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Mal ganz langsam

Die Balance zwischen Leben und Arbeit sorgt für Zufriedenheit. Wer zu viel arbeitet, kann sich im Berufsleben Zeit zurückholen. Beispiele dafür sind Downshifting, Sabbat-Jahre, Job-Sharing oder auch ein mitarbeiterfreundliches Arbeitsumfeld.

Von Verena Herb | 25.04.2011
    Der Alltag von Simone Utler ist stressig. Sie ist Journalistin, arbeitet als Redakteurin im Ressort Panorama bei Spiegel Online.

    "Gerade im Moment ist es eine der krassesten Zeiten eigentlich, die ich je erlebt habe. Durch Japan ist es so: Wenn wir morgens wach werden, ist schon ganz viel passiert. Das heißt, man rennt quasi den Nachrichten auch schon hinterher. Man startet also schon mit viel Druck in den Tag. Mit viel Zeitdruck. Und Ereignisdruck. Weil da ja quasi schon viel passiert ist."

    Simone Utler liebt ihren Beruf. Dass sie am Morgen nicht weiß, was der Tag bringt und wie lang ihr Arbeitstag sein wird -stört sie nicht. Aber sie merkt: Es strengt an.

    "Weil ich ein Newsjunkie bin. Ich glaube schon, dass ich da viel aushalten kann. Weil ich es, wie gesagt, gerne mache und auch so vom Typ her veranlagt bin. Aber ich habe einfach das Gefühl, so über die Jahre merke ich dann, wie anstrengend das überhaupt geworden ist und merke auch, dass ich das Gefühl hab: Es wird immer schneller und immer mehr."

    Simone Utler steigt aus. Für sechs Monate. Der 30. Juni ist ihr letzter Arbeitstag. Am 19. Juli nimmt sie den Flieger. Ihr Ziel: Jakarta, Indonesien.

    "Letztes Jahr habe ich an einem Wochenende ein Seminar gemacht, wo es eben darum ging, den inneren Kern, die innere Ruhe zu finden. Wer bin ich, was möchte ich machen? Und da habe ich mich dann im Zuge einer Übung, mit Orang Utans im indonesischen Regenwald gesehen. In einer anderen Übung in einer Gruppe von kleinen afrikanischen Kindern auf einem afrikanischen Dorfplatz... und das waren so zwei Momente, wo ich gedacht habe: Mensch, da möchte mein Herz hin, da möchte mein Bauch hin. Da möchte ich einfach mal eine Weile leben, arbeiten, mithelfen..."

    Konstantin Bark öffnet die gläserne Tür zum Fitnessstudio: Drei Männer in schwarzen Lurex-Radlerhosen kommen ihm entgegen. Es ist kurz nach 11 Uhr am Morgen:

    "Hier ist noch ein Kursraum. Mittwochs ist Geschäftsführer-Spinning. Wer schwänzt kriegt Ärger. Und der wird, wie Sie sehen, tatsächlich ganz gut angenommen."

    Wer viel arbeitet, braucht Auszeiten. Auch während eines Arbeitstages. Der britisch-niederländische Industriekonzern Unilever hat das begriffen. Zahlreiche Studien belegen, dass entspannte Mitarbeiter motivierter sind und besser arbeiten. Das konzerneigene Fitnessstudio ist daher ein Angebot.

    Konstantin Bark ist Sprecher von Unilever Deutschland. Vor zwei Jahren ist das Unternehmen in sein neues Bürogebäude in der Hamburger Hafencity gezogen. Zwischen dem neuen Kreuzfahrtterminal und dem Luxuswohnturm Marco Polo-Tower kann man sehen, wie sehr sich die Bedürfnisse von Freizeit- und Arbeitswelt angeglichen haben - und wie sehr sie auch gestalterisch ineinandergreifen.

