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Lyrik als Leistungsport

Die Briten sind im Olympiafieber – und erweisen sich dabei als Freunde der Dichtkunst. So sendet die BBC noch bis zum 4. August jeden Tag ein oder zwei Gedichte aus jedem der 204 teilnehmenden Länder. Doch die Verbindung zwischen Sport und Poesie ist nichts Neues: Bei den alten Griechen gab es keine sportliche Veranstaltung ohne Dichter, Maler, Bildhauer!

Laf Überland | 30.07.2012
    Ja, die Engländer sind das wahre Volk der Dichter, die BBC hat einen "Poet in residence", und in Wimbledon rezitierte 2010 dieser Tennispoet.

    Und erst recht zur Olympiade brauset ein Sturm der Lyrik über das Land! In komplizierten Verfahren ausgewählte Verse wurden auf Mauern, an Bäume und Skulpturen im Olympischen Park geheftet – zur Erbauung der gestählten Athleten wie der wabbeligen Besucher gleichermaßen. (Wir wissen ja, dass die Engländer alle zu dick sind...)

    Auch der englische Lottoverein hat zwölf athletisch inspirierte Poeme von Freizeitdichtern gekürt, die im Olympischen Park deklamiert werden. Selbst Unbeteiligte (wie ein Medienberater namens Henry Birtles) schreiben plötzlich Gedichte, stellen sie ins Netz und benachrichtigen via Twitter ihre Gefolgschaft.
    Aber die Verbindung zwischen Sport und Poesie ist überhaupt nichts Neues, bei den alten Griechen bereits gab es keine sportliche Veranstaltung ohne Dichter, Maler, Bildhauer! An den Austragungsorten erklärten Philosophen ihre neuesten Theorien im Wechsel mit Wagenrennen und Faustkämpfen, und das Publikum jubelte gleichermaßen den korrekt mit Himation gekleideten Dichtern zu wie den mit Olivenöl eingeschmierten halbnackten Athleten. Für die Dichter und Bildhauer war dies auch ein günstiger Jobmarkt: Konnten sie doch gleich Aufträge an Land ziehen, die Sieger als Statue zu verewigen – und ihre Taten zu rühmen in Versen.

    Und die Dichterei wurde sehr ernst genommen! Als der sizilianische Diktator Dionysius 384 v. Chr. schlechte Gedichte vortrug, schlugen ihn die empörten Fans zusammen und zertrampelten sein Zelt!

    Und dann griff ja der Baron de Coubertin diese wunderbare Idee auf, als er die Olympischen Spiele der Neuzeit initiierte – und von 1912 bis 1948 wurden tatsächlich neben den Athleten auch die musischen Sieger mit Medaillen behängt. Bis dann das poetische Niveau der Amateure (die Regelung gab's ja damals noch...) das Wortwerfen als olympische Disziplin wieder verschwinden ließen.

    Viel, viel Mühe gab sich deshalb jetzt im olympischen Umfeld der schottische Verein "Written World", und jetzt sendet die BBC noch bis zum 4. August jeden Tag ein oder zwei Gedichte aus jedem der 204 teilnehmenden Länder: Das sind Poeme des irischen Dichters Matthew Sweeney über das Erdbeeren-Pflücken im Garten ebenso wie das des nigerianischen Englischprofessors Niyi Osundare über die Freude zur Ankunft der Regenzeit. Vorgetragen werden die Poeme von Landsleuten der Dichter, ergänzt um zwei, drei Minuten über ihre Heimat – wie die Malediven, woher Farah Didis "Wirklichkeit des Insellebens" stammt.

    Es lag auf der Hand, dass ein angloamerikanisches Land wieder die hehre Kultur und die Olympiade zusammenführen würde – schließlich heißt "Gymnasium" auf Englisch ja "Turnhalle". Doch ob sich das olympische Komitee von dem mutigen Vorstoß von London erweichen lässt? Gibt es bald wieder Wettkämpfe in Chorgesang, Bildhauerei und im Dichten?

    Ganz neu (das gab's nicht mal in der Antike) wäre die Einführung der Personalunion von Poet und Athlet: Von der Muskelmasse her würde 50 Cent zum Beispiel auch optisch gut passen.