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Magazin "Perspective Daily"
Problemlösungen zeigen, Weltbilder zurechtrücken

Nicht nur über Kriege, Krisen, Katastrophen berichten, den Leser handlungsfähig statt hilflos machen - mit diesem Vorsatz ging vor einem Jahr "Perspective Daily" an den Start, das erste deutsche Medium, das ausschließlich auf "konstruktiven Journalismus" setzt. Inzwischen hat das Online-Magazin seine Nische gut besetzen können.

Von Bettina Köster | 21.06.2017
    Die Medienmacher Maren Urner, Bernhard Eickenberg (r) und Han Langeslag halten am 04.02.2016 in Münster Werbepostkarten mit dem Namen ihres geplanten Online-Magazins «Perspective Daily» vor einem gleichnamigen Werbeplakat in den Händen.
    Problemlösungen statt nur Probleme thematisieren - Die Medienmacher des Online-Magazins "Perspective Daily" verschreiben sich dem konstruktiven Journalismus. (dpa / Oliver Krato)
    "Täglich werden wir überflutet mit Nachrichten.
    Waldsterben nimmt dramatisch zu.
    Jeder dritte Baum hat Specht.
    Wissenschaft warnt Borkenkäferplage.
    Biberpopulation verzehnfacht.
    Wäre es nicht schön, wenn es jemanden gäbe, der ausschließlich gute Nachrichten liefert?
    Nein, du Holzkopf! Dann würde man Probleme doch bloß ignorieren."
    "Eine Löschtaste hat unser Gehirn nicht"
    Und das will "Perspective Daily" auf keinen Fall. Ganz im Gegenteil, das neunköpfige Redaktionsteam will lösungsorientiert berichten. Es will seinen Userinnen und Usern Journalismus bieten, der fragt, wie es weitergeht, so heißt es auf ihrem Onlineportal. "Warum alternative Fakten sich in deinem Gedächtnis so gut festsetzen", heißt es beispielsweise in einer Überschrift. Maren Urner, Gründerin von perspective-daily.
    "Das Problem ist, dass unser Hirn nicht wie eine Festplatte von einem Computer funktioniert. Also wenn ich auf dem Computer was abspeichere und sag: o.k., das brauche ich jetzt nicht mehr, dann kann ich das ganz einfach löschen. So 'ne Löschungstaste hat unser Gehirn aber nicht. Im Gegenteil: Gerade, wenn Dinge in unser Weltbild passen, sprich - wenn ich von einer Sache total überzeugt bin und ich dann Informationen erfahre, die da rein passen, dann speichere ich die viel, viel leichter ab und sage okay, das nehme ich da in mein Weltbild und mein Wissen mit auf. Deshalb ist es so wichtig und relevant, wie wir Informationen auch als Journalisten darstellen. Wie wir zum Beispiel Überschriften, wenn es darum geht falsche Dinge richtig zu stellen, formulieren."
    Denn die Crux ist, dass sich die Falschmeldungen, je öfter sie online in den Schlagzeilen auftauchen, noch tiefer in unser Hirn einnisten, so die Neurowissenschaftlerin. Deshalb heißt ihr Tipp, den sie auch an andere Journalisten in Workshops weitergibt: Der Inhalt der Falschmeldung sollte nicht in der Überschrift auftauchen.
    Themen mit Tiefe und Transparenz
    Schon vor einem Jahr, bei der Gründung von "Perspective Daily", fand es Dr. Claus Eurich, Professor für Journalistik an der Universität Dortmund, großartig, dass Leute damit ernst gemacht haben, den so genannten "Mainstream-Medien" etwas entgegen zu setzen. Er sieht auch klare Unterschiede zu anderen Qualitätsmedien.
    "Ich glaube, ein ganz entscheidender Unterschied ist die Unabhängigkeit und auch die hohe fachliche Expertise, die schon damit beginnt, dass die Autorinnen und Autoren ausgewählt werden entsprechenden Grundlagen, was ihre Ausbildung selber ihr Studium etc. betrifft. Und ich glaube, was sich auch von vielen, nicht von allen, Qualitätsmedien unterscheidet, ist der Anspruch, ein Thema immer mit einer gewissen Tiefe anzugehen und auch eine vollständige Transparenz herzustellen, etwas was die Quellen, die verwendet worden sind, anbelangt."
    Lösungsorientierte Geschichten
    Jeden Tag gibt es für die rund 15.000 Abonnenten eine neue Geschichte, die inzwischen auch in einer eigenen App angeboten wird. Für die 24-jährige Elena hat sich die jährliche Investition von 60 Euro schon durchaus gelohnt.
    Sie schreibt: "Wenn ich jetzt mit Freunden über ein aktuelles Thema diskutiere, kann ich in den meisten Fällen nun von einem positiven und konstruktiven Ansatz oder Projekt erzählen, das irgendwo auf der Welt das Problem schon angeht."
    Auch die 50-jährige Antje profitiert von den lösungsorientierten Geschichten und den sich anschließenden Online-Diskussionen, die durchweg in einem respektvollen Ton geführt werden: "Ich verstehe besser, wie komplex die Dinge sind, ohne darüber zu verzweifeln."
    Negative Weltbilder zurechtrücken
    "Perspective Daily" tritt in die Fußstapfen des konstruktiven Journalismus. Ein Erfinder des Begriffs ist der Nachrichtenchef des Dänischen Rundfunks, Ulrik Haagerup, der schon vor einigen Jahren zu der journalistischen Strömung ein Buch publizierte. Konstruktive Journalisten kritisieren, dass der Tenor der Medien zu negativ ist und wollen dem etwas entgegensetzen. Maren Urner.
    "Wir haben eben gesagt, es gibt das zu wenig im Mittel. Das ist genau das, was wir beobachten und was auch Studien zeigen, dass die Menschen nicht nur in Deutschland, sondern auch in vielen anderen Ländern, im Mittel ein zu negatives Weltbild haben. Wenn man sie zum Beispiel über langfristige Entwicklungen befragt, schätzen sie dann einfach die Ergebnisse zu negativ ein. So ein praktisches Beispiel, dann kann man sich das einfacher vorstellen. Wenn wir Menschen fragen, wie viel erwachsene Menschen weltweit lesen und schreiben können, und drei Antwortmöglichkeiten geben, nämlich 40, 60 und 80 Prozent, tippt die Mehrheit 40 oder 60 Prozent."
    Dabei sind es inzwischen über 87 Prozent, die alphabetisiert sind, so Maren Urner. Weltbilder zurechtrücken und gelungene Problemlösungen publizieren, das scheint ein journalistisches Rezept zu sein, mit dem sich das Team auf dem Medienmarkt durchaus weiter behaupten kann, meint Professor Claus Eurich.
    "Zukunftschancen an sich in jedem Falle. Und ich glaube, das hängt nach meiner Auffassung damit zusammen, dass doch ein ganz ausgeprägter Überdruss besteht an den herkömmlichen medialen Angeboten. Und auch dies Konfrontiert-Werden - immer wieder - mit den klassischen Nachrichtenwerten und Nachrichtenorientierungen, die zum Teil meist auf Negativität, auf Überraschungen, auf Elitenorientierung, Personalisierung und ähnliches abzielen."