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Machtkampf in der rechtsnationalistischen MHP
Bekommt Erdogan Konkurrenz von rechts?

Für das angestrebte Präsidialsystem braucht der türkische Präsident Recep Tayyip Erdogan noch einige Stimmen im Parlament, um die nötige Volksabstimmung durchzusetzen. Bislang war er sich der Stimmen der rechtsnationalen Oppositionspartei MHP relativ sicher, doch in der tobt ein Machtkampf. Ein Teil der Partei begehrt auf.

Von Gunnar Köhne | 17.06.2016
    Die frühere türkische Innenministerin Meral Aksener und ein Abgeordneter der rechtsnationalistischen Partei der Nationalistischen Bewegung (MHP) stehen vor einer Absperrung vor dem Hotel, in dem eine Parteiversammlung stattfinden sollte.
    Die frühere türkische Innenministerin Meral Aksener steht vor einer Absperrung vor dem Hotel, in dem schon im Mai eine Parteiversammlung der MHP stattfinden sollte. (AFP / Adem Altan)
    Am kommenden Sonntag soll in Ankara ein Parteitag veranstaltet werden - nur der amtierende Vorsitzende will nicht kommen. Devlet Bahceli, seit fast 20 Jahren Chef der rechtsnationalen Partei der Nationalistischen Bewegung MHP, hat stattdessen einen eigenen Parteitagstermin verkündet:
    "Wir haben den Termin für den außerordentlichen Parteikongress in Ankara auf den 10. Juli festgesetzt. Diejenigen, die den 19. Juni beschlossen haben, hegen eine böse Absicht, sie wollen einen Putsch, sie haben der Nationalistischen Bewegung damit den Krieg erklärt. Die Führung der MHP wird am 19. Juni nicht teilnehmen!"
    Die oppositionelle MHP steht vor einer Zerreißprobe - eine Entwicklung, die Staatspräsident Erdogan gefährlich werden könnte. Denn der stets grimmig dreinblickende 68-jährige Bahceli wird von einer Frau herausgefordert, der viele die Rolle der Oppositionsführerin zutrauen: Meral Aksener, ausgebildete Lehrerin, vor 20 Jahren einmal kurzzeitig Innenministerin, danach lange Jahre stellvertretende Parlamentspräsidentin. Eine Frau ohne Kopftuch, stets modern frisiert und mit auffallend glatter Gesichtshaut. Sie sieht das Potenzial ihrer Partei bei über 20 Prozent. Doch bei den Wahlen im vergangenen November erreichte die MHP mit elf Prozent nur den vierten Platz.
    Nachdenkliche Töne zu Gezi-Protesten
    "Herr Bahceli sagt ja selber, dass er nicht auf Ministersessel schiele. Wieso macht er dann Politik? Ich sage: Ja, wir wollen die Ministersessel besetzen, und den Präsidentensessel gleich dazu! Die AKP will uns bei den nächsten vorgezogenen Neuwahlen unter die Zehn-Prozent-Hürde drücken und somit die notwendige Parlamentsmehrheit für die Einführung eines Präsidialsystems erreichen. Mit mir an der Spitze wird es das nicht geben. Es wird das Ende der Alleinherrschaft einer Partei sein."
    Aksener ist eine erbitterte Gegnerin des von Erdogan angestrebten Präsidialsystems. Ansonsten steht sie, wie die MHP insgesamt, in vielen Fragen rechts von der AKP. In der Kurdenpolitik stellt sie sich gegen jeden Kompromiss und plädiert für einen unerbittlichen Kampf gegen die militante PKK. Den Beschluss des Deutschen Bundestages zum Völkermord an den Armeniern brandmarkte sie als "skandalös". Aber es kommen von Aksener auch nachdenkliche Töne, etwa zu den Gezi-Protesten 2013:
    "Das Ganze fing doch an wie mit den Blumenkindern in den 70er-Jahren. Das sind doch unsere Kinder gewesen, die irgendwann einmal dieses Land regieren sollen. Der damalige Ministerpräsident Erdogan hätte in den ersten Tagen doch bloß auf die Jugendlichen zugehen und zu fragen brauchen: Was wollt ihr? Dann wäre es doch nicht so eskaliert."
    Ausgang des Machtkampfs in der MHP noch offen
    Damit zielt Aksener auf das liberale Bürgertum in den westlichen Großstädten der Türkei. Dort sitzt die Enttäuschung über die anderen Oppositionsparteien tief. Die größte, die republikanische Volkspartei CHP, trauert dem Kemalismus nach und stimmte mit der Regierungsmehrheit für die Aufhebung der Immunität der kurdischen Abgeordneten. Die bedrängte kurdennahe HDP ihrerseits will sich nicht von der terroristischen PKK distanzieren. Deshalb würden, darauf deuten Umfragen, wohl auch etliche liberale Wähler für die rechte Frontfrau Aksener stimmen, wenn dadurch nur die totale Machtübernahme Erdogans verhindert werden könnte. Und dass der AKP derzeit nur eine Partei von rechts gefährlich werden könnte - darin sind sich die meisten Beobachter in der Türkei einig.
    Wie der Machtkampf in der MHP ausgeht, ist noch offen. Aksener und die anderen Parteirebellen wollten schon Mitte Mai einen Parteitag abhalten. Doch der wurde von einem Gericht verboten. Die Zugänge zum Tagungsgebäude waren von der Polizei blockiert. Dieses Mal erklärte ein Gericht die Parteitagspläne für legal. Zu Beginn der hiesigen Sommerferien könnte es in der Türkei noch einmal innenpolitisch interessant werden.