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"Mal einfach die Klappe halten"

Parteichef Ernst habe sich "komplett selbst disqualifiziert", sagt der Berliner Linken-Chef Klaus Lederer. Auch den Fraktionsvize im Bundestag, Ulrich Maurer, nimmt Lederer ins Gebet - und fordert in der Führungsspitzendiskussion ein Ende der Scheindebatten.

Das Gespräch mit Klaus Lederer führte Dirk-Oliver Heckmann | 24.05.2012
    Dirk-Oliver Heckmann: Oskar Lafontaine gegen Dietmar Bartsch – so lautete die Konstellation im Streit um den Parteivorsitz bei der Linken. Der zum Reformflügel zählende Bartsch hatte bereits im vergangenen Jahr seine Kandidatur angekündigt, Oskar Lafontaine zog nach der Landtagswahl in Nordrhein-Westfalen nach und zog seine Bereitschaft jetzt aber wieder zurück, weil seine Bedingungen nicht erfüllt worden waren. Jetzt also wollen zwei Frauen den Karren aus dem Dreck ziehen: Linken-Parteivize Katja Kipping und die gescheiterte Spitzenkandidatin bei der NRW-Wahl, Katharina Schwabedissen. Es kommt also Bewegung in die Sache, und die ist auch dringend nötig, denn der Bundesparteitag in Göttingen findet bereits in gut einer Woche statt. – Am Telefon begrüße ich den Vorsitzenden der Linken in Berlin, Klaus Lederer. Schönen guten Morgen.

    Klaus Lederer: Guten Morgen.

    Heckmann: Herr Lederer, nachdem Oskar Lafontaine seine Bereitschaft zur Kandidatur ausgesprochen hatte, haben Sie von Erpressung gesprochen, und Sie haben auch gesagt, mit einer Heilsbringerfigur an der Spitze bekomme die Linkspartei nichts geregelt. Sind Sie also froh, dass Sie geholfen haben, Lafontaine zu verhindern?

    Lederer: Na ja, ich hatte ja kein Problem mit Lafontaines Kandidatur, wenn er sie denn erklärt hätte, und insofern kann ich auch nicht sagen, ich habe jetzt irgendwie Freude, dass die Situation ist, wie sie ist. Es gibt ja eine Einschätzung, die ich durchaus mit Oskar Lafontaine teile, nämlich dass wir jetzt in einer Situation sind, wo die Kandidaturlage und das Angebot von Oskar Lafontaine zu einer innerparteilichen Konfliktsituation geführt haben, die eine Eskalation der Konflikte nach sich gezogen hat, und das ist ja nun tatsächlich kein Anlass zur Freude, sondern das ist erst mal eine Schwierigkeit, die ich zur Kenntnis zu nehmen habe und die uns allen ein großes Maß an Leistung abverlangt, und sein Rückzug hat jetzt erst mal wieder die Situation geöffnet. Das ist der Stand der Dinge, was wir daraus machen, das steht jetzt einfach noch bevor.

    Heckmann: Ihr Parteichef, Klaus Ernst, hat aber gesagt, Lafontaines Angebot sei torpediert worden, und Ulrich Maurer meinte, den Gefolgsleuten von Bartsch sei die Organisationsmacht wichtiger als der Erfolg der Linkspartei. Haben sie also den Erfolg der Linkspartei torpediert?

    Lederer: Ja, das ist genau die Art und Weise, die uns bisher ins Chaos und in die Irre geführt hat und dies auch zukünftig tun würde, wenn wir diese Scheindebatten weiterführen. Es gibt ja noch mehr, ich könnte jetzt noch aufzählen, beispielsweise Teile der Partei würden sich an die SPD anbiedern, und nachdem 97 Prozent aller Mitglieder dem Programm zugestimmt haben, dass es Einzelne gäbe, die jetzt anfangen, das Programm aufzuweichen, die auch das Programm torpedieren wollen, das sind ja immer dieselben O-Töne, oder wie Klaus Ernst es nach den Wahlniederlagen in Schleswig-Holstein und in Nordrhein-Westfalen gesagt hatte, zehn bis 15 Leute haben falsch diskutiert und deshalb hätte sich jetzt unsere Wählerinnen- und Wählerzahl halbiert, wenn man sich die Umfragen für die Bundestagswahl in der Sonntagsfrage anguckt. Ich glaube, das hilft uns jetzt alles überhaupt nicht weiter. Diese Art von Debatte muss endlich aufhören. Wir sind jetzt in so einer offenen Situation und die fordert jetzt allen Kandidierenden, aber auch all denjenigen, die jetzt möglicherweise sagen, wir halten uns da jetzt ein Stück weit heraus, ein großes Maß an Rationalität, an Weitblick und auch an Verantwortungsbewusstsein ab.

    Heckmann: Also wir halten fest: Ihrer Meinung nach führt Klaus Ernst Ihre Partei ins Chaos, in die Irre?

