Dienstag, 19. März 2024

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"Lust for Life" von Lana Del Rey
Innovativ oder rückwärtsgewandt?

Auf ihrem neuen vierten Album "Lust for Life" versucht sich Lana Del Rey erstmals an ein wenig Lebensmut und Optimismus. Wie ihr das gelingt und ob es eine Kehrtwende in der Karriere der New Yorkerin sein könnte, erläutert Musikkritiker Jens Balzer im Gespräch mit Christoph Reimann.

Jens Balzer im Gespräch mit Christoph Reimann | 22.07.2017
    Die US-amerikanische Sängerin Lana Del Rey bei einem BBC Radio 1 Konzert in der Burton Constable Hall in Hull, England.
    Die US-amerikanische Sängerin Lana Del Rey bei einem BBC Radio 1 Konzert in der Burton Constable Hall in Hull, England. (imago / PA Images)
    Christoph Reimann: Schmollmund und eine große Traurigkeit. Das sind so die ersten Dinge, die einem beim Namen Lana Del Rey einfallen. Dazu eine Musik der großen Geste und an eine unbestimmte Vergangenheit erinnernd. Eine verklärte Schwermut, als hätte man einen Instagram-Filter draufgelegt. "Video Games", so hieß der Song, der Lana Del Rey 2012 bekannt machte, das Album dazu "Born to Die". Gestern ist die neue Platte von Lana Del Rey erschienen, und auf der behauptet sie nun "Lust for Life". Der Musikkritiker Jens Balzer hat sich das Album schon angehört. Hallo, Herr Balzer.
    Jens Balzer: Guten Tag.
    Reimann: Tja, auf dem Cover zu "Lust for Life", da guckt Lana Del Rey ja gar nicht mehr so traurig, stattdessen grinst sie einen direkt an. Das hört sich zunächst nach einem ziemlich großen, starken Bruch dieser Kunstfigur an, die ja das Traurige zelebriert hat.
    Balzer: Ja, das stimmt. Aber natürlich bleibt die Kunstfigur als solche auch erhalten. Das Interessante an Lana Del Rey ist ja, dass sie überhaupt noch mal so eine starke Kunstfigur aufgebaut hat. Also unter den Künstlerinnen, die so in den letzten - sagen wir mal - fünf bis sechs Jahren erschienen, ja auch für mich die charismatischste Persönlichkeit. Sie wirkt immer - Sie haben gerade gesagt, wie ein Instagram Filter - irgendwie so von ihrer Aura, verwischt irgendwie. Oder ihre Videos sahen aus - wie das Video zu "Video Games" - als ob man da irgendwelche Super-8-Filme aus den sechziger Jahren auf irgendeinem Dachboden gefunden hätte. Sie wirkte da so wie eine mit Antidepressiva sedierte, sehr unglückliche Hausfrau aus einer engen Vorstadt-Welt, die sich nach irgendwas Großem sehnt, großer Liebe und großen Gefühlen, das dann aber doch nicht bekommt.
    Ausdruck der "Müdigkeitsgesellschaft"
    Reimann: Sie war ja damit sehr erfolgreich. Warum passte es damals so gut in die Zeit?
    Balzer: Ja, ich glaube, da kamen zwei Sachen zusammen. Zum einen war sie so das äußere Ende oder so der Sprung in den Mainstream dessen, was man damals so Retro-Kultur nannte, also dass so die Ausbreitung der digitalen Medien und des Internets und die Tatsache, dass jetzt allen jungen Musikern und Musikerinnen alles verfügbar war aus den Poparchiven der Vergangenheit, führte ja dazu, dass man sich erst mal nur noch mit der Vergangenheit beschäftigte und darüber dann auch so ein leicht melancholischer Ton in die Musik hineinzog irgendwie.
