Freitag, 29. März 2024

Archiv


Magenoperation als letztes Mittel

15 Prozent der Kinder und Jugendlichen in Deutschland gelten als zu dick, die Hälfte von ihnen als fettleibig. Viele versuchen vergeblich, durch Diäten und Bewegung Gewicht zu verlieren, eine Magenverkleinerung könnte helfen. Doch die Methode ist gerade bei Jugendlichen umstritten.

Von Isabel Fannrich-Lautenschläger | 15.10.2013
    Adipöse oder oder stark übergewichtige Erwachsene in Deutschland lassen sich bereits seit mehr als 20 Jahren operativ den Magen und Darm verkleinern. Und auch bei einigen Hundert Jugendlichen wurde die so genannte bariatrische Chirurgie hier bereits eingesetzt - nimmt doch die Zahl fettleibiger junger Menschen zu, wie die Kinderchirurgen auf dem internationalen Kongress in Berlin betonten.

    Holger Till leitet die Klinische Abteilung für allgemeine Kinder- und Jugendchirurgie an der Grazer Uniklinik:

    "Und wir haben früh schon erkannt, dass die bariatrische Chirurgie das allerallerletzte Mittel ist, was Kinder und Jugendliche mit krankhaftem Übergewicht überhaupt brauchen. Aber sie brauchen etwas. Denn die meisten, auch gut angelegten Lebensstil-Interventionsprogramme mit Diät, mit Sport und all dem, was man sich für diese Kinder und Jugendlichen wünscht, um Gewicht zu reduzieren, funktionieren langfristig leider heute nicht."

    Mehr als Dreiviertel aller dickleibigen Kinder und Jugendlichen nehmen ihr Übergewicht ins Erwachsenenalter mit. Nicht die überzähligen Pfunde allein sind ein Problem, sondern die soziale Ausgrenzung und die Krankheiten, die damit einhergehen. So kann bereits ein 15-Jähriger, der 150 Kilo wiegt, an frühen Formen von Diabetes, Atemstillständen während des Schlafs und Bluthochdruck leiden oder von Gelenk- und Haltungsschäden geplagt werden.

    Ein frühzeitiger chirurgischer Eingriff könnte dazu beitragen, die Folgeschäden zu vermeiden ...

    "... und Kinder vielleicht so frühzeitig zu operieren, dass wir nicht nur das Übergewicht erheblich reduzieren, sondern unter Umständen auch in einen normalen altersentsprechenden Gewichtsbereich zurückführen","

    sagt Philipp Szavay, Chefarzt für Kinderchirurgie am Luzerner Kantonsspital.

    Allerdings, betonten die Mediziner, handelt es sich um einen einschneidenden Eingriff. Dabei wird entweder eine Strecke des Magen-Darm-Traktes durch einen Bypass umgangen und ein Teil der Nahrung nicht verdaut - darunter allerdings auch wichtige Nährstoffe wie Kalzium und Vitamine.

    Oder der Magen wird durch ein Band abgebunden oder durch eine Teiloperation zu einer Art Schlauch verkleinert und damit die Nahrungszufuhr begrenzt. Holger Till fordert mehr als eine OP:

    ""Die Operation ist nur einer von vielen Stellwerten, die wir verändern. Diese Jugendlichen brauchen vorher eine gute Diätberatung, nachher eine gute Diätberatung. Die brauchen vorher eine gute psychologische Betreuung, die brauchen nachher eine gute psychologische Betreuung. Das heißt, sie brauchen ein interdisziplinäres Team und hier gibt es, glaube ich, drei bis vier Zentren in Deutschland, die das in den nächsten fünf bis zehn Jahre hochprofessionell machen werden in der Kinder- und Jugendmedizin."

    Dass die internationalen Richtlinien, wer operiert werden darf, klar und streng sind, begrüßt der Mediziner. So müssen Jugendliche einen Body-Mass-Index von mindestens 35 und eine schwere Begleiterkrankung vorweisen. Oder eine stärkere Fettleibigkeit und eine nicht so schwere Erkrankung. Holger Till:

    "Und zudem müssen sie ein standardisiertes Interventionsprogramm durchlaufen haben und das muss versagt haben, also Diät, Sport, sechs bis zwölf Monate. Und sie müssen ein psychologisches Assessment haben. Ganz wichtig, nicht dass man Suchtpatienten plötzlich meint, operieren zu können. Und sie müssen eine bestimmte skeletale und psychologische Reife haben, um den sogenannten Behandlungsvertrag nach der Operation zu verstehen und tatsächlich auch durchzuführen, nämlich Diät zu halten. Jede Operation ist nur so gut, wie die postoperative Diät und Lebensstilveränderung."

    Denn die Operation adipöser Jugendlicher soll die Ausnahme bleiben. Ziel sei, den Stoffwechsel des Menschen besser zu verstehen - und nicht-chirurgische Verfahren zu entwickeln, die günstiger sind und den Körper weniger belasten.