    Lederer: Na ja, er hat jetzt also vor zwei Tagen auf unserer Regionalkonferenz hier in Berlin eine Rede abgeliefert, mit der er sich eigentlich, glaube ich, komplett selbst disqualifiziert und aus dem Rennen genommen hat, und eigentlich finde ich das schade. Auch das ist ja kein Grund zur Freude, wenn sich ein Vorsitzender vor eine Regionalkonferenz stellt, wo der Saal überknallt von Mitgliedern, und sich dann letztlich hinstellt und der Hälfte des Saals erklärt, ihr habt in der Partei nichts zu suchen, ihr seid hier falsch. Das ist aus meiner Sicht so der Weg in die absolute Selbstbeschäftigung und in die Sekte.

    Heckmann: Herr Lederer, kommen wir mal zu Dietmar Bartsch. Der ist ja von verschiedener Seite jetzt dazu aufgefordert worden, nun auch zurückzuziehen, nachdem Oskar Lafontaine ja zurückgezogen hatte – unter anderem vom Fraktionsvize Ulrich Maurer gestern hier im Deutschlandfunk.

    O-Ton Ulrich Maurer: "Bei der Bekanntgabe des Rückzugs von Lafontaine haben die Bartschisten geklatscht. Also da sehen Sie doch schon, wie vergiftet die Geschichte ist. Nein! Man braucht jetzt einen Neuanfang, und deswegen bleibe ich dabei: Die Böcke, die den Kampf bisher geführt haben, müssen vom Acker."

    Heckmann: So weit also Ulrich Maurer. Herr Lederer, sehen Sie das auch so? Soll Bartsch also jetzt zurückziehen und haben Sie auch applaudiert, als die Nachricht kam von Oskar Lafontaine?

    Lederer: Nein. Ich habe gesagt, es gibt überhaupt weder einen Grund zu buhen, noch einen Grund, jetzt Beifall zu klatschen. Also das ist so oder so genau das Problem. Wenn ich schon höre, die Bartschisten – also es gibt offenbar einige – und das Interessante: Dazu gehört auch Ulrich Maurer inzwischen und auch Klaus Ernst -, die vor zwei Tagen noch Oskar Lafontaine zur alleinigen Lösung der Partei erklärt haben, das ist Quatsch, und die sich jetzt heute hinstellen und sagen, wir stehen jetzt hinter der weiblichen Doppelspitze und fordern Dietmar Bartsch auf, seine Kandidatur zurückzuziehen. Das ist doch totaler Unfug! Vor einem halben Jahr hat genau Dietmar Bartsch erklärt, ich werfe jetzt hier mal meinen Hut in den Ring, um mal Offenheit zu erzeugen, und ich ermutige auch Andere zur Kandidatur. Und ich glaube, dass nach fünf Jahren, wo wir aus der Angst heraus, uns könnte die Partei um die Ohren fliegen, de facto keine Debatten geführt haben, und immer versucht haben, die Dinge sozusagen durch Ansagen, durch Basta-Politik, ins Lot zu bringen, jetzt eine Zeit ist, in der eine offene Situation genau das Richtige ist, was der Partei hilft. Deswegen finde ich es gut, dass Dietmar Bartsch seine Kandidatur erklärt hat, ich finde es gut, dass die Frauen jetzt selbstbewusst gesagt haben, wir machen hier auch ein Angebot, und wir wissen ja nicht, was bis Göttingen noch passiert. Das geht möglicherweise jetzt auch noch weiter. Es trauen sich einfach wieder Menschen, ein inhaltliches Angebot, erst mal ein personelles Angebot, aber dann hoffentlich auch ein inhaltliches Angebot auf den Tisch zu legen, und ich finde, es ist jetzt endlich mal an der Zeit, dass diejenigen, die permanent Anderen vorwerfen, in jedes Mikrofon zu beißen, mal vielleicht eine Spur zurückschrauben, mal einfach die Klappe halten und jetzt mal eineinhalb Wochen den Mitgliedern der Partei die Zeit lassen, miteinander über die Fragen zu diskutieren, wie kommen wir jetzt aus der Krise raus – die ist ja eine Chance im guten Fall, wenn wir nicht übersehen und verpassen, worin sie ihre Ursachen sehen, und keine Durchhalte- und Geschlossenheitsparolen und nicht schon wieder erpresserische Ansagen, sondern einfach mal die Genossinnen und Genossen Mitglieder diskutieren lassen.

    Heckmann: Aber Sahra Wagenknecht sagt beispielsweise, ein Rückzug von Dietmar Bartsch würde die Partei einen. Sehen Sie das nicht so?