    Und zum anderen war sie dann vielleicht auch der perfekte Ausdruck dessen, was der Berliner Philosoph Byung-Chul Han mal ganz treffend die "Müdigkeitsgesellschaft" genannt hat, also unter dem Ansturm der Informationen, die man ja auch künstlerisch gerne verwertet irgendwie, fühlte man sich auf der anderen Seite doch ja auch ständig überfordert irgendwie, und erschöpft und sehr müde. Und ich glaube, das Interessante an Lana Del Rey war, dass ihr einmal so dieses Archiv und die Möglichkeiten des Archivs und der Überfülle an Informationen irgendwie zum ästhetischen Ausdruck brachte, aber andererseits dann eben auch gerade die Überforderung, Erschöpfung, und Sediertheit, zu der das manchmal ja auch führen kann.
    "Eher nach vorne gerichtet"
    Reimann: Und ist es nun anders auf der neuen Platte? Die heißt ja nun "Lust for Life".
    Balzer: Dieses Iggy Pop Zitat führt natürlich nirgendwo hin auf der Platte, also es gibt keinerlei Referenzen, es ist auch keine wirklich heitere Platte geworden. Es hat sich aber insofern schon was verändert, als - ja, Sie haben es ja schon gesagt - "Born to Die", hieß die erste Platte, und auch auf den folgenden herrschte immer so eine sehr starke, also fast schon so "wertherianische" Todessehnsucht vor, also dass die Frau oder das Mädchen, der auf der Erde nicht zu helfen ist und die eigentlich nur immer mit ihren unglücklichen Liebesgeschichten sich dann im gemeinsamen Tod mit dem angeschmachteten Mann irgendwie vermählen kann.
    Und das ist hier jetzt anders, es hängt natürlich immer noch so eine gewisse Melancholie und Verhangenheit über der Szene, aber es gibt viele Stücke, die so die kurzen Momente des Glücks beschwören. Also wie schon im Titelstück "Lust for Life", da geht es dann darum, dass sie sich mit einem geliebten Mann irgendwie gegenseitig die Kleider vom Leibe reißen und hemmungslosen Sex haben. Und danach sind sie natürlich wieder traurig, wie nach jedem hemmungslosen Sex irgendwie, aber, es wird zumindest irgendwie so der funkelnde Moment der Erhabenheit und des Glückes beschworen irgendwie, bevor das dann alles wieder in der Versenkung verschwindet. Es ist also eher nach vorne gerichtet, also ins Leben hinein, als dass es - wie auf den Platten davor - das Leben lediglich aus der Perspektive des Todes betrachten würde.
    Global gewordene Bedienung aus Pop-Archiven
    Reimann: Und das passt auch wieder zu einem Zeitgeist wie damals, 2012?
    Balzer: Ja. Interessanterweise ja. Weil ich glaube, dass dieser Griff ins Archiv und diese Retro-Kultur als deren - sagen wir mal - prominentesten Mainstream-Ausdruck Lana Del Rey ja dann ja irgendwie auf die Popbühnen trat, dass sich das mittlerweile verwandelt hat irgendwie. Das ist jetzt innerhalb der letzten fünf Jahre noch mal eine neue Generation an jungen Künstlerinnen und Künstlern angetreten, für die das ganz selbstverständlich geworden ist, dass man sich aus den Archiven bedient und dass man sich aus der Vergangenheit bedient und dass man sich aber auch irgendwie aus den global gewordenen Pop-Archiven bedient.
    Also aus allen möglichen Kulturen, Stilen und Szenen - ohne dass es jetzt noch das Gefühl vermittelt, dass man da irgendwas tut, was nicht authentisch wäre oder was einen in die Vergangenheit zurückreißt, und es ist einfach alles gleichzeitig da, gewissermaßen so eine post-kontemporäre Zeit, die damit eingetreten ist irgendwie. Man macht das einfach und man kann daraus auch wieder so einen gewissen Optimismus entwickeln, weil es einfach so selbstverständlich geworden ist. Und ich glaube da, es ist jetzt keine wirklich eine heitere Platte, die Lana Del Rey vorgelegt hat, und es ist auch keine, die jetzt wirklich viel mit so eklektischen Stilen arbeitet. Aber immerhin hat sie es dann auch aus dem Jammertal hineingerettet irgendwie und auch aus dem Softrock Sound, Jammertal ihrer Musik und in Zusammenarbeit mit Künstlern wie The Weeknd und mit Beatbastlern irgendwie so ...