    Das eigentliche Arbeitsleben des Konzerns beginnt in der ersten Etage: Das Erdgeschoss dieses gläsernen Architekturnovums ist öffentlich und soll Flaneure und Besucher von außen anlocken: Gleich links von der Eingangstür das Beauty Spa, das ausschließlich mit Produkten der Kosmetiksparte von Unilever arbeitet. Das Angebot ist beliebt; es ist schwer, noch kurzfristig einen Termin für eine der zahlreichen Behandlungen zu bekommen. Gleich daneben im Erdgeschoss: der Unilever-Shop, der die Produktpalette des Konzerns anbietet. Von Tütensuppen über Putzmittel, Kosmetika und Eis am Stiel. Das Eiscafé am hinteren Ende des Gebäudes mit der opulenten Elbblick-Terrasse wird gerade umgebaut.

    Eine großzügige, frei in den Raum gestellte Treppe führt in den ersten Stock. Durch das helle und offene Atrium ziehen sich Querbrücken, die die einzelnen Stockwerke miteinander verbinden. Konstantin Bark, der Unternehmenssprecher, führt an seinen Lieblingsplatz: Eine innen liegende Terrasse, von der aus man freien Blick über den gesamten Bürobereich hat.

    "In jedem Geschoss gibt es noch einmal so Rückzugsecken, wo man sich frei besprechen kann. Die gibt es auch noch mal nach draußen. Das sehen sie hier zum Beispiel: wenn Sie den Blick ein bisschen, wo sie die Elbe durch das Fenster erkennen können, da ist eine kleine Terrasse davor."

    Bei Unilever gilt das Open-Space-Konzept. Es gibt keine Einzel-, nur Großraumbüros. Denn Kommunikation sei das Entscheidende: Unilever will eine Bürostruktur schaffen, die wie eine Stadt funktioniert - mit Plätzen und Wegen, die Nachbarschaften verbinden.

    Auf jeder Etage gibt es mehrere Verpflegungsinseln: Hier können sich die Mitarbeiter bedienen: Latte Macchiato, Espresso, Tee, Mineralwasser und Eis - freie Auswahl - und das umsonst.

    An den Geländern der Querbrücken sind filzbezogene längliche Platten aufgehängt, auf denen Laptops und Kaffeetassen für eine schnelle Besprechung zwischendurch Platz finden. Davor: Barhocker. Das sind die "Lümmelbretter", erklärt Christiane Haasis, lacht dabei und streicht sich ihre dunkelbraunen Locken aus der Stirn.

    "Man fühlt sich einfach sehr offen und sehr flexibel. Man hat einen Überblick über das Ganze. Natürlich das Gebäude, man sieht die ganzen Leute, man sieht natürlich auch die Elbe und gegebenenfalls die Aida oder die Queen Mary, die vorbeifährt. Es macht einfach Spaß in diesem luftigen, freien Umfeld, sage ich mal: In der Sonne zu sitzen."

    Christiane Haasis arbeitet seit 16 Jahren bei Unilever. Sie ist ein Teil von "CHAN". CHAN, C. H. A. N., das sind die Initialen von Christiane Hassis und ihrer Kollegin Angela Nelissen. CHAN ist für Unilever EINE Person: mit einer E-Mail-Adresse und einem Postfach. Denn die beiden 43-Jährigen Managerinnen teilen sich einen Job: Die Position des Category Director Savory. Übersetzt heißt das: Sie sind die Marketingchefinnen für die Gewürzmittel-Sparte, mit Marken wie Knorr oder Bertolli.

    "Wir arbeiten beide 60 Prozent. Jeder drei Tage. Und an einem Tag treffen wir uns sozusagen und haben eine gewisse Überlappung."

    Ich tauche Montagmorgen im Büro auf. Bin dann Montag, Dienstag, Mittwoch da. Mittwoch erscheint dann auch Christiane und haben dann an diesem Tag vor allem die Teammeetings. Sowohl mit unserem Team - das sind etwa 40 Leute, als auch mit unseren funktionalen Businesspartnern: also, Finanzen, Verkauf, Human Resources, Logistik.

