Strecken gelungen nennen.

    Mit einem Paukenschlag beginnt es bei Neuwirth, leitet im Vorspiel über in eine Art Minimal-Music. Neuwirth transferiert die nach heutigen Begriffen muffige Geschichte über eine männermordende Vampkindfrau ins rassistische US-Südstaaten-Milieu der 1950er Jahre. Die Figuren haben etwas andere Konturen und Namen.

    Aus dem Maler etwa ist ein Fotograf geworden. Dr. Schön, ihr sozusagen Pate, der sie einst aus der Gosse gezogen hat und den sie dann im Affekt erschießt, ist nun Dr. Bloom, sein Sohn Alwa mutiert zu Jimmy – hier mit Elvis-Schmalzhaar-Tolle.

    Neuwirth und ihre Mittextbearbeiterin Helga Utz lassen das Stück beginnen in einer Rückblende. Lulu ist die mondäne Edelnutte, die nach der Flucht aus dem Gefängnis abgetaucht ist in New York und dort in den 1970er Jahren reiche Männer abschöpft.

    Eleanor, die Berg‘sche Geschwitz, begegnet ihr dort wieder, hier eine Bluessängerin. Lulu und Eleanor hatten mal eine Affäre. Aber Lulu will von Eleanor’s Emanzipations- und Freiheitsgeschwätz nichts wissen. Sie ist der Narziss geblieben, der sie nach Neuwirths Einschätzung immer war: Niemand werde sie lieben, wie sie sich selbst liebe, so Lulu.

    Musikalisch hat Neuwirth Alban Bergs Ansätze in den 1930er Jahren, auch die populäre Musik der damaligen Zeit mit einzubeziehen, weiterentwickelt und generiert daraus Einschübe wie Jazz, Blues, Ragtime.

    Eine Kino-Orgel der damaligen Zeit, die Wonder Morton, ist in den Orchester-Sound einbezogen. Oder integriert ist der Klang einer Calliope, einer durch Dampf betriebenen Pfeifenorgel, wie sie auf den Mississippi-Dampfern des 19.Jahrhunderts benutzt wurden.

    Das gibt der Partitur eine frische Farbigkeit. Von der Berg‘schen Komposition erkennt man nur gelegentlich rhythmische Strukturen, wie etwa in der Auseinandersetzung Lulus mit Dr. Bloom – alias Dr. Schön. Relativ direkt schimmert Berg durch im berühmten Melodram.

    Für die Inszenierung hat man den russischen Regisseur und Filmemacher Kirill Serebrennikov gewonnen. Er ist auch sein eigener Ausstatter. Bühne und Kostüme sind in unterschiedlichen Grau-Tönen und Weiß-Schwarz-Kontrasten gestaltet. Auf der Bühne steht ein verfahrbarer Glaskäfig, mal Table-Dance-Bar, mal exotisches Gewächshaus mit mehlig-grau überzogenen Pflanzen, Lulus sozusagen Keimzelle. Schigolch, der hier Clarence heißt und ein Schwarzer ist, schleicht dort herum.

    Mit Marisol Montalvo hat man eine Lulu, die die Figur dieser Frau facettenreich ausspielen kann, stimmlich allerdings mit etwas zu starkem Vibrato. Della Miles als Eleanor, eine Art Angela-Davis-Figur im wallenden Afrolook, kann da insgesamt mehr überzeugen.

    Johannes Kalitzke am Pult des erweiterten Orchesters der Komischen Oper hat alles gut im Griff. Das Publikum zeigte sich am Ende des 100-minütigen pausenlosen Auftragswerks begeistert. Zu Recht.

    Es wäre der bessere Auftakt gewesen für die neue Intendanz von Barrie Kosky am Haus als seine eigene, doch allzu billige Musical-Fassung von Monteverdis drei hinterlassenen Opern in einem 12-Stunden-Marathon vor zwei Wochen.