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Machtkampf vor und hinter den Kulissen

Alle vier Jahre wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Ein Mann muss es sein, sagt der Wächterrat. Mahmud Ahmadinedschad darf nach zwei Wahlperioden nicht mehr antreten. Am Kurs des Landes dürfte sich nach der Wahl aber wenig, bis nichts ändern.

Von Reinhard Baumgarten | 13.06.2013
    "Die Wahlen sind das Symbol des politischen Epos. Sie sind das Symbol der Autorität des islamischen Systems, das Symbol der Ehre des Systems."

    Ayatollah Ali Khamenei. Der Oberste Führer und Rechtsgelehrte. Der wirklich starke Mann Irans.

    "Die Ehre der Islamischen Republik hängt von den Wahlen ab und von der regen Teilnahme der Bevölkerung sowie deren Mitwirken, die Führung des Landes zu bestimmen."

    Alle vier Jahre wird im Iran ein neuer Präsident gewählt. Ein Mann muss es sein. Das sagt der Wächterrat, der über die Tauglichkeit der Kandidaten befindet. Das konservative Gremium beruft sich auf die iranische Verfassung, in der es heißt:

    Gewählt werden können religiöse, politische Männer.

    Das entscheidende Wort lautet rijāl. Es kommt aus dem Arabischen und bedeutet Männer. 2005 wurde der damals 48-jährige Mahmud Ahmadinedschad erstmals gewählt. 17.284.000 Stimmen soll der Mann aus einfachen Verhältnissen bekommen haben – also mehr als doppelt so viele wie andere Konservative in den Wahlen vorher. Mahmud Ahmadinedschad folgte auf den Reformer Mohammed Chatami, der zuvor schon mit überwältigender Mehrheit gewählt worden war und sich an den konservativen Kräften seines Landes die Zähne ausgebissen hatte. Mahmud Ahmadinedschad - tiefgläubig, von Beginn an der Revolution und ihrem Führer Ayatollah Khomeini treu ergeben, strebsam, ehrgeizig und machtbewusst.

    Die Revolution habe der Erlangung von Grundrechten für das Volk gedient - unter anderem der Freiheit, erklärte er unlängst. Zur anstehenden Präsidentenwahl darf er nicht mehr antreten. Nach zwei Wahlperioden muss ein neuer Mann gewählt werden, schreibt die Verfassung vor. Mahmud Ahmadinedschad war 22,5, als die Revolution der absoluten Monarchie von Schah Mohammed Reza Pahlevi im Februar 1979 ein Ende setzte. Acht Jahre lang war der promovierte Bauingenieur Präsident der Islamischen Republik. Gerne hätte er sein politisches Vermächtnis gesichert.

    "Ohne die Existenz der höchsten Werte – Freiheit und freie Wahl – sind alle anderen Werte sinnlos und wertlos. Nur die freie Wahl der Werte schafft große Menschen. Freiheit gehört dem gesamten Volk."

    Einsicht oder Ansicht? Wohl eher Kalkül eines Mannes, der wie kein iranischer Präsident vor ihm polarisiert hat - nach innen wie nach außen. Ein Mann, der das iranische Atomprogramm massiv beschleunigt, die strategische Feindschaft mit den USA und Israel verbal auf die Spitze getrieben und durch öffentliche Leugnung des Massenmordes an Juden im Zweiten Weltkrieg im Westen den Verdacht genährt hat, der Iran strebe nach Atomwaffen und der Vorherrschaft im Nahen Osten. Ein Mann, der wie kein hoher Amtsträger vor ihm die Machtprobe mit dem Obersten Führer Ayatollah Ali Khamenei gesucht hat.

    "Alle müssen aufpassen, dass in den Bereichen Macht, Politik, Wirtschaft und selbst in der Technologie kein Monopol entsteht. Ein Monopol korrumpiert die Menschen."

