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Mädchenhandel in Japan

"Zeige mir deinen Umgang mit Frauen, und ich sage dir, wer du bist!" - mit dieser Variante einer altbekannten Redensart liegt man bis heute nicht falsch. Unter ihrem Blickwinkel die Wirklichkeit einer Gesellschaft oder einer Kultur zu betrachten, garantiert aufschlussreiche Einblicke in diese und vermag so manche ihrer dunklen Seiten ans Licht zu bringen. Auch im Falle Japans ist das nicht anders.

Von Astrid Nettling | 12.10.2005
    Tomoko Yamazakis "Sandakan Bordell Nr. 8" beleuchtet ein besonders trübes Kapitel japanischer Geschichte - den Mädchenhandel in Japan, bei dem systematisch und gewerbsmäßig bis in die 30er Jahre des letzten Jahrhunderts Tausende von jungen Mädchen aus ärmsten Verhältnissen, oft noch im Kindesalter, von ihren Familien als Prostituierte ins benachbarte Ausland verkauft worden sind.

    In Bordelle, die wiederum von Japanern im ganzen pazifischen Raum, vornehmlich in China, Indonesien, Malaysia und Singapur betrieben wurden. Die genaue Zahl lässt sich nicht mehr ermitteln, man geht davon aus, dass im Zeitraum von 1885 bis 1935 einhundert- bis zweihunderttausend Japanerinnen zumeist aus ländlichen Gebieten, die besonders von Armut betroffen waren, dieses Schicksal ereilte.

    Karayukisan wurden sie genannt – abgeleitet von karayuki, "sich auf eine Reise ins Ausland begeben". Als feststehende Bezeichnung für diese Mädchen setzte es sich in den 70er Jahren durch, nachdem Tomoko Yamazaki mit ihrem Buch deren Lebens- und Leidensgeschichte dem diffusen Dunkel gesellschaftlicher Unterbelichtung entrissen hatte. Eine Pionierarbeit in mehrfacher Hinsicht. Zwar war es nicht die erste Untersuchung über Auslandsprostitution, aber die erste, die das Schicksal der karayukisan zum Anlass und Exempel nahm, Licht auf eine Gesellschaft zu werfen, die durch ihre konfuzianisch geprägte Tradition noch bis weit in die Moderne hinein die Frauen als Menschen minderen Rangs betrachtete – was nicht zuletzt der Prostitution und in deren Folge auch dem Frauen- und Mädchenhandel eine erstaunliche gesellschaftliche Akzeptanz einbrachte.

    Zum anderen und in der Hauptsache ist "Sandakan Bordell Nr. 8" die Lebensgeschichte von Osaki, einer ehemaligen karayukisan, die die Autorin bei ihren Recherchen das Glück hatte kennen zu lernen. Recherchen, die sie nach Amakusa, einer unterentwickelten bäuerlichen Region ganz im Süden Japans, führten, von woher viele der Auslandsprostituierten stammten. Auch die 72-jährige Osaki, die wie zahlreiche andere karayukisan nach Kriegsende in ihre japanische Heimat zurückkehrte. Im Alter von zehn war sie von ihrer Familie an einen Mädchenhändler verkauft worden.

    "Dieser Mann kam eines Abends zu uns. Er und mein Bruder haben an der offenen Feuerstelle gehockt und lange geredet, bis in die frühen Morgenstunden. Dann haben sie sich endlich darauf geeinigt, das er 300 Yen für mich bezahlt und mich dann nach Sandakan auf die Insel Borneo mitnimmt. "
    Nicht wissend, was sie in der Fremde erwartet, erfährt Osaki erst dort, im Bordell Nr. 8, dass ihr das Leben einer Prostituierten beschieden ist. Doch nicht ihre bedrückende Geschichte allein macht das Buch lesenswert. Seinen besonderen Reiz entfaltet es durch die einfühlsame Rahmenschilderung der Autorin. Darin erzählt sie, wie sie, nachdem sie zufällig der alten, unter kümmerlichsten Umständen lebenden Osaki begegnet ist, sich entschließt, für eine Zeitlang, deren kärgliches Leben zu teilen, um die Lebensgeschichte einer karayukisan aus erster Hand zu erfahren.

    Diese gemeinsame Zeit bis hin zum bewegenden Abschied, bettet die Geschichte Osakis, die von Tomoko Yamazaki in Ich-Form nacherzählt wird, in eine persönliche Beziehung ein und schützt sie so vor bloß äußerlichem Interesse und voyeuristischer Neugier. Dadurch gelingt der Autorin ein lebendiges, anrührendes Porträt von Osaki, was die Lebensgeschichte dieser einfachen Frau, von der keiner jemals etwas erfahren hätte, die weder lesen noch schreiben konnte, jahrzehntelang im Ausland als Prostituierte gearbeitet hat, irgendwann in ihre Heimat und Armut zurückgekehrt ist, zugleich der Anonymität und dem Vergessen entreißt.

    Es ist ein stilles Buch, durchaus japanisch in seiner Zurückhaltung, unspektakulär wie auch das Leben der Osaki trotz allem gewesen ist – aber dennoch war es etwas Einmaliges, über das zu erfahren auch bei uns sich lohnt.

    " Liebe Tomoko, ich denke an dich, als wärst du meine Tochter, und sage einfach Tomoko zu dir, und du denke bitte auch so, als wäre ich deine Mutter. Ich stehe um vier Uhr in der Früh auf und bete für dein Wohlergehen zu Odaishi-sama und zu den anderen Gottheiten. Wann kommst du wieder einmal zu mir? Ich warte auf dich. Bleib schön gesund bis dahin.
    Yamakawa Saki "