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"Majakowskis Tod"

Wladimir Wladimirowitsch Majakowski lebte von 1893 bis 1930. Er war eine zeitlang der sowjetische Vorzeigedichter schlechthin, fiel dann aber bei Stalin in Ungnade. Der deutsche Komponist Dieter Schnebel hat Majakowskis Tod vor einigen Jahren veropert. Jetzt bringt das Münchner "Theater am Gärtnerplatz" eine Neuinszenierung dieses Opernfragments auf die Bühne.

Von Susanne Lettenbauer | 16.07.2005
    Diese weiße Linie kennen wir aus Leipzig. Das finale Kardiogramm aus Licht, die stagnierende Lebenskurve quer über den schwarzen Vorhang geschickt, erinnert an Achim Freyers sächsische Koordinaten vom ewigen Werden und Vergehen. Ein Weg vom Hier nach Dort, der sich in München allmählich auffächert in Daten und Zeiträume. Mit denen man spielen kann wie mit Ping-Pong-Bällen. Eine Biografie wird abgehakt im Sekundentakt: 19. Juli 1893, 1905, 1912, 1915, 1925, 14. April 1940.

    Florentine Klepper, das Talent von Münchens Theaterakademie, geht verspielt an den glühenden Leninpoeten und revoltierenden Lyriker Wladimir Majakowski heran, nutzt die Ouvertüre zur lockeren Einstimmung auf den Titan der russischen Poesie, ehe sie ihn in den drei Szenen die Höllentour antreten lässt vom Poeten der Revolution zum geächteten Outlaw unter Stalin. Erst verspottet ihn die ungehaltene Leserschaft, dann steht er zwischen zwei enttäuschten Frauen, zum Schluss bleiben nurmehr der Abschiedsbrief und glühende Rechtfertigungsreden.

    Wer war dieser streitbare Kommunist eigentlich, dem das einfache Volk im auditoriumartigen Rondell unverständliche Lyrik vorwirft? Wer war eigentlich dieser Sänger des Massenheroismus, der pathetisch seine Verse von "Lenin und ich" in die Luft brüllt? Warum interessiert uns heute noch dieser Idealist schrankenloser Subjektivität, den der Liebesentzug tödlich demoralisiert?

    "Ich. So groß und so überflüssig. Majakowski." Dies Zeilen könnte die Regisseurin Klepper ebenso im Zickzack auf den transparenten Bühnenvorhang werfen, wie sie es im Takt der Deklamation mit den sprachgewaltigen Poemen tut. Ein visueller Buchstabenrausch zieht am Publikum vorüber - Worte über Worte, die das Geschehen auf der Bühne fast vollständig verdecken. Wie die Minirevoluzzer, die das projizierte Megafoto des kahlen Dichterkopfes umkreisen und die Sowjetsterne, die ihnen hinterher purzeln. Die Botschaft ist klar: Die Revolution ist zum Scheitern verurteilt. Die Revolte des Wortes versinkt in ihrem eigenen Wust. Ein makelloser Ausweg ist nicht in Sicht. Der (heute als nicht geklärt geltende) Freitod des 37jährigen kranken, gedemütigten Dichters 1930 erscheint da nicht als Lösung, sondern nur als Beendigung der eigenen Rat- und Ausweglosigkeit. Weshalb die Schnebel-Oper bewusst fragmentarisch gehalten ist, textuell wie musikalisch.

    Regisseurin Klepper straft die verhängnisvollen Utopien des 20. Jahrhunderts radikaler ab, als es die Textvorlage, vom Komponisten Dieter Schnebel aus Originaltexten Majakowskis und dessen Geliebter Lilja Brik zusammengestellt, vorgibt. Früher als formal vorgesehen, löst sich bei Florentine Klepper die historische Figur des Wladimir Majakowski auf in einer verallgemeinerten, für ehrgeizige Ideale kämpfenden Figur.

    Unterstützt wird diese Transformation durch die Doppelung der Hauptrollen Majakowski und Lilja in eine Sänger- und eine Sprecherrolle, in München überzeugend von Holger Ohlmann und Egbert Junghanns sowie Martina Koppelstetter und Rotraud Arnold dargestellt. Sie stehen als Sinnbild für die Diskrepanz zwischen Realität und Utopie, Traum und Wachen. Eine Anlehnung auch an die traditionelle Trennung in Rezitativ und Arie der Barockopern. Ihnen stehen die uniformierte Gesellschaft gegenüber, sorgfältig ausgeschnittenen Löcher in den Zeitungen und Votivbilder zum finalen Totentanz.

    Von der Tradition zur Avantgarde, so könnte man Schnebels Opernkomposition ergänzend zur Inszenierung umreißen. Die Szenenbilder von Chalune Seiberth verlieren ebenso an Halt wie die Struktur der Musik. Wo eben noch massive Holzbänken waren, erscheint im 2. Teil eine Art Baugerüst, das Stück für Stück auseinandergenommen wird. Zum Schluss bleibt von diesem Gerüst nur ein schwebender Käfig. Die Endstation. Der Mensch hängt in der Luft.

    Bei so vielen visuellen Anspielungen konnte die Musik in München stellenweise überhaupt nicht mithalten, trotz der sensibel austarierten Nuancen des mit zeitgenössischen Opern hervorragend beschlagenen Hausdirigenten Ekkehard Klemm. Die stellenweise unbeteiligt wirkende Musik ist dem Komponisten anzulasten. Selbst die gutgemeinten Versuche vom Gärtnerplatztheater, für die geforderte Verräumlichung des Klanges einzelne Instrumente auf den Balkonen zu platzieren, konnten diesem Mangel nur wenig abhelfen.

    Für dieses Mal galt das Primat der Sinne den Augen.