    Ergänzt Angela Nelissen und beschreibt eine typische Woche der beiden Managerinnen. Die Idee für dieses außergewöhnliche Job-Sharing Modell, also einen Job auf zwei Mitarbeiter aufzuteilen, kam Christiane Haasis, als sie vor zwei Jahren ihre Tochter bekam. Sie hatte bislang immer Vollzeit gearbeitet - und liebt ihre Arbeit:

    "Ich habe dann einfach zu Hause versucht zu überlegen, wie bekomme ich das Level an Arbeit, und das was mich interessiert, einfach auch die richtigen Themen - Und wie kann ich das vereinbaren? Weil, ich will trotzdem für mein Kind da sein. Und dann war mir eigentlich relativ schnell klar, weil die Jobs doch recht groß sind und auch große Verantwortung haben: Ich kann das nicht in Vollzeit machen. Da würde ich zu viel opfern auf der anderen Seite für mein Kind, was ich nicht möchte. Und dann kam dann die Idee: Was wäre denn, wenn für die Firma das sozusagen wie eine Person ist. Weil die müssen sich gar keinen Kopf machen, weil der Job ist groß und der wird von einer Person gemanagt. Ich aber für mich sozusagen aber nur die Hälfte an Einsatz bringen muss. Trotzdem aber auch die Hälfte an Spaß und Herausforderung für den Kopf bekomme. "

    Angela Nelissen hat drei Kinder. Als die klein waren, arbeitete sie immer Vollzeit, reiste viel, war selten zu Hause. Je älter die Kinder werden, desto mehr merkt sie, dass sie zu Hause gebraucht wird. Und so setzen sich die Frauen zusammen eines Abends bei einem Glas Wein und kommen zu dem Schluss:

    "Das isses. So machen wir das. Und haben das der Firma aktiv vorgeschlagen. Und dann hat es noch ein halbes Jahr gedauert, bis die Position frei wurde. Und dann hat die Firma sich darauf eingelassen. Muss man wirklich sagen: auch ein bisschen Mut gehört dazu in dieser Position. Und bisher hat es niemand bereut."

    Als die Nachrichtenjournalistin Simone Utler den Entschluss gefasst hat für einige Zeit auszusteigen, sucht auch sie zuerst das Gespräch mit ihrem Arbeitgeber "Spiegel Online".

    "Mein Arbeitgeber hat sehr entgegenkommend reagiert. Hat also sofort ohne zu zögern gesagt: Ok, wenn Dir das wichtig ist, wir unterstützen das. Es gibt also hier im Haus die Möglichkeit, ein Sabbatical zu nehmen. Also, eine Auszeit. Und ich wurde gebeten, möglichst schnell Bescheid zu sagen, wie lange ich weg möchte, von wann bis wann ich weg möchte, damit man einfach planen kann. "

    Gemeinsam finden sie eine Möglichkeit: In den ersten sechs Monaten dieses Jahres bekommt die 35-Jährige 60 Prozent ihres Gehaltes ausgezahlt. Wenn sie ab Juli sechs Monate nicht arbeitet, erhält sie 40 Prozent.

    "Man muss sich das finanziell gut überlegen. Mir persönlich ist Geld nicht so wichtig, als dass ich mich nicht einschränken würde. Aber gerade im Moment mit 60 Prozent des Gehalts auszukommen, da muss ich schon überlegen und kalkulieren. Also, ich habe mir auch die letzten Jahre immer was zurückgelegt schon. Seit ich diese Idee habe, spare ich darauf."

    Auch Christiane Haasis und Angela Nelissen verdienen weniger Geld, seit sie ihr Arbeitspensum auf 60 Prozent zurückgefahren haben. Eine Umstellung, wie beide zugeben. Sie haben Gehalt gegen Zeit getauscht: Christiane Haasis:

    "Vorteil natürlich für uns ist ganz klar, dass wir es dadurch geschafft haben, sage ich mal, eine Rolle wahrzunehmen, die total interessant ist und wo wir auch ausgebildet sind und wo wir auch die Erfahrung mitbringen, weil wir eben auch schon so lange im Geschäft dabei sind. Und wir das in dem Jobshare-Modell jetzt auch schaffen, auch noch Zeit für unsere Kinder zu haben. Wenigstens, sage ich mal, an den restlichen Tagen."