    Unerhört offene Worte, könnte man meinen. Doch es geht dem scheidenden Präsidenten um ein Monopol im Monopol, um die Konzentration der Macht in immer weniger Händen. Es geht um den innersten Machtzirkel der Islamischen Republik, zu dem er nur noch bedingt dazugehört. Es geht um jene, mit denen sich der Oberste Führer umgibt, denen er zuhört, die ihn beraten und ihm unverbrüchlich ergeben sind. Ahmadinedschad ist keiner mehr von ihnen. 686 Bewerber haben sich bis zum 11. Mai für das zweithöchste Amt im Staat registrieren lassen. Namhafte Reformer sind nicht unter ihnen – ihre politische Ausrichtung weist offensichtlich in die falsche Richtung. Mehdi Karoubi und Mir Hossein Mussawi, die Galionsfiguren der Grünen Bewegung des Jahres 2009, sind geächtet und stehen unter Hausarrest. Konservative konkurrieren bei der anstehenden Wahl mit erzkonservativen Getreuen des Obersten Führers Ali Khamenei. Der 74-Jährige ist Irans wirklich starker Mann – de jure und de facto. Wer im Iran Präsident werden will, benötigt die Zustimmung des Wächterrats. Der Wächterrat besteht aus 12 Mitgliedern: sechs Geistlichen, die von Ayatollah Khamenei ernannt werden, und sechs Juristen, die das Parlament wählt. In den Wächterrat gewählt werden können nur Kandidaten, die vom Obersten Richter vorgeschlagen werden. Der Oberste Richter wiederum wird vom Obersten Rechtsgelehrten – also von Ayatollah Khamenei - direkt ernannt. Der Wächterrat gilt als eigenständiges Verfassungsorgan. De facto kann er aber als verlängerter Arm des Obersten Rechtsgelehrten wirken.

    Kandidatenkür in Teheran. Erster Schritt - Registrierung der Kandidaten. Kurz vor Schluss erscheinen sie noch: Mahmud Ahmadinedschad und sein Adlatus Esfandiar Rahim Masha'i.

    Er wolle jene enttäuschen, verkündet Noch-Präsident Ahmadinedschad, die es nicht gut mit dem Land meinten. Es sei seine Pflicht, seinen Bruder und Freund zu unterstützen. Mahmud Ahmadinedschad und Rahim Masha'i bilden seit Jahrzehnten ein Tandem. Zwei ihrer jeweiligen Kinder sind miteinander verheiratet. 2009 sollte Masha'i Vizepräsident werden. Doch Irans starker Mann, Ayatollah Khamenei, legte sein Veto ein.

    Wenig ist über Rāhim Mashā'i bekannt. Eines aber steht fest: Die Hardliner in der Teheraner Führung wollten unbedingt verhindern, dass er Präsident wird, sagt Prof. Sadegh Zibakalam von der Uni Teheran.

    "Wahrscheinlich ist die genaueste Beschreibung der Beziehung zwischen Rāhim Mashā'i und den Hardlinern die, dass die Hardliner Angst vor ihm haben. Sie fürchten ihn wirklich. Er mag keine Macht haben, aber sie fürchten ihn. Sie fürchten nicht Chatami oder Hashemi Rafsanjāni. Aber Rāhim Mashā'i fürchten sie."

    "Die Hardliner sind bezüglich der Wahl in einer sehr schwierigen Situation. Sie sind konfrontiert mit Ahmadinedschad. Er besteht darauf, dass Mashā'i ins Rennen einsteigen kann. Wenn Rāhim Mashā'i einsteigt, dann hätte er sehr gute Chancen, zu gewinnen."

    Rāhim Mashā'i wird die Wahl nicht gewinnen. Der Wächterrat hat ihn aus dem Rennen ausgeschlossen.

