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Luthers Spuren in Erfurt
Der Geist des späten Mittelalters

Die thüringische Landeshauptstadt Erfurt spielte im Leben des Reformators Martin Luther einer prägende Rolle. Er studierte an der Universität und wurde später im Dom zum Priester geweiht. Noch heute kann man Luthers Spuren in Erfurt erkunden.

Von Hildburg Heider | 21.05.2017
    Das Erfurter Luther-Denkmal steht vor der Kaufmannskirche auf dem Anger genannten Bereich. Luther lebte zwischen 1501 und 1511 in Erfurt.
    Das Erfurter Luther-Denkmal steht vor der Kaufmannskirche auf dem Anger genannten Bereich. Luther lebte zwischen 1501 und 1511 in Erfurt. (imago/Klaus Martin Höfer)
    Das Herz der Stadt schlägt hier: am Fuße des Erfurter Dombergs lausche ich der Gloriosa, der größten mittelalterlichen Glocke in Europa. Sie erklingt nur an hohen Festtagen, wie heute am Vorabend des Martinsfestes. Auf dem weiten Domplatz leuchten unzählige Laternen. Auf den Stufen, die hoch zum Dom führen, ist der Altar zum ökumenischen Gottesdienst bereitet.
    "Es ist immer ein Erlebnis, wenn man Martini, wenn man auf dem Domplatz steht und zu Beginn des Gottesdienstes 18 Uhr läutet die Gloriosa, das ist immer erhaben."
    Jost Häffner ist mit seiner Frau Helga hier. Heute ist Martini, wie Martin Luthers Geburtstag am 10. November genannt wird. Der evangelische Reformator wird zusammen mit seinem Namenspatron, dem Heiligen Martin, mit Gottesdienst und Laternenumzug gefeiert.
    "Martin Luther hat diesen Dom sicherlich öfter in seinem Leben betreten."
    Auf den Spuren des Reformators
    Ich sitze mit dem Dompfarrer Michael Neudert im Mittelschiff des Erfurter Mariendoms.
    "Das ist die Kirche, wo er vermutlich dort zur Promotionsvorlesung in den Kreuzganganbauten gewesen ist. Und er war sicher zur Priesterweihe hier am Dom."
    Zum Lutherjubiläum 2017 besuche ich wieder einmal meine Heimatstadt, um auf den Spuren des Reformators zu wandeln. Denn hier hat er studiert, ist dann ins Kloster eingetreten und hat in verschiedenen Erfurter Kirchen Predigten gehalten.
    Luther: "Die Erfurter Universität ist meine Mutter, der ich alles verdanke."
    Im Studentenwohnheim Luthers schlafen heute Pilger
    In der Innenstadt liegt das Studentenwohnheim, in dem Luther zwischen 1501 und 1505 gelebt hat: vermutlich in der Georgenburse, am Breitstrom gelegen. In der Mansarde des zweistöckigen Hauses betten heute Pilger ihr Haupt, viele machen hier Rast auf dem berühmten Jakobsweg. Die Theologin Irene Mildenberger zeigt mir im Erdgeschoß eine Ausstellung, die Einblicke in das Studentenleben von damals gibt.
    "Das Studium war ja so, dass man zuerst die sieben freien Künste studiert hat. Der erste akademische Grad, den man erringen konnte, war der Baccalaureus - der Bachelor heutzutage - und dann der nächste Grad der Magister, - der Master -, und später haben die meisten aufgehört zu studieren. Und erst wenn man diesen Magister Artium hatte, konnte man anfangen, Medizin oder Theologie oder Jura zu studieren."
    Den Raum beherrscht ein Thron.
    "Also da sitzt der Lehrer, der Magister dieser Burse, und unterrichtet die anderen. Und die sitzen da und schreiben auf, was sie hören. Das ist der Lehrstuhl. Das war eher so wie ein College, könnte man sagen: Man wohnt zusammen, man lebt zusammen, man lernt zusammen."
