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Magische Säure

Magische Säure. Vorsicht beim Umgang mit dieser Flüssigkeit! Es ist eine Supersäure. Kann selbst die trägsten chemischen Verbindungen von den Toten auferwecken. Und ist dabei um ein Vielfaches stärker als das, was wir so kennen - konzentrierte Schwefel- oder Salzsäure zum Beispiel.

Von Volker Mrasek | 09.02.2011
    Ein Labor ist kein Zirkus! Aber manchmal, so scheint es, können auch Chemiker zaubern. George Olah, 1994 mit dem Nobelpreis geehrt, erinnert sich noch gut an den magischen Moment. Es war Ende der 60er Jahre in den USA, an der Western Reserve University in Cleveland.

    Bei einer Weihnachtsfeier im Institut gab es Kuchen, der mit Kerzen dekoriert war.

    "Weiß der Himmel, warum! Aber am nächsten Morgen kam Joachim Lukas, ein junger deutscher Forscher in meinem Labor, auf eine verrückte Idee. Er tauchte eine übrig gebliebene Kerze in ein Gefäß mit Magischer Säure. Und war völlig baff, als sich die Kerze darin auflöste, bis nichts mehr von ihr zu sehen war."


    Vor dem wundersamen Verschwinden der Wachskerze trug die Säure noch einen sperrigen Namen. Alle sprachen vom "Gemisch aus Fluorsulfonsäure und Antimonpentafluorid". Die beiden Moleküle sind das perfekte Team: jedes auf seine Art selbst eine starke Säure und in Kombination megasauer.

    Doch nach der Zirkusnummer mit der Kerze musste sich niemand mehr die Zunge brechen.

    "Joachim Lukas war so begeistert, dass er sagte: Hier haben wir es wirklich mit einer Magischen Säure zu tun. Später hat sich dieser Name dann auch in der Fachliteratur eingebürgert."

    Chemisch gesprochen bestehen Wachskerzen aus Paraffin, einem Gemisch gesättigter, kettenförmiger Kohlenwasserstoffe. Von diesen sturen Hunden hätte man damals nie geglaubt, dass sie sich aus ihren innigen Bindungen lösen lassen.

    "Der Name Paraffin leitet sich ab vom lateinischen parum affinis. Das bedeutet: fehlende Reaktionsfreudigkeit. Doch wenn man Wachse mit Säuren behandelt, die zigfach stärker sind als zum Beispiel konzentrierte Schwefelsäure, kriegt man sie doch chemisch aktiviert."

    Genau das gelang mit Magischer Säure. Sie brachte es fertig, den Kohlenstoff-Atomen im Paraffin ein zusätzliches Proton aufzuzwingen, ein positiv geladenes Wasserstoff-Atom. Dadurch lösten sich die widerspenstigen Moleküle plötzlich aus ihren Ketten, es entstanden geladene Carbokationen, wie George Olah sie nannte.

    Für seine Arbeiten in diesem neuen Zweig der Organischen Chemie erhielt der gebürtige Ungar später den Nobelpreis. Die Forschung über Carbokationen führte zu Supersäuren auch in fester Form. Ihr Vorteil: Sie lassen sich viel praktischer in Industrie-Katalysatoren einsetzen und helfen heute zum Beispiel dabei, aus Erdöl Benzin herzustellen - einen Stoff, auf den fast jeder von uns angewiesen ist.

    Der Kerzen verschlingenden Magischen Säure sei Dank: Sie war ein Wegbereiter dieser Entwicklung.

    Links zum Thema

    - Über den Nobelpreisträger George Olah, Entdecker der Magischen Säure, hat der DLF schon mal berichtet.
    - Auszug aus einem "Spektrum der Wissenschaft"-Artikel von 1994 über die Verleihung des Chemie-Nobelpreises:
    - George Olahs Nobelvorlesung (Englisch, PDF)