    Ebenfalls nicht dabei: Ali Akbar Hashemi Rafsanjāni. Wider Erwarten betritt der 78-jährige Ayatollah kurz vor Anmeldeschluss am 11. Mai die Bühne. Von 1989 bis 1997 war er schon einmal Präsident. In der Klerikerstadt Qom ist er als junger Mann Schüler und glühender Verehrer von Ayatollah Ruhollah Khomeini. Rafsanjāni ist ein Urgestein der Islamischen Republik, ein Mann der allerersten Stunde. 2005 will er erneut Präsident werden, doch überraschenderweise verliert er gegen den damaligen Bürgermeister von Teheran, Mahmud Ahmadinedschad. 2009 zeigt Rafsanjāni Ansätze von Sympathie für die grüne Opposition, die den Sieg Ahmadinedschads anzweifelt. Rafsanjāni fällt bei Ultrakonservativen und Hardlinern in Ungnade. Auch der Oberste Führer, Ali Khamenei, distanziert sich.

    "Die Meinungen des Ex-Präsidenten Rafsanjāni und des Präsidenten gehen auseinander. Auch, was innen- und außenpolitische Fragen betrifft. Aber meine Ansichten sind denen des Präsidenten (Ahmadinedschad) näher."

    Am 13. Juni 2009 gibt die iranische Wahlbehörde bekannt, dass nach Auszählung von 87 Prozent der abgegebenen Stimmen auf Amtsinhaber Ahmadinedschad 62,6 Prozent der Wählerstimmen entfallen. Herausforderer Mir Hossein Mussawi hat demnach nur 32,7 Prozent bekommen.

    Was folgt, ist beispiellos in der Geschichte der Islamischen Republik. Es beginnt als friedlicher Protest von Millionen Menschen und mündet in Unruhe, Chaos und Treibjagden in den Straßen von Teheran.

    Schüsse, Tote, Verletzte, Festnahmen. Tagelang ziehen Ströme von Demonstranten durch die iranische Hauptstadt.

    Wochenlang halten die Proteste an.

    Die Randalierer, erklärt der Oberste Führer Ali Khamenei, hätten es auf die Ruhe und die Sicherheit des Landes abgesehen – ungeachtet des Wahlergebnisses. Keiner dürfe ihre Absichten unterstützen.

    "Ihr müsst den Feind enttäuschen. Wer an diesem Aufruhr beteiligt ist, begeht eine große Sünde, weil dem Feind Hoffnung gemacht wird. Der Feind hofft, er könne einen Platz in unserem Volk einnehmen."

    30 Menschen, so die offizielle Zahl, sollen infolge der Proteste umgekommen sein. Die Opposition spricht von 69 Toten, die ihr namentlich bekannt seien. Nach und nach bekommt die Führung des Landes die Lage wieder in den Griff. Ali Khamenei zieht zufrieden Bilanz.

    "Das iranische Volk hat großes Können bewiesen. Aus einer höheren Perspektive betrachtet, erkennt man die göttliche Hand, die unsere Herzen bewegt und unsere Seelen zu seinen Zielen leitet. Der Herr ist mit euch, er ist in unseren Herzen, er zeigt uns den richtigen Weg."

    Iran im 35. Jahr nach der Revolution. Mehr als 70 Prozent der 75 Millionen Einwohner sind jünger als 35. Das Durchschnittsalter liegt bei 27. Jährlich verlassen rund 250.000 junge und gut ausgebildete Iraner ihre Heimat auf der Suche nach einer Zukunft jenseits der Islamischen Republik. Die Wahl von 2009, die anschließenden Proteste und die ausufernde Gewalt waren für viele Menschen im Iran ein einschneidendes Erlebnis. Ist die anstehende Wahl wichtig? Stimmen aus dem zentraliranischen Yazd.

    "Ja, 100 Prozent. Das spielt doch eine wichtige Rolle für das Land. Jeder muss seine Stimme abgeben und seine Meinung äußern. So ist es besser aus meiner Sicht. Abgeben ist besser als nicht abgeben."

    "Die Stimmung in ganz Yazd ist ungefähr so wie meine. Das heißt, viele gehen nicht wählen, und jeder hat einen eigenen Grund. Der Eine ist gegen das ganze System, der Andere meint, er hält nichts von Wahlen, und ein Dritter sagt, er sei nicht politisch, und es sei ihm egal, wer gewählt wird. Jeder hat also einen Grund."