    Weniger Arbeit, mehr Leben - Neudeutsch wird dies als "Downshifting" bezeichnet. Wörtlich übersetzt: herunterschalten, beruflich kürzertreten - auch um den Preis des geringeren Einkommens. Angela Nelissen kann sich mit dem Begriff "Downshiften" nicht so richtig anfreunden. Klar ist, auf dem Berufslevel, auf dem die beiden Managerinnen tätig sind, gibt es keine Halbtagsjobs.

    "Insofern ist natürlich sehr schwierig zu sagen: Ich will jetzt ein bisschen "downshiften". Und dann auch noch eine Rolle zu finden, die dann auch dem eigenen Anspruch gerecht wird. Insofern war das einfach ein neues Modell, was da entstanden ist wo ich sage: Das passt eigentlich perfekt. Weil man auch so "in the line of fire" ist. Man hat noch wirklich nen Job, der total spannend ist, der operativ eingebunden ist, wo man diesen Tagesrhythmus hat, den man so irgendwie lebt. "

    Es sei eher so ein partielles Downshiften, erklärt Angela Nelissen: Eine Art Staffellauf...

    "In dem Augenblick, wenn ich den Staffelstab in der Hand habe, ist es kein Downshiften. Bin ich also voll drin. Und dann in dem Augenblick, wo ich übergebe, dann ist es ein Downshiften. Und wie jeder Läufer muss man dann langsam auslaufen und dann hat man seine Entspannungsphasen. Aber sobald man den Staffelstab wieder übernimmt, ist man wieder fit und kann weiterlaufen."

    Die Spiegel-Online-Redakteurin Simone Utler hat schon länger versucht, nach Feierabend Tempo herauszunehmen. Hat aber gemerkt: So richtig schafft sie das nicht.

    "Es fällt mir sehr schwer, so in meinem Alltag mir Fluchten zu suchen oder da das Leben zu entschleunigen. Und so über die Zeit hat sich dann der Wunsch angesammelt, das zu machen und das vielleicht auch mal rigoros zu machen. "

    Aber auch sie hat sich nie als Downshifter gesehen.

    "Dadurch, dass es so ein starker, innerer Wunsch war und Drang war, habe ich nicht wirklich drüber nachgedacht, was das für Konsequenzen hat - sage ich jetzt mal. Oder ob das ein bewusstes Lebensmodell ist oder eine bewusste Entscheidung..."

    Für viele Menschen wie Simone Utler ist es normal, dass 80 Prozent ihres Lebens von der Arbeit bestimmt werden.

    "Wobei es auch ganz schwer zu trennen ist. Weil natürlich - irgendwie... ich schalte abends den Fernseher ein. Und da ist quasi wieder Arbeit, wenn ich Nachrichten sehe. Ich lese im Urlaub die Tageszeitung, ich lese Magazine. "

    Die junge Frau steigt temporär aus ihrem Job aus, weil es ihr Spaß macht. Weil sie es will.

    "Ich fliehe nicht. Also, diese Auszeit ist keine Flucht vor meinem Beruf. Sondern es ist eine Reise zu etwas: Zu mir selbst, zu anderen Aspekten des Lebens. Zu innerer Ruhe..."

