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Magenoperation für Zuckerkranke

Durch eine Magenverkleinerung oder einen Magenbypass verlieren Patienten vorerst ihren Diabetes. Als "Heilung" wollen das die Ärzte noch nicht bezeichnen, denn nach ungefähr zehn Jahren kehrt die Diabetes-Form bei vielen Patienten zurück - und für die Magenoperation kommen nicht alle Patienten in Frage.

Von Anna-Lena Dohrmann | 15.05.2012
    " So, das wär die Hose, die jetzt zweimal passt."

    Kristin Hensel lächelt und hält die Jeans an ihre Hüfte. Die 55-jährige leidet seit ihrer Schwangerschaft an Diabetes Typ II. Durch das tägliche Insulinspritzen hatte sie immer mehr zugenommen. Es war ein Teufelskreis: Je mehr sie zunahm, desto mehr Insulin musste sie spritzen. Deshalb entschied sie sich vor ungefähr einem Jahr zu einer radikalen Operation:

    " Bei mir ist ja einiges reduziert: Also ein Teil vom Magen ist raus und ich habe auch bloß noch einen Meter Darm. Dadurch ist man auch schneller satt und hat auch gar keinen Appetit irgendwie."

    Und der Körper kann die Nahrung nicht mehr richtig aufnehmen. Als störend empfindet sie das nicht. Ganz im Gegenteil: Sie freut sich, innerhalb eines Jahres 60 Kilo abgenommen zu haben.

    " Ja, und körperlich – das ist ein ganz anderes Körpergefühl. Man kann sich besser bewegen, beim Autofahren und bei anderen Sachen – schon vom Einkaufen her."

    Und vor allem: Sie hat den Diabetes im Griff. Sie braucht jetzt nur noch ein Zehntel ihrer Diabetes-Medikamente. Dieses Phänomen konnten Ärzte mittlerweile in einigen Studien beobachten: Durch eine Magenverkleinerung oder einen Magenbypass verlieren über 70 Prozent vorerst ihren Diabetes. Woran das liegt, wissen die Mediziner allerdings noch nicht, so Professor Edward Shang. Er leitet die Adipositas-Chirurgie an der Uniklinik Leipzig.

    " Es gibt so ein paar indirekte Hinweise. Wenn man also diese Inkretine, diese Hormone, die da im Darm gebildet werden, die misst, dann weiß man, dass sie nach der Operation deutlich mehr produziert werden. Aber ob das wirklich die Wirkung dieser Hormone ist, das wissen wir eben noch nicht genau."

    Inkretine sind Hormone, die den Blutzucker senken. Denn der Gewichtsverlust alleine erklärt nicht den Rückgang des Diabetes. Und zwar aus zwei Gründen: Erstens ist der Diabetes oft schon ein paar Tage nach der Operation nicht mehr nachweisbar - so schnell haben die Patienten noch kein Gewicht verloren. Und zweitens: Menschen, die konventionell abnehmen, werden ihren Diabetes nicht so leicht los. Trotzdem ist Shang zurückhaltend:

    " Ich spreche ganz bewusst nicht von Heilung, weil wir nicht wissen: Ist es eine echte Heilung oder ist es nur eine Normalisierung des Blutzuckerstoffwechsels für eine gewisse Weile? Das müssen wir abwarten, aber bis jetzt haben wir schon bei gewissen Verfahren langjährige Ergebnisse und die sehen sehr positiv aus."

    Auch zwei Jahre nach einer Operation ist der Diabetes nicht nachweisbar, doch bei ungefähr 40 % kommt er nach zehn Jahren wieder. Bisher waren diese Operationen nur für krankhaft Übergewichtige zugelassen. Doch die positiven Erfahrungen verleiten dazu, auch Menschen mit leichtem Übergewicht zu operieren. Denn die Hoffnung: Wird der Diabetes früher operiert, entstehen weniger Folgeerkrankungen. Doch ein so radikaler Eingriff in den Körper, birgt immer Risiken – vor allem auch psychologisch. Schließlich verändert sich der Körper innerhalb kürzester Zeit massiv. So haben Untersuchungen gezeigt, dass die Selbstmordrate der Operierten überdurchschnittlich hoch ist. Deshalb startet in Leipzig jetzt auch eine Langzeitstudie, die dem nachgeht:

    " Wer ist denn wirklich ein Risikopatient, der womöglich sich wirklich umbringt oder daran denkt, sich umzubringen. Weil wir auch den Verdacht haben, dass das Patienten sind, die ein Trauma in der Kindheit hatten, die sich den Panzer anfressen. Und wenn plötzlich dieser Panzer weg ist, stehen die dann da und wissen nicht weiter und sich deswegen womöglich umbringen."

    Ein anderes Phänomen beobachtet Shang auch häufig: Einige Patienten schaffen es nicht, ihren neuen Körper anzunehmen. Obwohl sie schon Dutzende Kilos abgenommen haben, fühlen sie sich immer noch genauso dick wie vorher.
    Deshalb ist es wichtig, zu prüfen, wer für eine solche Operation geeignet ist. Der Gang zum Ernährungsberater gehört ebenso dazu wie der zum Psychologen. Auch Kristin Hensel musste diesen langen Weg gehen. Sie ist froh, es getan zu haben.

    " Ich würde es immer wieder tun, immer wieder, ich würde da gar nicht mehr überlegen. Natürlich hast du - vor jedem Eingriff hat man Angst. Aber ich habe das gewollt, ich habe da ein Jahr drauf hingearbeitet und es hat funktioniert."