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Luxusgut Kind

In Griechenland ist die Geburtenrate um zehn Prozent gesunken, auf etwa 100.000 Kinder pro Jahr. Schuld ist der Sparkurs: Finanzhilfen an Eltern, auch an Eltern von kinderreichen Familien, wurden gekürzt oder gestrichen. Wegen der hohen Arbeitslosigkeit müssen Paare genau überlegen, ob sie ein Kind finanzieren können.

Von Rodothea Seralidou | 21.10.2013
    Neun Uhr abends beim Ehepaar Farakos. Der 34-jährige Stratos ist gerade von der Arbeit heimgekehrt; Antigoni, seine Frau, empfängt ihn mit einem Kuss und mit selbst gemachter Pizza und Salat. Drei Jahre ist das Pärchen schon verheiratet. Und eigentlich wollen sie auch Nachwuchs. Doch das ist momentan keine leichte Entscheidung, sagt Stratos:

    "Wir verdienen immer weniger und der griechische Staat behandelt seit der jüngsten Steuerreform Kinder wie ein Luxusgut: Der Staat geht davon aus, dass man, wenn man Kinder hat, mehr verdienen muss, um sich diesen Luxus überhaupt leisten zu können. Die Steuerlast ist deshalb bei Familien mit Kindern höher als bei kinderlosen Paaren. Sogar kinderreiche Familien haben fast keine Steuererleichterungen mehr. All das beeinflusst uns in unserer Entscheidung, ein Kind zu bekommen."

    Dabei gilt das junge Paar eher als privilegiert. Denn beide haben Arbeit. Antigoni arbeitet bei einer Bank, Stratos als Mathematiklehrer in einem Nachhilfeinstitut. Zusammen verdienen sie allerdings nicht mehr als 1500 Euro. Am Monatsende werde es oft knapp, sagt Antigoni. Und bei einer Arbeitslosenquote von 28 Prozent sei die Ungewissheit auch in ihrem Freundeskreis enorm:

    "Bei Freunden, die schon ein Kind haben, dreht sich alles um die Frage: was jetzt? Drei von vier befreundeten Pärchen wollen kein zweites Kind. Denn leider wird alles von Jahr zu Jahr schlimmer. Meine Freundinnen haben große Angst, dass sie nach der Geburt ihren Job verlieren könnten. Und davor fürchte ich mich auch. Es kommt leider oft vor, dass der Arbeitgeber junge Mütter entlässt."

    Diese Sorgen kennt Giorgos Kreatsas nur zu gut. Der Leiter der Geburtsklinik der Universität Athen macht gerade seine ärztliche Visite bei einem neugeborenen Mädchen und dessen Mutter. Rund 2000 Babys kommen jährlich in seiner Klinik zur Welt, doch die Entbindungen seien wie in allen griechischen Geburtskliniken rückläufig, sagt der Medizinprofessor.

    "In Griechenland wurden allein im letzten Jahr 5000 Babys weniger geboren. Der Geburtenrückgang ist viel höher als in anderen Ländern und die Ursache liegt in der finanziellen Krise, in der wir stecken. Die Geburtenrate ist mittlerweile auf 1,1 Kinder pro Frau gesunken."

    Die extrem niedrige Geburtenrate sei das eine, sagt der Mediziner. Problematisch sei aber auch, dass immer mehr junge Menschen Griechenland verlassen und ihr Glück im Ausland suchen. Ein unaufhaltsamer Bevölkerungsschwund beklagt Kreatsas. Und als wäre das nicht genug, gebe es immer mehr Fehlgeburten:

    Drei Mal mehr Fehlgeburten
    "Aus unseren Daten geht hervor, dass es im Jahr 2012 drei Mal so viele Fehlgeburten gab wie 2011. Der Stress, die Zukunftsangst, all die Probleme, die Frage, wie wird das Kind aufwachsen, all das führt immer öfter dazu, dass die werdende Mutter nur unregelmäßig zum Arzt geht und sich nicht ausreichend um ihre Schwangerschaft kümmert. Mit dem Ergebnis, dass ihr Körper den Embryo abstößt; die Frau verliert ihr Kind."

    Inzwischen würden vier Prozent der Schwangerschaften mit einer Fehlgeburt enden, gibt der Medizinprofessor zu bedenken.

    Das Ehepaar Farakos ist verunsichert. Eigentlich wollen Antigoni und Stratos nicht ohne Kinder alt werden. Und auch ihre Eltern wünschten sich seit Langem nichts sehnlicher als ein Enkelkind. Aber im Moment sei diese Entscheidung für oder gegen ein Kind einfach eine schwierige Angelegenheit, sagt Stratos und zuckt mit den Schultern. Wie es mit Griechenland weiter geht?

    "Bei der Entscheidung, ein Kind zu bekommen, denkt man doch nicht, was passiert mit Griechenland und der griechischen Nation in 500 Jahren. Man denkt, was bedeutet es für einen selber und was passiert mit dem Kind, wenn es erst einmal da ist. Ich bin mir sicher: Wenn die finanzielle Situation sich bessert, wird es auch mit dem Kinderkriegen wieder besser. Dann wird auch die Zahl der Geburten wieder steigen."