    Die 35-Jährige verurteilt die Leistungsgesellschaft nicht. Auch wenn sie jetzt aussteigt - vorübergehend. Eine 60-Stunden Woche ist nicht automatisch schlimm, sagt sie. Zum Problem wird sie erst, wenn sie krank macht oder mit persönlichen Lebensvorstellungen kollidiert.
    In der heutigen Arbeitswelt droht keine Staublunge, sondern dauerhafte Nervosität, Schlaflosigkeit, Erschöpfung, Burn-out aufgrund von 50-, 60-, 70-Stunden-Wochen. Die Krankschreibungen wegen psychischer Leiden - etwa infolge von Stress - haben in den letzten Jahren um siebzig Prozent zugenommen. "Nur wer brennt, kann ausbrennen". Ein populistischer Spruch - der aber wohl zutrifft. Denn es sind häufig die Engagierten, die krank werden. Die, die sich für ihren Beruf begeistern, sich mit ihrer Tätigkeit identifizieren, darin Sinn und Selbstverwirklichung finden und die Karriere machen möchten. Die High Potenzials, die in jungen Jahren alles geben. Und die sich nach einiger Zeit im Beruf fragen: Kann das wirklich alles sein?

    Aber es sind eben jene High Potenzials, die die Unternehmen suchen. Die für den Job brennen. Auch Unilever will die Besten und muss dafür Anreize bieten. Konstantin Bark, Sprecher von Unilever Deutschland in Hamburg:

    "Als internationaler Konzern ist ja die große Herausforderung, wie kriege ich die besten Talente? Wie motiviere ich meine Mitarbeiter, Höchstleistungen zu bringen? So, dass es für alle nützt sozusagen. Und ich glaube, da ist es immer wieder notwendig, dass man so tradierte Modelle hinterfragt und sich überlegt, können - müssen - wir das nicht sogar auch anders machen, um für beide Seiten das Beste rauszuholen. "

    Erklärt der Mittdreißiger und öffnet die Tür zum medizinischen Bereich. Hier hat der Betriebsarzt von Unilever seine Behandlungsräume. Gleich dahinter am Ende des Flures: Der Ruheraum. Für alle Mitarbeiter jederzeit nutzbar. Gerade sind die beiden Massagesessel besetzt, flüstert Sandra Jansen, die im Vorzimmer des Arztes arbeitet:

    "Vor allem in der Mittagszeit kommen ganz viele Leute und machen da ihr Mittagsschläfchen. Oder wenn viel Stress ist, Migräne, Kopfschmerzen. Erst Tablette, dann auf den Stuhl. Also, es ist wirklich: Man taucht in eine eigene kleine Welt ein. Man setzt sich hin, kann verschiedene Programme wählen. Musikprogramme, Entspannungsprogramme. Nur reine Massageprogramme... Es ist einfach: Kurz mal abschalten, alles hinter sich lassen und neu durchstarten. "

    Die sogenannte "Work-Life-Balance" - das ausgewogene Verhältnis von Arbeiten und Leben, spielt gerade für junge Hochqualifizierte eine immer wichtigere Rolle. Unilever hat in einem Prozess das sogenannte Agile-Working - spricht das agile Arbeiten - eingeführt. Zwischenzeitlich ist das Usus an sämtlichen Standorten des Konzerns, erläutert Angela Nelissen.

    Dass die Mitarbeiter auch mit allen technischen Möglichkeiten - sei es Blackberrys, Home Office - die Möglichkeit gegeben wird, in ihren Anforderungen des Jobs, sich so einzuteilen und auch von der Präsenz im Büro her... dass es wirklich optimal für ihr eigenes Leben ist. Auch optimal für den Job dann. Das ist sozusagen die Hoffnung dabei. Insofern passt es einfach zur Unternehmenskultur.

    "Wo man arbeitet, wann man arbeitet, wie man arbeitet - im Grunde ist es einfach: Das Ergebnis zählt. Das heißt für mich, jetzt konkret am Beispiel: Ich hatte in der letzten Woche ein Problem. Babysitter hat abgesagt. Und ich arbeite normal drei ganze Tage. Da hab ich für mich entschieden: Ok. Ich muss jetzt eigentlich auf fünf halbe Tage gehen. Da habe ich die Betreuung. Über die Kita. Da habe ich das einfach gemacht. Habe mich mit niemandem abgestimmt. Klar - mit Angela natürlich. Die muss das natürlich wissen. Aber nicht mal mit meinem Boss. Und hab das einfach gemacht. "

    Ergänzt Christiane Haasis. Dass die Mitarbeiter von zu Hause arbeiten, ihr Home Office nutzen, wird von den Beschäftigten dankbar angenommen. Und ist bei Unilever ausdrücklich erwünscht.

