Donnerstag, 18. April 2024

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Mafiaserie aus Deutschland
Serieller Bandenkrieg in Neukölln

Am Montag startet "4 Blocks", die deutsche Antwort auf die amerikanische Mafiaserie "Sopranos". Kann der arabische Clanchef Toni aus Neukölln dem amerikanischen Boss Tony aus New Jersey das Wasser reichen? Nicht ganz, meint unsere Serienexpertin Susanne Luerweg. "4 Blocks" mache dennoch großen Spaß.

Susanne Luerweg im Gespräch mit Bernd Lechler | 05.05.2017
    Szenenbild: Toni und Abbas Hamady sind unterhalten sich in einem Hinterzimmer. (Bild:© 2017 Turner Broadcasting System Europe Limited & Wiedemann & Berg Television GmbH & Co.)
    Großartige Darsteller: Kida Ramadan und Veysel Gelin (© 2017 Turner Broadcasting System Europe Limited & Wiedemann & Berg Television GmbH & Co. )
    Bernd Lechler: Die Mafia – eine ewige Inspirationsquelle für Film- und Fernsehmacher, von "Scarface" bis "Cotton Club" und "Der Pate". Im Zeitalter des seriellen Erzählens sind die "Sopranos" das Maß aller Dinge und in deren Fußstapfen tritt nun die deutsche Serie "4 Blocks" – oder versucht es. Am Montag startet die erste Staffel auf TNT Serie. Schon im Vorfeld hagelte es Preise, die Fortsetzung ist in Arbeit und die Aufmerksamkeit hoch, wie lange nicht. Susanne Luerweg hat für uns die ersten drei Folgen schon gesehen. Ist "4 Blocks" jetzt also die adäquate deutsche Antwort auf die "Sopranos"? Kommt Neukölln ran an New Jersey?
    Aus der Traum vom Spießbürgerdasein
    Susanne Luerweg: Ja, ich würde sagen fast, aber es ist tatsächlich noch ein bisschen Luft nach oben. Es gibt ja auf der einen Seite die vielen Gemeinsamkeiten, hier der sympathische Mafiaboss Tony Soprano, der lustige Witze reißt und den man einfach lieben muss und dort, hier, eben in der neuen Serie, in den "4 Blocks", der nicht minder freundliche Chef des arabischen Hamady-Clans, der heißt auch Toni, Toni Hamady. Der ist aber im Gegensatz zu diesem Tony Soprano doch gar nicht brutal, also überhaupt nicht. Und der will auch eigentlich raus aus diesem Gangsterbusiness, als ihm der Clan dann nochmal einen Strich durch die Rechnung macht: Es kommt einer ins Gefängnis, er muss die Geschäfte lenken und aus ist der Traum vom Spießbürgerdasein. Das würde er nämlich gerne führen. Er wünscht sich eigentlich nur die unbefristete Aufenthaltsgenehmigung und dann möchte er deutscher werden, als jeder Deutsche. Am liebsten wäre er gerne Immobilienbesitzer, gutgekleideter Mitbürger im Anzug mit sehr gepflegtem Vollbart, einer westlich orientierten Frau. Der guckt eher weg, wenn es heftig wird und man mag ihn aber irgendwie doch genauso, wie den Tony Soprano.
    Lechler: Diese beiden Tonis sind das eine, aber es ist natürlich dieses ganze Ensemble drum herum genauso wichtig für eine gute Serie. Und ist es auch genauso gelungen?
    Luerweg: Ja, das finde ich leider nicht. Denn die anderen Charaktere, die sind an der einen oder anderen Stelle schon ziemlich klischeehaft gezeichnet: Da ist der brutale, sehr ungestüme jüngere Bruder von Toni, Abbas, heißt der, der sich nie im Zaum halten lässt, immer wieder das Gesetz bricht – und auch der Leitspruch "Wir sind keine Mörder", den beherzigt er leider gar nicht. Der nette Toni, der hat dann auch eine nette Frau, ohne Kopftuch, sanft, schlau, sensibel. Der brutale Bruder, der hat auch eine klischeehafte Frau, eine schon vormittags Prosecco trinkende, ehemalige Pole-Tänzerin. Und überhaupt dieses Pole-Tanzen: Also es wird ziemlich viel nackt an Stangen getanzt – und es wird auch viel über Respekt und Ehre gesprochen. Viele haben Riesenfernseher in ihren großen Wohnungen, Goldschmuck wird an- und abgelegt und – als Referenz an, nicht die "Sopranos", sondern an den "Paten" – da wird kein blutiger Pferdekopf ins Bett gelegt, sondern ein abgetrennter, blutiger Ziegenkopf an eine Wohnungstür genagelt.