    Pauken ab 4 Uhr morgens
    Und zwar ab 4 Uhr morgens! Nach Andacht, Lehrveranstaltungen und Selbststudium gab es um 10 Uhr Frühstück. Und weiter ging es mit Büffeln. Um 17 Uhr dann die zweite Mahlzeit. Um 20 Uhr war Nachtruhe.
    "Es gibt einen Brief eines Verwandten, der erzählt, wie er Luther in der Georgenburse besucht hat. 'Grüßt mir unseren Verwandten Martin Luther, der als Baccalauereus mich einst zu Erfurt in der Georgenburse zugleich mit Konrad Hutter aus Eisenach einige Tage freundlich aufnahm.' Aus diesem Brief aus dem Jahr 1526 schließen wir, dass Martin Luther hier gelebt hat. Sein Eintrag, als er sich in der Universität einschrieb, ist das erste schriftliche Zeugnis, das wir von ihm haben."
    Vor mir im Faksimile das Immatrikulationsbuch aus dem Jahr 1501: "Martinus Luder ex Mansfeld."
    "Später kommt die Seite, wo er seinen Baccalaureus gemacht hat, das ging ziemlich schnell, das war schon 1502. Da steht er wieder: "Martinus Luder". Diesmal steht "De Mansfeld"."
    Aus dem Familiennamen "Luder" wurde später erst "Luther".
    Ort der Predigten
    Luther brauchte nur wenige Minuten zu Fuß zu seinen Vorlesungen. Ich folge seinen Spuren und gehe über die Michaelisstraße zu dem rekonstruierten Gebäude des Collegium Maius, Hauptsitz der alten Universität seit 1435. Sie ist eine der ältesten Universitäten im deutschen Sprachraum.
    Gegenüber dem Collegium Maius, an der Kreuzung Michaelis - und Allerheiligenstraße steht die Universitätskirche, die dem Erzengel Michael geweiht ist.
    "Hier hat Martin Luther als Student Gottesdienste besucht. Hier hat Martin Luther gepredigt, als er auf der Reise nach Worms war."
    Ulrich Seidel nimmt mich mit in den Glockenturm, der nur über eine steile Leiter zu erreichen ist. Hier hängt die älteste Glocke Erfurts mit dem Namen Katharina.
    Seidel: "Gegossen am Palmsonntag 1380. Und wie sie klingt, wenn man sie mit dem Fingerknöchel anschlägt, (macht es) können wir jetzt hören (sie schlägt)."
    Nach einem Gewitter gelobt Luther, Mönch zu werden
    Im Jahr 1505 macht Martin Luther seinen feierlichen Magisterabschluss.
    Luther: "Wie war es eine große Majestät, wenn man magistros promovierte und ihnen Fackeln vortrug und sie verehrte. Ich halte das keine zeitliche weltliche Freude dergleichen gewesen sei."
    Sein Vater möchte, dass er nun Jura studiert. Doch es kommt anders: Bei einer Wanderung am 2. Juli 1505 wird Luther von einem heftigen Gewitter so erschreckt, dass er gelobt, Mönch zu werden.
    Am 17. Juli 1505 verlässt Luther die Burse und klopft an die Pforte des weitläufigen, von einer Mauer umschlossenen Augustinerklosters. Er bezieht zunächst im Gästehaus Quartier, am heutigen "Renaissancehof".
    "Das gehört so zum Weg ins Kloster, dass man zuerst ein sogenanntes Postulat macht. D. h. man lebt zwar ein Stück weit das Leben im Kloster mit, aber man gehört noch nicht zur Gemeinschaft, man trägt noch nicht den entsprechenden Habit und ist noch zu nichts verpflichtet. Das ist so eine gegenseitige Beschnupperphase. Und in der Zeit hat auch Martin Luther hier gelebt."
