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"Mache ich die Tür auf und was erwartet mich dahinter?"

"12 Rooms" im Museum Folkwang Essen und "Current" in der Kokerei Zollverein - zwei Projekte der Ruhrtriennale, die am Freitag eröffnete. Keine ganz großen Überraschungen findet Christiane Vielhaber in den Werken.

Das Gespräch führte Doris Schäfer-Noske | 19.08.2012
    Doris Schäfer-Noske: Die Bochumer Jahrhunderthalle, die Gebläsehalle Duisburg oder die ehemalige Waschkaue der Zeche Zollverein in Essen – solche Industriedenkmäler sind die typischen Schauplätze der Ruhrtriennale. Am Freitagabend wurde das Festival eröffnet, und diesmal ist auch das Folkwang-Museum in Essen als Spielstätte dabei. Dort gibt es nämlich ein Live-Art-Kunstprojekt. Es kommt von zwei Kuratoren, die Ähnliches schon beim Kunstfestival in Manchester realisiert haben. Dort haben sie ihren Künstlern beim ersten Mal 15 Minuten Zeit für eine Performance gegeben. Ein ander Mal stellten sie ihnen dann elf Räume zur Verfügung. "12 rooms", so heißt nun leicht abgewandelt ihre Ausstellung in Essen. Frage an meine Kollegin Christiane Vielhaber: Was ist denn in diesen zwölf Räumen zu sehen?

    Christiane Vielhaber: Ich komme jetzt noch mal auf den O-Ton von Herrn Goebbels zurück, der vom Publikum spricht. Ich kann nur davon sprechen, was ich erlebt habe, und das ist eine Pressekonferenz, und das ist ein Unterschied, ob Sie allein in einem Museum sind und da gibt es einen großen Raum, in dem es zwölf abgeschlossene Räume gibt und wo Sie sich entscheiden müssen: Mache ich die Tür auf und was erwartet mich dahinter? Bei so einer Pressekonferenz geben wir uns gegenseitig die Klinke in die Hand und dann ist eine Angst völlig ausgeschlossen, denn wenn schon jemand rauskommt und der kommt lebend raus, oder schüttelt nicht den Kopf, dann ist das alles etwas runtergefahren.

    Es wurde überall gesagt, diese beiden tollen Kuratoren – Sie haben es gesagt -, die haben es vorher schon in Manchester gemacht; dasselbe wird nächstes Jahr in Sydney und dann noch sonst wo gezeigt werden. Es ist also nicht so die große Überraschung oder die große Provokation für das Publikum. Gleichwohl gibt es Momente, die nicht provozierend sind, sondern wo man gefordert ist, und dann denke ich, so Mitmachkunst, das ist eigentlich vorbei. Ein Beispiel: Sie machen die Tür auf und unten ist es wie bei so einer Hundehütte, Sie müssen sich ganz runterbücken, um da reinzugucken, man hat die Decke so weit runtergezogen, und da hinten in der Ecke liegt eine Person, oder kauert eine Person, und die sehen Sie jetzt. Sollen Sie diese Person ansprechen?

    Oder eine Arbeit von Marina Abramovic, die schon uralt ist, und damals hat sie die selbst gemacht: Sie kommen in den Raum und dann ist an der Wand eine nackte, in diesem Fall eine wunderschöne junge Frau, die auch vorher in der Sonne war, was man sieht, sie hat da einen Bikini an, und die balanciert auf einer Art Sattel in ihrem Schritt oder unter ihrem Schritt, hat die Arme gespreizt wie der Gekreuzigte. Die Beine hat der Gekreuzigte aber nicht gespreizt; die spreizt sie aber auch, damit sie die Balance halten kann. Und Sie fragen sich nur: Wie lange zittert die noch, wie lange hält die das aus. Und diese Nacktheit zu ertragen, das ist ja heute in unserer Zeit nichts Besonderes mehr. Auch da ist eigentlich irgendwie diese Provokation von Nacktheit und wie reagiere ich darauf runtergefahren.

    Oder in einem anderen Raum kommen Sie rein und da fragen Sie sich nur: Wie ist das gemacht? Auf dem Boden steht eine Person oder liegt oder schwebt fast wie Hip-Hop, die hat auch so Hosen an wie Hip-Hop, eine Chinesin oder Koreanerin, weiß ich nicht, und nach hinten gebeugt, und die verharrt in dieser unglaublichen Bewegung, wo Sie immer denken: Sind da irgendwo Stäbe, ist die hypnotisiert?

    Schäfer-Noske: Sie haben vorher gesagt, die Künstlerin hat das auch schon selber gemacht. Aber das sind jetzt überall Schauspieler?

    Vielhaber: Absolut! Die werden auch genannt. Und Sie können sich vorstellen bei dieser Hip-Hop-Tänzerin, dass da alle paar Stunden jemand Neues kommen muss. Die werden also auch namentlich aufgeführt, auch die bei der Kino Segal, was wir nun alle zur Genüge kennen von der Arbeit auf der Biennale vor vier Jahren in Venedig, wo Sie angesprochen werden und wo Sie nicht wissen, darf ich jetzt antworten und was halte ich von der Kunst und geht's mir gut und ja, ja, es geht mir gut.

    Schäfer-Noske: Dann noch zu einem weiteren Kunstprojekt, ebenfalls in Essen: in der Mischanlage der Kokerei Zollverein. Was ist das für ein Raum?

    Vielhaber: Das Tollste an dieser Installation von der israelischen Videokünstlerin sind eigentlich die Räume. Es sind auch zwölf Räume, Bunker genannt. Hier wurde früher die Kohle gemischt, damit die Kohle immer dieselbe Qualität hatte. Die kam also oben von einem Förderband, und dann gibt es 30 Meter tiefe Trichter. Sie fahren also mit dem Aufzug 30 Meter hoch und Sie gehen jetzt durch die Räume, durch diese fürchterliche oder hinreißende Beton-Architektur, und Frau Rovner hat dann an diese Wände projizieren lassen Menschenmassen, die sich auch mischen, und insofern hat das was mit dieser Mischanlage zu tun: Menschenmassen, die zum Beispiel im Kreise gehen und dann immer tiefer in diesen Trichter absinken und dann wieder hoch kommen.

    Oder in einem anderen Bunker sehen Sie dann diese Menschenmassen auf einen Horizont zugehen und seitlich kommen sie wieder runter, und alles ist im Fluss. Darum heißt diese Arbeit eben auch "Current": Alles ist im Fluss, aber alles ist eben auch zeitgenössisch.

    Schäfer-Noske: Und das ist auch der Beginn einer Reihe der Ruhrtriennale, dieses Projekt?

    Vielhaber: Hier soll in Zukunft jedes Jahr irgendwas mit Videokunst oder so stattfinden. Es finden da oder haben da aber auch schon Theateraufführungen stattgefunden und ich kann mir vorstellen, dass allein diese Architektur so was Sensationelles ist, was wir, die wir alle nicht in den Pütt gefahren sind, die wir das alle nicht erlebt haben, so nicht kennen.

    Schäfer-Noske: Christiane Vielhaber war das über zwei Kunstprojekte bei der Ruhrtriennale.