    Großartige Bildästhetik und ein chartreifer Soundtrack
    Lechler: Das klingt jetzt doch mehr nach schlechter Kopie als nach originärem Wurf?
    Luerweg: Ja, das stimmt aber nicht. Also die Serie "4 Blocks", die macht trotz allem großen Spaß. Die Bildästhetik, die ist wirklich großartig. Es gibt schnelle Schnitte, die aber nicht verwirrend sind, einen Soundtrack, der stressfrei in den Charts landen dürfte und der Cast, der ist absolut überzeugend. Von Kida Ramadan als Toni Hamady, der hat übrigens gerade auf dem Serienfest in Paris auch den Preis als bester Hauptdarsteller gewonnen, über den Rapper Veysel Gelin als Abbas Hamady bis hin zu Frederick Lau als Vince Kerner: Das sind alles großartige Darsteller! Die Dialoge, die sind sehr, sehr, sehr viel besser, als vieles im deutschen Fernsehen. Angefangen von "Wir haben in Damaskus den Bürgermeister gestellt, ihr habt Ziegen gehütet!" bis hin zu "Ihr seid angezählt, Ali!" Und das ist so erst der Anfang, ich habe ja nur die ersten drei Folgen gesehen. Die ersten beiden, die haben ziemlich Tempo und man blickt gespannt auf die Handlung und freut sich, wenn es weiter geht. Aber ein bisschen, finde ich, ist das das Problem: Das ist sehr handlungsgetrieben und nicht charaktergetrieben. Man denkt, die sind schon fast ein bisschen auserzählt, die Charaktere – also ich weiß jetzt nicht so richtig, wer da noch die eine oder andere Untiefe oder welches Geheimnis haben soll. Am ehesten sehe ich das dann noch bei Frederick Lau: Der verkörpert einen sehr vielschichtigen, "nicht-eindeutig-gut-und-böse-Charakter", aber der brutale Bruder von Toni Hamady, dass der jetzt plötzlich noch ein Philosophiestudium aus der Ecke packt, das glaub ich nicht. Aber vielleicht ja noch der zentrale Toni Hamady, dass der noch mehr eine eigenständige Figur wird und nochmal die eine oder andere Untiefe zeigt, steht zu hoffen.
    Wir sind auf dem richtigen Weg
    Lechler: Also insgesamt schon sehenswert. Ist es dann unfair, wenn wir jetzt mit diesem Soprano-Vergleich eingestiegen sind? Muss man aufhören, dass man nach den "deutschen Sopranos" und das "deutsche Breaking Bad" und "das deutsche Dies-und-das" sucht?
    Luerweg: Ja, es ist vielleicht ein bisschen unfair, aber man hat ja auch den Eindruck, dass es gewollt ist von den Machern. Also, es ist eine Mafiastruktur, der Protagonist heißt "Toni" – also dass man da als Seriengucker oder selbst, wer nur entfernt mal davon gehört hat, direkt auf die beiden Tonis kommt und da so Vergleiche zieht … Aber letztendlich ist es wahrscheinlich unfair. "4 Blocks" ist durchaus eine Serie, die Spaß machen kann, aber wenn ich dran denke: Es gab schon einmal vor ein paar Jahren eine, wie ich finde, grandiose Mafiaserie – "Im Angesicht des Verbrechens" – von Dominik Graf. Die ist damals total gefloppt. Hat nicht funktioniert, aber vielleicht war damals die Zeit noch nicht reif, da waren wir noch nicht so im seriellen Erzählen gefangen. Aber "4 Blocks", finde ich, ist eine Serie, die zeigt: Wir können schon was. Also wir sind da auf dem richtigen Weg. In Deutschland gibt es nicht diesen ganzen Background wie in Amerika, es gibt keine Showrunner. Also das Geld, das in Amerika inzwischen da reingepumpt wird, haben wir noch nicht. Aber TNT hat mit "4 Blocks" was Kleines, Feines geschaffen – und der Toni Hamady, der hat was als Figur.
    Lechler: Die erste Folge läuft – auf TNT Serie – am Montag um 21 Uhr: "4 Blocks".