    "Es zählt das, was die da oben sich wünschen. Die wählen ihren Kandidaten, und wir alle sind Teil einer Show - so wie vor ein paar Jahren. Wir haben jemanden gewählt, und ernannt wurde ein anderer."

    "Ich weiß nicht, ob ich zur Wahl gehe. Vielleicht nicht. Mir fehlt die Motivation. Der Grund ist die jetzige Situation. Wenn sie hier fragen, dann finden Sie keinen, der zufrieden ist. Alle sind unzufrieden."

    Die Unzufriedenheit wird genährt durch sich weiter verschlechternde Lebensumstände. Der iranischen Wirtschaft geht es nicht gut. Preise für Grundnahrungsmittel und Gebrauchsgüter haben sich binnen Jahresfrist vervielfacht. Die Inflationsrate liegt offiziell bei 27 Prozent. Die Arbeitslosigkeit steigt. Etwa in der Autoindustrie. Sie gehört zu den innovativsten Branchen der iranischen Wirtschaft. Der Produktionsrückgang soll iranischen Medien zufolge bei fast zwei Dritteln liegen. Die Kaufkraft der Bevölkerung sinkt. Mehr und mehr sind die Menschen im potenziell reichen Iran damit beschäftigt, ihr finanzielles und materielles Überleben zu sichern.

    Der Iran ist das Land mit dem größten Potenzial im gesamten Nahen Osten. Es verfügt mit rund 18 Milliarden Tonnen über die drittgrößten bekannten Ölreserven und die zweitgrößten Erdgasvorkommen der Welt. Der Iran verfügt über Erze, Wasser, fruchtbaren Boden, über eine gut ausgebildete Bevölkerung und - im Vergleich zu den arabischen Staaten - über eine breit gefächerte Industrie. Doch die iranische Wirtschaft fällt mehr und mehr in Agonie. Die heimische Währung hat seit Inkrafttreten des EU-Ölembargos im Juli 2012 sowie der Sanktionen gegen die iranische Finanzwirtschaft zwei Drittel an Wert verloren. Die Ölexporte sind auf rund eine Million Fass am Tag um mehr als die Hälfte gesunken. Einnahmen aus dem Verkauf von Öl und Gas sind mit weitem Abstand die wichtigsten Devisenbringer der Islamischen Republik. Verantwortlich für die Misere seien nicht nur die harten internationalen Sanktionen, meint der Publizist Davud Bavand.


    "Misswirtschaft ist der Hauptgrund. Daran gibt es überhaupt keinen Zweifel. Ich sehe darin noch vor den Sanktionen den Hauptgrund."

    Die Hardliner innerhalb der iranischen Führung, sagt der Politikwissenschaftler Sadegh Zibakalam, schieben die Schuld gerne auf Ahmadinedschad

    "Ahmadinedschad wiederum schiebt die Verantwortung auf die Sanktionen. In Wahrheit sind beide Schuld - die Sanktionen ebenso wie auch Ahmadinedschads Missmanagement."

    Ahmadinedschads Missmanagement endet mit seiner Amtszeit. Ob ein neu gewählter Präsident eine erfolgreichere Wirtschaftspolitik betreiben kann und wird, ist bei den gegenwärtigen Machtverhältnissen fraglich.

    Die Ehre der Islamischen Republik hänge von der Wahl ab, hat der Oberste Führer, Ayatollah Ali Khamenei, seinen Landsleuten ins Gewissen geredet. Er wünsche sich eine hohe Wahlbeteiligung. Nach der Wahl dürfte eine solche auch von den Wahlbehörden bescheinigt werden. Am Kurs des Landes dürfte sich nach der Wahl aber wenig, bis nichts ändern. Der Großhändler Ali im Bazar von Teheran:


    "Wir sind gezwungen, auf unseren Führer zu hören. Und wir dürfen auf keinen anderen hören. Es ist wie in einer Familie. Er ist unser Vater, und wir müssen auf unseren Vater hören, auch wenn der Vater falsch liegen sollte."

    Darüber, dass der Vater falsch liegen könnte, wird in der Islamischen Republik nicht öffentlich diskutiert.