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Lust am Polaroid

Die Fotografin und Performance-Künstlerin Brigitte Maria Mayer und Heiner Müller lernten sich 1990 kennen und schlossen den Bund fürs Leben. Sie begleitet den bekanntesten deutschen Dramatiker der Nachkriegszeit bis zu seinem Tod und dokumentierte die Stationen ihres gemeinsamen Alltags in Bildern. Nun liegen diese Erinnerungen in Buchform vor.

von Ursula März | 13.12.2005
    Es beginnt mit einer hingekritzelten Wegbeschreibung auf dem Rechnungsblock einer Gastwirtschaft. Auf dem unteren Stück des Zettels befindet sich die Werbung für eine Biersorte, darüber ein paar gekrümmte Striche, die wie bei einer Kinderzeichnung zu einem Rechteck führen, das ein Haus darstellt, daneben zwei Strichmännchen und eine Adresse: Erich-Kurz-Straße 9, 1136 Berlin-Friedrichsfelde. Es ist die ehemalige Wohnadresse des wohl bekanntesten deutschen Dramatikers der Nachkriegszeit, Heiner Müller.

    Dorthin zog, der Wegbeschreibung folgend, im Dezember 1990 die Künstlerin und Perfomerin Brigitte Maria Mayer, Heiner Müllers spätere Ehefrau, Mutter der gemeinsamen Tochter. Ein Altersunterschied von über 30 Jahren trennt die junge Frau und den berühmten Dramatiker. Sie ist 25, er über 60 Jahre alt, als sie sich im Oktober 1990 auf der Frankfurter Buchmesse kennen lernen. Ihr gemeinsamer Weg dauert fünf Jahre, bis zu Heiner Müllers Tod im Winter 1995.

    Mit der Abbildung der flüchtigen handschriftlichen Wegbeschreibung zu seinem Haus, beginnt ein Buch, das Brigitte Maria Mayer jetzt herausgegeben hat. Es enthält Bilder aus dem Alltag des Paares, Typoskripte von Arbeiten Heiner Müllers, die in der gemeinsamen Zeit entstanden. Von Anfang an teilten Heiner Müller und Brigitte Maria Mayer die Lust am schnellen Polaroidbild. In diesem Buch dokumentiert es auf berührende Weise eine Art existentielles Universum. Die Polaroidbilder halten die Schwangerschaft der jungen Frau, Situationen mit dem Kleinkind und, nicht viel später, Situationen mit dem schwer kranken, schon vom Tod gezeichneten Heiner Müller fest. Jede Kleinigkeit, auch der Zettel vom Kassenblock der Gastwirtschaft wird zum poetischen Element eines Romans in Bildern. So dokumentiert dieses Buch ein zeitgenössisches Künstlerdasein zu zweit, das einem romantischen Ideal folgt: der Einheit von Leben, Kunst und Liebe.

    "Im Lauf der Jahre war dann das Fehlen und die Sehnsucht vor allem das Reden. Also es gibt schon noch bestimmte Erinnerungen an Gerüche oder bestimmte Körperstellen, auch das Bedürfnis, den Kopf noch mal in Händen zu halten oder mit dem Kopf auf der Brust zu liegen, aber es ist dann im Lauf der Jahre mehr das Fehlen des Redens gewesen und sozusagen nicht nur im Alltag gefangen zu sein, es gab mit ihm immer eine zweite Ebene. Und die allein zu halten, sozusagen den Himmel allein zu halten, das fällt mir wahnsinnig schwer."

    Viele, ja, die Überzahl der Polaroidbilder haben Motive, die sich ausdrücklich auf die körperliche Nähe, den körperlichen Zustand und die Veränderung des Körpers durch die Zeit beziehen. Sie zeigen die Frau, Brigitte Maria Mayer, nackt und hochschwanger, oder den Mann, Heiner Müller, in Nahaufnahmen seiner todesnahen Hinfälligkeit. Diese Bilder sind intim, aber durch ihre ästhetische Organisation nicht indiskret.