    "Hauch von Askese"
    Jetzt führt mich die Pfarrerin der evangelischen Augustinerkirche durch die Klosterräume, die heute für Tagungen, Konzertproben und Übernachtungsgäste offenstehen. Im ehemaligen Kapitelsaal ist die Winterkirche untergebracht.
    "Hier ist noch der originale Fußboden erhalten. Das heißt, über diese Tonfliesen ist auch Martin Luther schon gegangen. Dieses Kloster ist ein sehr typisches Bettelordenskloster. Wenn Sie auf die Kirchenmauern schauen. Dann sehen Sie, dass diese Mauern aus Bruchstein gebaut sind, aus recycelten wiederverwendeten Steinen."
    Einen Hauch von Askese spüre ich in dem ungeheizten Gemäuer: Wie müssen die Mönche gefroren haben, wenn sie nachts oder in aller Herrgottsfrühe aus ihrem Schlafsaal im ersten Stock die steile Treppe herunterstiegen, um in der Kirche zu beten.
    "Man muss sich das wirklich so vorstellen, dass die Mönche in der Mitte in dem breiten Gang alle geschlafen haben, in einem Raum, und am Rand sind die kleinen Zellen. Aber die Zellen waren nicht dafür da, um in der Nacht und zum Schlafen Privatsphäre zu haben, sondern zum Beten und Bibel lesen und Studieren. Das heißt, man ging tagsüber in die Zelle um zu beten. Dafür durfte man allein sein. Durch die Gitter konnte man immer reingucken: Was macht der Mönch da?"
    Weiße Rose in Luthers Wappen
    Martin Luthers Zelle ist rekonstruiert: ein Stehpult, auch als Betstuhl zu nutzen. Das ist alles. Auf dem Boden liegt eine weiße Rose.
    "Diese weiße Rose war ein Sinnbild für Maria, und wir vermuten, dass Martin Luther, als er dann die Lutherrose als sein Wappen entwickelt hat, dass er die weiße Rose aus dem Fenster der Augustinerkirche übernommen hat."
    Mit Blick auf die Rose sitze ich neben Irene Mildenberger im Altarraum. Sie lädt zum Mittagsgebet.
    "An diesem Altar hat Martin Luther seine erste Messe gefeiert. Er wurde 1507 im Dom zum Priester geweiht und hat dann hier seine Primiz gefeiert. Der Stein ist noch original. Die Altarmensa ist aus der Erbauungszeit der Kirche."
    Luthers Einfluss auf das geistige Leben der Stadt
    Der ehemalige Pfarrer Robert Kern kommt regelmäßig zu den Gebetsstunden in die Augustinerkirche.
    "Die Ökumene ist in Erfurt. Der Papst war hier, ich bin selber von Haus aus evangelisch. Ich gehe täglich zur Messe, die evangelisch-katholische ist in Erfurt schon immer eine sehr gute Zusammenarbeit gewesen, und jetzt noch besser."
    Wer Erfurt auf Luthers Spuren erkundet, der begegnet ihm noch nicht als großem Reformator. Aber die Folgen seiner Ideen spürt man bis heute im geistigen Leben der Stadt. Und wie es Luther in seinen Tischreden selbst gesagt hat: Der Keim seiner großen Ideen, der wurde hier, in seiner Studentenzeit gelegt:
    Luther: "Ein alter Mann zu Erfurt hat mir gesagt, als ich noch ein Student war: Es muss eine große Änderung geben. So kann es nicht weitergehen. Ich meine: So ist es geschehen!"
    Beim diesjährigen Evangelischen Kirchentag steht Erfurt unter dem Motto "Licht auf Luther". Den ökumenischen Gottesdienst auf den Domstufen hat die evangelische Pfarrerin Irene Mildenberger zusammen mit anderen organisiert, und der katholische Pfarrer Neudert wir die Veranstaltung Himmelfahrtstag leiten. So hat Erfurt die ursprüngliche Kirchenspaltung - die Luther ja nicht im Sinn hatte - schon beinahe überwunden.