    Lederer: Ich glaube nicht, dass ein Rückzug von Dietmar Bartsch die Partei einen würde, sondern was die Partei jetzt einen würde, wäre, wenn alle Beteiligten beispielsweise mal den gemeinsamen Diskurs darum suchen, worin wir denn vielleicht Übereinstimmungen haben, und da geht es ja um inhaltliche Fragen. Es geht um die Frage, wie gehen wir jetzt mit der Krise in der Europäischen Union und global um, wie machen wir das Geldwesen beherrschbar, wie schließen wir beispielsweise Spekulationen mit Lebensmitteln aus, wie kriegen wir global, wie auch im europäischen Rahmen Solidarität praktisch organisiert, wie bringen wir den sozialökologischen Umbau voran, Verkehrsvermeidung, wie können wir real mehr Demokratie wagen. Also das ist für mich viel, viel, viel spannender, jetzt mal zu sagen, legt doch alle mal eure inhaltlichen Ideen auf den Tisch. Ich halte es da mit den Zapatisten, die gesagt haben, fragend schreiten wir voran, wir machen Angebote, wir stellen der Gesellschaft tatsächlich mal einfach vor, wie wir uns ein linkes gesellschaftliches Reformprojekt vorstellen würden.

    Heckmann: Und dazu, Herr Lederer, gehört auch eine Öffnung hin zur SPD? Hat der Rückzug von Oskar Lafontaine eine solche Öffnung wahrscheinlicher gemacht?

    Lederer: Na ja, eins steht fest: Oskar Lafontaine war mit dem Projekt verknüpft, das parteipolitische Lager von links her aufzurollen. Wir haben jetzt nach den letzten Wahlen gesehen, dass das in den letzten fünf Jahren sicherlich zunächst mal ein guter Ansatz war, aber dass es gescheitert ist, und ich glaube, wir können jetzt die Konzepte der Vergangenheit nicht einfach eins zu eins in die Zukunft übertragen – weder im Osten noch im Westen. Die SPD ist nicht mehr unter Schröders Führung ganz, ganz klar auf Agenda gepolt, die diskutieren auch andere Fragen. Wir sind mit der Situation konfrontiert, dass wir jetzt tatsächlich gemeinsam mit Grünen und SPD in der Opposition sind. Das erfordert doch neue Antworten und da wünsche ich mir spannende inhaltliche Debatten, keinen Fokus auf Sieg und Niederlage, wie ich den Eindruck habe, dass es beispielsweise Ulrich Maurer und Klaus Ernst jetzt immer noch machen, und der augenblickliche Zustand in der Partei, der ist für mich ein bisschen Ausdruck von Selbstermächtigung. Der ist ein bisschen Ausdruck der Suche nach Lösungen. Und was man braucht, ist eine starke kommunale Verankerung, aber auch einen globalen Blickwinkel. Wir müssen jetzt einfach uns tatsächlich auf inhaltliche Fragen konzentrieren, dann haben wir eine reale Chance. Und die Gefechte von gestern, der Raum, den Oskar Lafontaine aufgemacht hat, den sollten Andere jetzt nicht, Uli Maurer, Klaus Ernst, damit torpedieren, dass sie plötzlich nicht nur die weibliche Doppelspitze für sich entdecken, sondern gleich jetzt noch eine Frau, die bisher gesagt hat, sie will es nicht machen, nämlich Sahra Wagenknecht, dazu nötigen, in eine Kandidatur einzusteigen, damit man die alten Schlachten weiterführen kann. Das halte ich alles für völlig verfehlt.

    Heckmann: Kommen wir noch ganz kurz zum Duo Kipping-Schwabedissen. Letztere hat 2,5 Prozent eingefahren bei den Wahlen in Nordrhein-Westfalen. Kann eine Wahlverliererin Ihre Partei nach vorne bringen?

    Lederer: Ach wissen Sie, wir haben noch in den letzten Wochen und Monaten eigentlich überall und jederzeit unser Wahlziel nicht erreicht. Also wenn wir danach gehen, dann dürfte jetzt überhaupt niemand mehr antreten. Ich bin weit davon entfernt, Katharina Schwabedissen jetzt so was wie die alleinige Verantwortung für das NRW-Wahlergebnis überzuhelfen. Die Wahlergebnisse der letzten Wochen und Monate – und zwar im Osten wie im Westen – zeigen: Alles, was bisher als Erfolgsprojekt funktioniert hat, funktioniert jetzt so nicht mehr. Und die Frage ist doch, wie kommen wir gemeinsam aus dieser Situation heraus, warum uns Menschen nicht mehr gewählt haben. Was sind eigentlich die Gründe, was stößt ab und warum haben andere politischen Erfolg, während wir vor uns hindümpeln, obwohl die sozialen und gesellschaftlichen Konfliktlinien ja geblieben sind und sich jeden Tag verschärfen? Das ist die Debatte, die wir führen müssen. Und jetzt im Nachhinein zu gucken, du hast das Wahlergebnis eingefahren und du hast jenes Wahlergebnis eingefahren, das ist ungefähr das Niveau von Problemanalyse, was Klaus Ernst geliefert hat, als er gestern gesagt hat, zehn bis 15 Leute haben falsch diskutiert und deswegen haben sich unsere Wählerstimmen halbiert. So kommen wir nicht weiter.

    Heckmann: Der Vorsitzende der Linken in Berlin, Klaus Lederer, war das live hier im Deutschlandfunk. Herr Lederer, danke Ihnen, dass Sie sich die Zeit genommen haben.

    Lederer: Schönen Tag noch.

    Heckmann: Ihnen auch.

    Lederer: Tschüß!

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