Samstag, 20. April 2024

Archiv


Männernöte vor dem Spiegel

Endo Anaconda, mit bürgerlichem Namen Andreas Flückiger, schreibt seit Jahren Kolumnen für Schweizer Zeitungen in denen über die Nöte eines alternden Revoluzzers berichtet wird. Seine Männerprosa, welchen die zelebrierte Männlichkeit nicht ganz ernst nimmt, ist nun als Sammelband erschienen.

Von Sieglinde Geisel | 26.10.2012
    In der Schweiz ist Endo Anaconda längst Kult. Vor über zwanzig Jahren gründete er, damals noch als Duo, die Band "Stiller Has". In schwerem Berndeutsch besingt Anaconda das Lebensgefühl einer Generation – jener Generation, die in den achtziger Jahren in der Schweiz den Aufstand probte und die nun die fünfzig deutlich überschritten hat.

    Politisch hielt die Achtziger-Bewegung eine prekäre Balance: Das Pathos der Weltrevolution, mit dem die 68er angetreten waren, lehnte man ebenso ab wie den Rückzug ins Private. Man liebäugelte mit Drogen, Gosse und dem Absturz in die Katastrophe. Doch irgendwann werden alle Familienvater, und nun droht das Spießertum. Für einen frühen Tod ist es zu spät, und auswandern will man nicht, schon gar nicht, wenn man ein halber Österreicher ist, wie Anaconda.

    Manchmal fühle ich mich selber wie eine nur aus mir selbst bestehende, unverstandene Jugendkultur. …Aber während ich stets das Establishment erschüttern wollte, reicht den heutigen Kids offenbar die Selbsterschütterung.

    Endo Anaconda, mit bürgerlichem Namen Andreas Flückiger, schreibt seit Jahren Kolumnen für Schweizer Zeitungen – nun sind diese Texte über die Nöte eines alternden Revoluzzers als Sammelband erschienen. Wer an seinem Körper Raubbau getrieben hat und noch eine Weile leben möchte, dem helfen nur noch gute Vorsätze. Doch sofort bekommt er es auch mit deren Widersacher zu tun: dem inneren Schweine- oder, gut schweizerisch, Sauhund.

    Nach einem Hustenanfall fing er an, die Wohnung nach Schokolade, Drogen, Alkohol, Schusswaffen und Autokatalogen zu durchwühlen. Ich floh unter die kalte Dusche.

    Dort ergeht sich der Autor, wie könnte es anders sein, in Mutmaßungen über sein bestes Stück, eine seiner Dauersorgen.

    Der Sauhund lümmelte am Waschbecken und goss sich, amüsiert von meinen Betrachtungen, den dritten Gin Tonic ein. 'Das hängt ja alles…', wollte er noch lästern, nahm ihm aber dann den Drink aus der Hand, schluckte ihn selber und beschloss, gleich am nächsten Tag ein Fitnessstudio zu kontaktieren.

    Ein Mann von den fleischlichen Dimensionen eines Endo Anaconda im Fitness-Studio – haha. Und genau deshalb liest man Anacondas Kolumnen so gern: Er meint zwar uns alle, aber in die Pfanne haut er zuallererst sich selbst. Dies gilt auch für seine neue Rolle als Familienvater. Als rauchender Vater muss er es sich mit dem Kinderwagen draußen vor der Gaststätte gemütlich machen, und dort sinniert er dann über die Mütter und Väter auf der anderen Seite der Fensterscheibe.

    Seitdem sie anstatt des Näschens nur mehr Bébéfüdi pudern, nicht mehr saufen, rumhängen und dauernd auf Aufriss sind, sind sie einfach unerträglich. Fast so ätzend wie ich selbst.

    Kolumnen sind, naturgemäß, Selbstbespiegelungen, doch Endo Anaconda schaut tatsächlich in den Spiegel – kein schöner Anblick.

    Die Müdigkeit hatte sich wie zwei graublaue Miniaturleberwürste unter meine Augen gehängt. Blass wie ein RAF Fahndungsfoto.

    Was tun, wenn einen die Angst vor der "andropausalen Krise" packt? Anaconda setzt sich ans Steuer seines roten Sportwagens, den er auf den Namen Walter getauft hat und der ihm beim Fahren als imaginärer Gesprächspartner dient – daher übrigens der Buchtitel "Walterfahren". Schicke Autos, der serbelnde Schweizer Fußball, und ewig lockt das Weib – das sind klassische Männerthemen.

    Doch Anaconda belässt es nicht bei der leicht wehmütigen Alltagsprosa. Seine saloppen Politsatiren allerdings werden wohl nur die wenigsten der deutschen Leser bis zum letzten Tropfen auskosten können, mangels Kenntnis der "Cervelat-Prominenz", benannt nach der Schweizer Nationalwurst. Oder wer hat hierzulande den Namen Christoph Mörgeli schon einmal gehört? So unvermeidlich der SVP-Nationalrat in Schweizer Talkshows sein mag, im Ausland ist der "Hofnarr der Rechten", wie ihn Anaconda nennt, ein Nobody. Glücklicherweise gibt es im Anhang ein kleines "Who’s Who". Dort werden auch die Helvetismen erklärt, die Anaconda mit Gusto auftischt:

    Gnagi, Büssi, Sackgeldverdunster

    …und was der schönen Worte mehr sind.

    Heine-Leser wissen es: Wenn Kolumnen gut geschrieben sind, überleben sie auch außerhalb ihres angestammten Habitats. Und so macht es auch bei Anacondas Kolumnen nichts, wenn man kein Schweizer ist. Die Energie, mit der er seine Sprache aufgeladen hat, katapultiert die Sätze über flotte Sprüche oft weit hinaus. Endo Anaconda schreibt Männerprosa – aber eine, die die Männlichkeit, die sie zelebriert, nicht ganz ernst nimmt.

    Wellness heißt für mich kalt duschen, doppelter Espresso, Zigaretten und dann Bloody Mary mit viel Tabasco.

    Hier packt einer zu, lässt Bilder und Klischees aufeinander krachen – mit einer Ironie, die raffinierterweise im Rhythmus steckt.

    Unten jagten die Wochenender ihre Offroader Richtung Ausfallstraße in den Stau. Wildnis suchen. Aus den Lautsprecherboxen stampfte schwerer Delta Blues. Über mir ein dramatischer Himmel. Wolken dehnten sich, um sich daraufhin wieder konvulsivisch zusammenzuziehen. Wie ein gigantischer Rinderarsch.

    Die großen Gefühle und die großen Worte – das gelingt nicht in jeder Kolumne, aber in vielen. Und am schönsten ist es, wenn Anaconda sich der süßen Eitelkeit der Melancholie hingibt und dem, Gott sei’s geklagt, ewig entschwindenden Weib:

    Wie an jenem Fernsehabend, als mich diese bleierne Schwermut, mit welcher romantische Idioten wie ich geschlagen sind, wieder tiefer ins Leder des durchgesessenen Sofas drückte. In dessen blank polierten Vertiefungen ich immer noch den Geruch der Geliebten zu erahnen meinte, obwohl diese längst über alle Berge war.

    Endo Anaconda: Walterfahren. Kolumnen 2007-2010
    Verlag Secession, Berlin 2011. 220 S., 19,95 Euro