Donnerstag, 28. März 2024

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Lungau
Ein Stück intakte Alpenlandschaft

Der Gau Lungau war lange nur über Passstraßen zu erreichen. Entsprechend dieser geografischen Abgeschlossenheit hat er viele Eigenheiten bewahrt und wirkt heute so authentisch wie nur noch wenige Flecken in Österreich.

Von Stefan May | 08.06.2014
    Im Lignitztal im Lungau, im Süden des Salzburger Landes
    Bergwandern im Lungau (picture alliance / Klaus Rose)
    Es ist früh am Morgen, die Luft ist noch kühl und riecht nach Wald und Heu und unverbrauchter Natur. Gerade hat uns der Postautobus an der Kirche des kleinen Ortes Sankt Gertrauden abgesetzt. Ein gelber Pfeil weist zum Wanderweg bergwärts, Richtung Almstüberl auf dem Moserkopf. Eineinhalb Stunden Anstieg durch den Wald stehen bevor.
    700 Meter höher, am Rand des kleinen Skigebiets Fanningberg, schaut seit bald 40 Jahren die Hütte in den Lungauer Talkessel. Rustikal und bodenständig, wie man es oft im Lungau findet: Grobe Bänke und Tische mit Bergpanorama stehen für die müden Wanderer bereit. Drinnen ist die Stube voll geräumt mit Dingen, die in dieser Gegend zum Alltag gehörten oder noch gehören: Kuhglocken, Holzschier, Lederhosen, Geweihe, Zuber, Körbe - als Garderobe dient ein aufgestellter Rechen. "Ein Museum, in dem man essen und trinken kann", sagt Georg Josef Sturm, der junge Hüttenwirt. Essen und trinken, das ist kräftige heimische Kost: Kasknödelsuppe, Räucherwürstel, Eierspeise mit Speck, Käse und Brot, Buttermilch - und natürlich das typische Lungauer Dessert, das Rahmkoch, das auch treffend als Alm-Marzipan bezeichnet wird: Ein kalorienreicher Powerriegel, der nach süßem, rohem Teig schmeckt, und den die Bauern früher während der harten Feldarbeit zu sich nahmen. Die Zubereitung bedarf gewisser Kenntnisse, erzählt Hüttenwirt Sturm.
    "Richtig guate Bauernbutter muss eine, die wird´ dann g´schmolzen, und dann kimmt schon langsam alles andere dazu: Der Rahm, bissel Mehl, dann kimmt Zimt, Rum, Rosinen, Anis. Und des muss man alles schön langsam nach und nach einrühren. Und des über a lange Zeit, a halbe Stund bis a Stund´ dauert des. Weil sonst verbrennt des nämlich alles. Und wenn man des nämlich falsch macht, dann klärt sich das, dann hast nur irgend so eine Kaugummimasse, und nur so ein Fett, darum muss man immer rühren, immer rühren, und nach und nach die Sachen eine. Bis 24 Stunden musst des dann erkalten lassen, am besten ist Zimmertemperatur, so um die 15 Grad tuat ihm guat. Dann wird des fest, des is zuerst schon zäh. A Toagmasse is´des. Und dann kannst es einfach in Stückerln abaschneiden. Ganz original wäre es im Lungau, denn vom Lungau kimmt ´s ja a, des kimmt nur von uns, in der Rehrückenform."
    Feierliche Umzüge mit einem Riesen
    Über viele andere Besonderheiten verfügt der 20.000 Einwohner große Bezirk des Landes Salzburg: das Heimatmuseum im ehemaligen Bürgerspital des Lungauer Hauptorts, der Marktgemeinde Tamsweg, zeigt sie. Aber nicht nur den einstigen Alltag einer bäuerlichen Gesellschaft: gleich neben der Tür zur früheren Kirche des Bürgerspitals wartet die acht Meter hohe Figur des Samson auf ihren alljährlichen Einsatz: Dieser Riese ist eine weitere Spezialität des Lungaus. Fast alle Orte verfügen über eine solche Figur, jede mit langem Haar und Vollbart, ausgestattet mit Helm und Lanze, darstellend den alttestamentarischen Riesen Simson. Bei feierlichen Umzügen schlüpft jeweils ein starker junger Mann des Dorfes in den Hohlkörper der bis zu 100 Kilogramm schweren Figur und schultert sie. Begleitet wird der Samson von zwei Zwergen mit großen Köpfen, in denen ebenfalls menschliche Träger stecken.
    Sonntag-Nachmittag in Wölting, einem Nachbarort von Tamsweg. Der Samson-Umzug beginnt: Voran marschiert die Musikkapelle, dahinter trabt, mitunter gefährlich schwankend, der Samson mit den Zwergen, dann folgt die Dorfbevölkerung. Vor den Gasthäusern absolviert der Samson jeweils ein kleines Tänzchen.
    Ist der kurze bedächtige Tanz zu Ende, stützen sofort vier starke Dorfburschen den Riesen, damit dieser nicht umstürzt. Nach dem Umzug sitzt dann das ganze Dorf vor dem Feuerwehrhaus und feiert bei Bier und Speckjause.