    "Wie zwei Zeitebenen, die gegeneinander laufen"
    Reimann: The Weeknd ist R'n'B. Ist das so der Vibe des neuen Albums?
    Balzer: Ja, The Weeknd ist R'n'B, oder das, was man eine Zeit lang mal so Post-R'n'B nannte, also mit so einem sehr kunstvoll ziselierten, verfrickelten Beats irgendwie. Und dann aber auch natürlich bei The Weeknd so einer grundlegenden Melancholie drüber. Der ist ja auch oft sehr traurig, weil er mit seinem Leben nicht klarkommt, also passt insofern ganz gut zu Lana Del Rey. Aber es sind natürlich Sounds, die auch eher nach vorne denken oder nach vorne arbeiten oder aus der Vergangenheit, der Tradition des Soul und des R'n'B, was Neues zu machen, versuchen.
    Es gibt wirklich sehr interessante Stellen im Album, gerade auch in der Single, wo man das Gefühl hat, da laufen so zwei verschiedene Zeitebenen so gegeneinander. Also es ist noch diese Todessehnsucht da, aber dann gibt es unten drunter so magnetische Beats, die das nach vorne treiben und klickernde Bässe, die das nach vorne treiben. Also, als ob da irgendwie eigentlich so sich zwei verschiedene Zeitebenen ineinanderstülpen.
    Reimann: Und ist es eine gelungene Neuinszenierung von Lana Del Rey, dieses neue Album?
    Balzer: Es ist keine Neuerfindung, aber mir persönlich geht es so, dass es irgendwie die Platte von Lana Del Rey ist, die ich bisher am liebsten gehört habe. Also mir ging dieser Abstieg ins Jammertal, ging mir in den früheren Werken immer leicht auf den Keks. Und ich finde auch, das Frauenbild, was damit vermittelt wurde, also die Frau, die sich gewissermaßen nur im unerfüllbaren Anschmachten eines bewunderten Mannes eben zu sich selbst kommt, das fand ich auch eher regressiv. Und das ist hier in der Tat anders. Also es ist irgendwie in der Selbstinszenierung eine neue Souveränität ausgebrochen, und ich finde auch, es wird das Gefühl vermittelt, dass man sich in diesem depressiven Zwischenzustand zwischen Wachen und Träumen, Dinge, die sie immer noch beschwert, nicht ein ganzes Leben einrichten muss, sondern dass es eventuell Momente und Anlässe geben könnte, zu erwachen und was zu verändern.
    Also es gibt sogar ein Stück, das heißt "Change", das wäre ja für die Lana Del Rey völlig undenkbar gewesen. Also da wird irgendwie so der – na ja, für Deutsche immer schwierig - aber der Wind of Change beschworen, von dem sie das Gefühl hat, da hat sie in der Nase, dass sich jetzt was ändert. Und natürlich ist sie immer noch zu schlapp irgendwie, um sich aufzuraffen und jetzt bei den Veränderungen mitzumachen. Aber sie wartet darauf, dass der Wind stärker wird und dann sie und ihre Generation aus der Lethargie reißt.
    Reimann: Vielleicht auf dem nächsten Album.
    Balzer: Ja. Nummer sechs dann.
    Reimann: Das sagt der Musikkritiker Jens Balzer zum neuen Album von Lana Del Rey. Vielen Dank für das Gespräch.
    Balzer: Dankeschön.