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Mainstream vs. Subkultur
Von wegen billiger Pop

In der Popkultur bedeutet Mainstream eigentlich die Abgrenzung von der Subkultur, dem Underground. Dort entsteht die Innovation, das Neue, Trends, die dann vom Mainstream ausverkauft werden. So das gängige Pop-Narrativ. Doch das scheint sich zu verändern: Denn der Mainstream mit Beyoncé, Rihanna, Drake oder Lady Gaga ist hoch innovativ und spannend.

Von Ina Plodroch | 21.10.2016
    Die amerikanische Musikerin Beyoncé steht bei einem Auftritt im Jahr 2014 mit einem Mikrofon in der Hand auf einer Bühne, hinter ihr Nebel in verschiedenen Farben.
    Beyoncés neues Album klingt vielschichtig, gewagt und alles andere als flach. Damit trägt die Künstlerin dazu bei, dass die Grenzen zwischen Mainstream-Pop und Subkultur zunehmend verschwinden. (picture alliance / dpa / Frédéric Dugit)
    "Lady Gaga war ja ein Phänomen, die in ihrer Selbstinszenierung durchaus extrem ist. Und dass man da eben merkt: Irgendwie ist der Zeitgeist wieder ein anderer und wir können ein bisschen was wagen."
    Christofer Jost. Musikwissenschaftler, der sich am Zentrum für Populäre Kultur und Musik mit dem Pop-Mainstream beschäftigt.
    "Ja, Mainstream..."
    Also Lady Gaga? Sechs Grammys, über 150 Millionen verkaufte Alben, die wochenlang in den Charts kleben mit dieser eklektischen Mischung aus Elektronik, Rock, Psychedelic, Pop.
    "Die Sinnstruktur ist, ein möglichst großes Publikum zu erreichen und möglichst viel Geld zu verdienen."
    Jost meint: Sowohl die Produzentenseite aus Labels und Musikern kann darauf abzielen, kommerziell sehr erfolgreiche Songs zu produzieren. Aber auch die Fans leisten ganze Arbeit, wenn es darum geht, Musiker in die Mainstream-Ecke zu stellen.
    "Es ist immer wieder dieser Kommerzverdacht, der hinter bestimmten Produktionen steht."
    "Es gibt keinen Schritt zurück"
    "Ganz am Anfang war das ein großer Bruch."
    Erzählt Frans Zimmer, der erst als Techno-DJ Club-Tracks produziert hat. Und dann erklärte:
    "Okay, ich gehe in die Poprichtung, ich habe Bock drauf. Aber es gibt auch keinen Schritt zurück. Wenn du einmal gesagt hast, ich mache Pop, dann will der Untergrund dich nie wieder."
    "Man konnte es an den Facebook-Zahlen sehen: Es wurden zwar immer mehr Leute, aber auf der anderen Seite, wie viele Fans ich verloren habe in dieser Zeit: Ich habe 50.000 Fans verloren."
    "Ich finde das als Wissenschaftler erstmal erstaunlich, dass dieses Bedürfnis, sich abzuheben, so groß ist."
    Um die Musik hat sich ein ästhetischer Diskurs etabliert
    Doch klar ist auch: Underground kann nur in Abgrenzung zum Mainstream bestehen, als das anders geartete, das wie auch immer "Besondere".
    "Da hat sich in der Tat ein ästhetischer Diskurs etabliert, der eben in der versierten rockmusikalischen Performance so eine Art Idealzustand der Popmusik erkennt. Rock ist dann das Ehrliche, auch das kompositorisch Anspruchsvolle und Pop wäre danach das Flache. Die Massenware."
    Doch ist diese Massenware wirklich so flach? Beyoncés aktuelles Album "Lemonade" ist ein sehr gelungenes politisches Album, das direkt auf Platz eins der Billboard Charts landete, trotz oder gerade weil es enorm vielschichtig, voller Referenzen und gar nicht billig glatt produziert, sondern gewagt klingt.
    Beim Song "Hold Up" haben neben zig anderen auch Ezra Koenig von der Indie-Band "Vampire Weekend" und "Father John Misty" mitgeschrieben - Musiker, die eher zum Underground zählen. Mittlerweile keine Seltenheit. "Indiemusiker geht mit Mainstream-Popstar ins Studio" - in diesem Jahr fällt die Liste lang aus. Genau wie die Liste umsatzträchtiger Alben von Popgrößen wie Kanye West, Rihanna, Drake, die gerade nicht austauschbar, sondern nach popkünstlerischem Wagnis klingen, meint auch Christofer Jost.
    Grenzen zwischen Mainstream und Subkultur schwinden hörbar
    "Auf den ersten Blick scheinen die klanglichen Innovationen eher in einer Popästhetik zu geschehen momentan."
    Das sieht auch der britische Guardian so, der in seiner Pop-Halbjahresbilanz Rihanna als eine der wenigen Mainstream-Stars beschreibt, die auch mal etwas wagen. Aber Beyoncé, Drake und Kanye West tauchen auch wie selbstverständlich in dieser Liste auf neben Indie- und Underground-Künstlern wie Anhoni und Parquet Courts.
    Die Grenzen zwischen den oberen Chartpositionen und der Subkultur verschwinden hörbar und vielleicht können Fans ihren reflexartigen Kommerzvorwurf auch mal beiseitelegen, wenn sie Musik von Popstars wie Lady Gaga hören.