    Eine Steinwurfweite entfernt raucht es hinter ein paar Bauernhäusern: Dort schnauft eine Dampflok, der ein paar grüne Personenwägelchen angehängt sind, soeben Richtung Mauterndorf. Die kleine Taurachbahn war früher der letzte Abschnitt der Murtalbahn. Diese gehört den steiermärkischen Landesbahnen. Sie entschieden in den 80er Jahren, nur mehr auf dem steirischen Teil, von Unzmarkt entlang des Mur-Flusses gerade noch bis Tamsweg, zu fahren. Auf den letzten elf Kilometern, die im Land Salzburg liegen, führt seither der Club 760 in der Sommersaison Dampfbummelzüge. Er ist nach eigenen Angaben der älteste private Museumsbahnverein in Österreich. Am glasklaren Bach entlang pafft der Dampfzug dahin, durch helle Nadelwälder, bis zur Endstation Mauterndorf.
    Am Marktplatz von Mauterndorf, in einem der wuchtigen Bürgerhäuser, die um die Kirche stehen, befindet sich das Büro des Regionalverbands Lungau. Seit 2012 gibt es nämlich den Biosphärenpark Salzburger Lungau/Kärntner Nockberge. Um diesen Begriff mit Leben zu füllen, aber auch weil die Unesco sichtbare Ergebnisse einfordert, werden in dem Büro große Pläne gewälzt. Etwa, dass die Murtalbahn elektrifiziert und wieder wie früher bis Mauterndorf geführt werden soll, als umweltfreundliches Rückgrat des öffentlichen Verkehrs und nicht nur als saisonale Museumsbahn. Man diskutiert sogar die Idee einer Verlängerung bis Sankt Michael an der Tauernautobahn, so wie es vor dem Ersten Weltkrieg geplant war. Schon jetzt fährt im Sommer der sogenannte Tälerbus in die fünf großen, für den Autoverkehr gesperrten Seitentäler des Lungaus, die vom Talkessel wie gespreizte Finger wegführen. Künftig sollen nicht nur Elektrobusse, sondern auch Elektroautos für Einheimische und Gäste angeschafft und nach dem Carsharing-Prinzip eingesetzt werden. "Enkeltauglich" will der Lungau werden, sagt Projektmanager Stefan Fanninger - eine griffige Umschreibung des Begriffs Nachhaltigkeit.
    Beim Tourismus viel verschlafen
    "Aus meiner Sicht hat jetzt der Lungau einen großen Vorteil. Ich nehme jetzt einmal das Beispiel Tourismus her: Dann hat der Lungau, sage ich einmal, die letzten 30 Jahre verschlafen. Aus der heutigen Sicht finde ich, dass das derzeit einfach eine riesengroße Chance ist. Es ist in den letzten 30 Jahren in den Tourismusgebieten irrsinnig viel Schindluder betrieben worden. Wir haben wirklich noch einen sanften Tourismus, nicht nur, weil der Lungau auch sehr viele Seitentäler hat."
    Und diesen sanften Touristen will man nun etwas bieten: Etwa das Bisophärenpark-Frühstück.
    "Das Frühstück, das kommt hauptsächlich aus dem Lungau. Das Mehl wird da angebaut und das wird auch da veredelt. Der Vorteil dieses Biosphärenpark-Frühstücks: Die CO2-Bilanz, die ist einfach gegen Null, weil es gibt eine Zentralstelle, wo alle Erzeuger ihre Produkte hinliefern und von dieser zentralen Stelle wird nachher dieses Biosphärenpark-Frühstück sogar mit einem Elektroauto zu den Betrieben ausgeführt."
    Die Abgeschiedenheit der Region könnte sich zum Vorteil wandeln. Zum einen soll dem Ausverkauf der Landschaft Einhalt geboten werden. Zum anderen will man sich damit weiterer Abwanderung entgegen stellen, man will Menschen in ihrer heimatlichen Umgebung halten und neue Jobs in der strukturschwachen Region schaffen. Nicht zuletzt durch Besinnung auf die besondere Güte der heimischen Produkte. Holz aus dem Lungau hat eine hohe Qualität, da es aufgrund der Seehöhe von über 1000 Metern nur langsam wächst. Neben der Forstwirtschaft profitiert auch die Landwirtschaft von der alpinen Lage, bestätigt Hans Gappmayr, vulgo Kämpferbauer, der seinen Hof etwas oberhalb von Tamsweg betreibt:
    "Wir haben zwar im Tal auch Wachstumsbetriebe, aber durch die Höhenlage, durch die klimatischen Bedingungen, durch die Kleinstrukturiertheit der Landwirtschaft, ergeben sich da erst gar nicht die Möglichkeiten, dass sie bedingungslos wachsen, und auf der anderen Seite gibt sich die Chance, dass sich vor allem die Entwicklung im sanften Tourismus sozusagen durch Kooperationen mit dem Tourismus sich trotzdem positiv weiterentwickeln kann. Ein zweites Standbein zu schaffen und trotzdem, die Landwirtschaft im Lungau ist ja mehr als 60 Prozent Biolandwirtschaft, dass sie den Weg in Zukunft trotzdem weitergehen können."
    Der Funke der Begeisterung ist allerdings noch nicht im gewünschten Ausmaß auf seine Kollegen übergesprungen, räumt Landwirt Hans Gappmayr ein. Da braucht es noch einiger Überzeugungsarbeit für die traditionsbewussten Lungauer Bauern. Eines aber steht fest: Der Lungau ist ein Stück intakte Alpenlandschaft und will es bleiben.