    Real war das Paar Müller-Mayer fünf Jahre zusammen, einige Monate davon in Kuba, einige in Kalifornien, in der Villa Aurora. Später lebten sie in Brigitte Maria Mayers Atelier in Kreuzberg, dazwischen, als Heiner Müller an Krebs erkrankt war, auch in einem Münchner Krankenhauszimmer. Man merkt dem Buch an, dass dies fünf Jahre von enormer emotionaler Intensität waren, die Heiner Müller allerdings nicht nur die schwierigen Funktionen als Präsident der Ostberliner Akademie der Künste und der Cointendanz des Berliner Ensembles abverlangten, sondern darüber hinaus ein hohes Maß an öffentlicher und politischer Präsenz.

    Heiner Müller galt in den letzten Jahren seines Lebens und nach 1989 stärker als je zuvor als Repräsentant, als Symbolfigur der deutschen Teilung und der deutschen Wiedervereinigung. Mit keinem Bild, keinem Kommentar geht das Buch auf diesen Aspekt ein, im Gegenteil: man kann in der radikalen Beschränkung auf die Ikonographie des Privaten eine leisen Widerstand gegen die Entäußerung des Ehemannes und Geliebten durch die Öffentlichkeit und den Ruhm erkennen.

    "Ich habe es so empfunden, dass die Trauer der Öffentlichkeit meine überdeckt und nicht zugelassen hat. Es fängt ja damit an - da hat die Öffentlichkeit vielleicht noch nicht so viel damit zu tun - dass der geliebte Mensch, der geliebte Körper in die Institution Krankenhaus kommt. Das war ja schon mal eine Wegnahme, dass man ihn noch mal ins Krankenhaus gefahren hat. Mir hat damals das Wissen gefehlt und das Selbstbewusstsein, um zu sagen: er stirbt zuhause. Das fand ich schwierig in der Situation und schwierig fand ich auch, dass das BE mir die Beerdigung im Grunde aus der Hand genommen hat, oder ich habe mir sie aus der Hand nehmen lassen, und dass da zum Beispiel Fernsehrechte verteilt wurden, die mir so nicht bekannt waren. Aber wie gesagt, das war eben zum Schluss, das war eine Beerdigung für die öffentliche Person, das war für mich mehr eine Theaterinszenierung als eine Beerdigung. Aber vielleicht ist es eben so, ist das eben der Lauf der Dinge."

    "Der Tod ist ein Irrtum" - der Titel des Buches entstammt einem Gedicht von Heiner Müller. Der Tod aber ist, bildlich und motivisch, der Fluchtpunkt, auf den die Dramaturgie des Buches hinführt. In mehrere Kapitel eingeteilt gleicht es einem Stationendrama, das mit der Wegbeschreibung zur Wohnung in Berlin-Friedrichsfelde beginnt und mit einem Bild endet, das Heiner Müller kurze Zeit vor seinem Tod zeigt. Der Kopf ist von mehreren Kissen aufgestützt, das Gesicht ausgezehrt, der Blick in die Kamera ratlos. Danach kommt nur noch ein Bild: Es zeigt die inzwischen 13-jährige Tochter als Teenager, im Bett lümmelnd und telefonierend. Der Tod ist wohl deswegen ein Irrtum, weil sich de Kreislauf des Lebens über ihn hinaus weiter bewegt.

    "Diese Bilder lagen ja über Jahre bei mir im Atelier, in Kisten verpackt und ich habe sie jedes Jahr einmal ausgepackt und wieder eingepackt. Es ist ja so, dass dieses Buch nicht mehr und nicht weniger ist als eines meiner Bilder, meiner Kunstwerke, das eben auch aus eine Collage besteht. Das kennen Sie vielleicht vom Schreiben, sie haben Material im Kopf und plötzlich wissen Sie, wie es geht. Und so war das mit dem Buch, ich wusste plötzlich, wie es aussehen könnte. Und machen wollte ich immer etwas daraus, das war mir wichtig, dass diese Zeit mit Heiner Müller in meinem Leben eine Kontinuität bekommt. Das sie sich einreiht: es gibt ein Leben vorher, ein Leben nachher und ein Leben mit ihm. Der Raum, den wir haben, das heißt, den wir hatten, habe ich versucht, auf dieses Buch zu übertragen und das ist mir für mich auf jeden Fall gelungen."