    Gutes Betriebsklima als Burn-out-Prävention? Firmen wie Unilever glauben fest daran. Denn ein gutes Betriebsklima, eigenverantwortliches Arbeiten in gesunder Atmosphäre motiviert.

    "Manche wohnen zwei Stunden weg. Müssen sehr viel reisen. Für die ist das wirklich, wirklich ein Motivationsschub zu sagen: Nein. Du kannst Donnerstagabend heimfahren zu Deinem Mann und zu Deinem Kind. Und Freitag arbeitest Du von zu Hause. "

    Das Unternehmen veranstaltet mit den Beschäftigten Workshops, damit sie lernen, mit den Freiheiten die zur Verfügung stehen, auch verantwortungsbewusst umzugehen.

    "Genau mit dieser Grenze von: Ich hab jetzt noch die Möglichkeit, aber es geht jetzt auch um meine eigene Gesundheit, wie weit bringe ich mich ein, wie kann ich mich auch abgrenzen - muss ich mich abgrenzen... "

    Für die beiden Geschäftsfrauen war und ist genau dieses "sich abgrenzen" eine ganz besondere Herausforderung. "Nein" zu sagen und seine freie Zeit zu verteidigen, macht Angela Nelissen deutlich ...

    "Da ist jetzt niemand im Business, der sagt: So, Du musst aber jetzt am Donnerstag kommen. Aber natürlich: Unterschwellig ist man gewohnt, alle Jobs einfach 100 Prozent zu machen. Und dann abzugeben und dann zu sagen: Nein, am Donnerstag bleibe ich zu Hause. Auch wenn man weiß, man kann vielleicht noch was voranpuschen. Das ist so die interne Challenge, wo man auch andere Verhaltensweisen sich angewöhnen muss, um diesen Donnerstag und Freitag zu verteidigen."

    Arbeit gilt als Wert an sich: Während die einen sich vom Praktikum über Aushilfsjobs zur Zeitarbeit hangeln, müssen andere Doppelschichten ableisten. Wieder andere arbeiten 80 Stunden die Woche. Karriere ist vielen wichtig. Auch die Redakteurin Simone Utler bezeichnet sich als ehrgeizig, hat sich aber bewusst für diesen kalkulierten Karriereknick entschieden.

    "Vielleicht kann es in manchen Unternehmen die Konsequenz haben, dass jemand denkt irgendwie: Was ist das für eine esoterische Alte, die hier jetzt mal in den Dschungel oder aufs Reisfeld geht. Auf so eine kann man ja nicht bauen, wenn man jetzt jemanden in eine leitende Position nehmen möchte. Ich glaube aber in vielen Branchen, auch gerade in unserer, ist es echt eher förderlich als dass es ein Knick ist."

    Es erfordert Mut, aus dem laufenden Hamsterrad zu springen. Viele schrecken davor zurück, aus der Komfortzone auszusteigen und fürchten den biografischen Bruch. Simone Utler glaubt, dass die Angst vor dem "Loch im Lebenslauf" eine typisch deutsche Angst ist. Davon will sie sich freimachen.

    "Ich hoffe, dass mir diese Auszeit vielleicht ein bisschen eine andere Wertschätzung für´s restliche Leben und für Müßiggang, einfach mal Freude haben, das schöne Wetter genießen, also schon auch für die anderen Dinge wieder eröffnet."

    Stellt sich die Frage: Wie wichtig also ist der Beruf für ein glückliches Leben? Durch das Downshifting, und hier sei der realistische, behutsame Teilrückzug in ausbalancierten Schritten gemeint, kann das Leben eine neue Wendung nehmen. Es ist die Kunst der Balance zwischen Arbeit und Leben. Wer rechtzeitig herunterschaltet, so zeigt sich, kann später viel besser Gas geben.