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Mainz ist überall

Der Mainzer Hauptbahnhof wird zum Abstellgleis für Bahnkunden. Weiterhin fallen Züge aus oder werden umgeleitet. Tausende Pendler sind betroffen. Jetzt droht auch bundesweit Ungemach.

Von Dieter Nürnberger | 12.08.2013
    Mainz ist überall - mit dieser Botschaft versucht derzeit die Eisenbahn- und Verkehrsgewerkschaft EVG Kritik an den Personalzuständen in der rheinland-pfälzischen Landeshauptstadt zurückzuweisen. Auf der anderen Seite werfen Gewerkschaftskritiker der EVG inzwischen sogar vor, hier mit einer Art verdecktem Streik auf Kosten der Bahnkunden Politik machen zu wollen.

    Das Chaos am Mainzer Hauptbahnhof hat sich heute noch einmal verschärft. Knapp die Hälfte der Fahrdienstleiter im dortigen Stellwerk ist im Urlaub oder krank. Nun fallen sogar tagsüber Züge aus. Tausende Pendler sind betroffen. Für Regionalverbindungen gilt mitunter nur noch ein 1-Stunden-Takt, statt üblicherweise 30 Minuten.

    EVG-Chef Alexander Kirchner sprach in der ARD davon, dass die Gründe für das Chaos bei der Politik und bei der Bahn selbst zu suchen seien. Jahrelang hätten Einsparungen zu einer Ausdünnung beim Personal geführt.

    "In diesem Bereich ist über 10 Jahre lang kaum Nachwuchs nachgeführt worden. Die Probleme sind ja nicht nur in Stellwerken. Wir haben zu wenig Lokführer, wir haben zu wenig Zugbegleiter - wir haben in allen Bereichen Personalunterbestand."
    Inzwischen hat auch der Bahn-Vorstand deutschlandweite Probleme bei den Stellwerken eingeräumt. Eine intensive Prüfung der Vorgänge dauere aber noch an. Frank Sennhenn, Vorstandschef der DB Netz AG:

    "Wir haben bundesweit eine angespannte Situation, das ist richtig. Wir haben die Situation aufgenommen und bewertet. Wir sind dabei, alle Stellwerke, bei denen wir ähnliche kritische Situationen haben, nach Kräften abzusichern."

    Laut Bahnangaben gibt es knapp 3.400 Stellwerke in Deutschland. Lediglich 415 davon, sie regeln aber rund ein Drittel des Schienenverkehrs, sind computergesteuert. Die Eisenbahn-Gewerkschaft sagt, dass allein in diesem Bereich rund 1.000 Stellen fehlen würden. Die Bahn habe hier auch demografische Entwicklungen verschlafen. DB-Netz-Chef Frank Sennhenn versprach heute im ARD-Morgenmagazin Abhilfe.

    "Wir werden in diesem Jahr 600 Leute zusätzlich im Bereich Fahrdienstleiter einstellen. Das Problem ist, dass die Ausbildungszeiten hier im Schnitt 7 Monate betragen und wir nicht damit rechnen können, Leute sofort in den Dienst übernehmen zu können. Wir sind seit einiger Zeit schon dabei eine strategische Personalplanung zu machen, die genau die demografischen Effekte berücksichtigt."

    Bahn-Kritiker verweisen anhand der Probleme auf dem Mainzer Hauptbahnhof auch auf vergleichbare Entwicklungen anderswo. Bei der Berliner-S-Bahn, ein Tochterunternehmen der Bahn-AG, gibt es bereits seit 2009 erhebliche Einschränkungen. Personalabbau und Auslagerungen seien der Grund dafür, besonders, wenn dann noch - wie bei der S-Bahn-technische Schwierigkeiten auftauchten. In Berlin wurden in den vergangen Jahren 3 von 7 Wartungs- und Ausbesserungswerkstätten geschlossen, eine wurde inzwischen - aufgrund der Probleme - wieder in Betrieb genommen. Auch das Berliner Beispiel, so der grüne Bundestagsabgeordnete Anton Hofreiter, er ist Vorsitzender des Verkehrsausschusses, zeige, dass finanzielle Planungsvorgaben und damit verbundene Renditeerwartungen der falsche Weg seien. Hofreiter sagte im Deutschlandfunk:

    "Kurzfristige Renditen erzielt man am leichtesten, wenn man bei Unterhaltsmaßnahmen spart, wenn man beim Personal spart. Dann gibt es halt irgendwann entsprechendes Chaos."

    Das Mainzer Chaos ist morgen Anlass für einen runden Tisch auf höchster Ebene. Vertreter der Bahn AG, der Eisenbahn-Gewerkschaft und des Fahrgastverbandes kommen auf Einladung von Ministerpräsidentin Malu Dreyer (SPD) zu einem Krisengipfel zusammen.