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Madame Man Ray. Fotografinnen der Avantgarde in Paris

Viele der Namen in diesem Buch kennt man. Berenice Abbott, Giséle Freund, Lee Miller - das sind die Protagonistinnen der "Neuen Fotografie" zu Beginn des zwanzigsten Jahrhunderts.

Claudia Fuchs | 25.07.2002
    Paris war in den zwanziger und dreißiger Jahren die Hauptstadt der Avantgarde und viele der ehrgeizigen jungen Frauen landeten zunächst im Atelier des Amerikaners Man Ray, der die Foto-Szene beherrschte. Sie wurden sein Modell, seine Assistentin oder seine Geliebte wie die schöne Lee Miller, die sich ebenso wie ihre Nachfolgerinnen nur mit Mühe von ihrem Mentor lösen konnte.

    Zehn Fotografinnen, die in Paris ihren eigenen Stil entwickelten und diese frühen Erfahrungen oft mitnahmen in die spätere Emigration hat die promovierte Romanistin Unda Hörner porträtiert.

    Mit dem kompakten Band ist der Autorin etwas sehr Erfreuliches geglückt. Sie stellt die Fotografinnen nicht nur in Einzelbiografien vor, sondern setzt sie in Verbindung mit dem künstlerischen und gesellschaftlichen Umfeld, das ihre Fotokunst prägte und dem sie ihre beruflichen Beziehungen verdankten. In dem Kapitel "Ein Fest für die Augen - Der Mythos Paris" beispielsweise werden die deutschen Emigrantinnen Ré Soupault, Ilse Bing und Marianne Breslauer vorgestellt, die hier fotografisch ihre künstlerischen Wurzeln fanden. Die kommentierend eingefügten Fotos zeigen, was die verspielten Alltagsszenen von Ilse Bing und Marianne Breslauer von den strengeren Kompositionen Ré Soupaults unterscheidet.

    Wie experimentierfreudig Frauen mit der Kamera umgingen zeigt Unda Hörner in dem Kapitel "Ich war ich - das Selbstporträt". Die Arbeit mit dem Fotoapparat, so die Autorin, "ist auch ein direkter Ausdruck eines bewusst gewählten Alleingangs. Die meisten der damals berufstätigen Frauen gründeten keine Familie. Der Aufbruch in neue Domänen, der Eintritt ins öffentliche Leben vertrug sich nur schlecht mit einem Dasein als Hausfrau und Mutter. ... Das eigene Werk, nicht ein eigenes Kind, war Ausdruck und Manifestation des eigenen weiblichen Ich."

    Die meisten der Frauen stammten aus dem gehobenen, oft jüdischen Bürgertum und waren schon früh mit Kunst in Berührung gekommen. Die in Posen geborene Germaine Krull hatte ebenso wie die Berlinerin Marianne Breslauer bereits eine Foto-Ausbildung abgeschlossen, als sie nach Paris kam. Germaine Krull experimentierte in der Modefotografie mit Mehrfachbelichtungen und ungewohnten Blickwinkeln; die Berlinerin Gisèle Freund stellte in der berühmten Buchhandlung von Adrienne Monnier zum ersten Mal Porträtfotos aus. Sie verzichtete im Gegensatz zu vielen Kolleginnen auf das Retuschieren der Fotos. "Schriftsteller, Dichter, Sprachschöpfer, Randfiguren; sie sind die zerklüftetsten Landschaften im Reich der Gesichter", schrieb Adrienne Monnier 1939, "die fremdartigsten, die dem gegenwärtigen Schönheitsideal nicht entsprechen. ...".

    Die Fotografin Florence Henri zeigte in ihren Großaufnahmen von Objekten die Welt als Konstrukt. Ihre Sicht war vom Bauhaus-Konstruktivismus geprägt. Obwohl die Künstler und Literaten in Paris sich als progressiv empfanden, die geschlechtsspezifischen Zuordnungen blieben doch erhalten. Kunst wurde immer noch als rein männliche Aktivität betrachtet. Frauen waren eine nette Zierde, aber nicht gleichberechtigte Partnerinnen. In Man Rays Fotolabor war die Amerikanerin Berenice Abbott zwar die Frau der ersten Stunde - in seiner Autobiografie aber kommt sie nur am Rande vor. Dass Abbott eine der größten international anerkannten Fotografinnen geworden ist, erwähnt Man Ray mit keinem Satz.

    Unda Hörner hat eine klar gegliederte Einführung in die Frauen-Fotoszene im Paris der Avantgarde geschrieben. Gelungen ist außerdem eine spannende Milieustudie, die leicht zu lesen ist. Keine der hier porträtierten Frauen, schreibt die Autorin zum Schluss, hat sich jemals für eine Ideologie verkauft. Gemeinsam war ihnen allen ihre Autonomie und die Entschiedenheit, nie mit einer Frau wie Leni Riefenstahl an einem Tisch sitzen zu wollen. Als Riefenstahl 1936 ihre Olympiafotos machte, hatten sich ihre größtenteils jüdischen Kolleginnen bereits ins Ausland retten müssen.