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Malcolm X. Der schwarze Revolutionär
"Nur für die Fehler bin ich verantwortlich"

Malcolm X war einer der führenden Köpfe der Nation of Islam. Er engagierte sich bei der religiös-politischen Organisation schwarzer Amerikaner bis eine Mekka-Reise zum Umdenken führte. Britta Waldschmidt-Nelson hat sich in ihrem Werk "Malcolm X. Der schwarze Revolutionär" auf die Autobiografie des Aktivisten und auch auf neue Quellen berufen.

Von Martin Zähringer | 07.09.2015
    Der amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X spricht am 14. Mai 1963 auf einer Kundgebung in New York.
    Der amerikanische Bürgerrechtler Malcolm X spricht am 14. Mai 1963 auf einer Kundgebung in New York. (picture-alliance / dpa - UPI)
    Malcolm X war einer der führenden Köpfe der Nation of Islam. Ihr Führer Elijah Muhammad vertrat eine Art Endzeitislamismus. Für Malcolm X war dieser Sektenführer eine unangreifbare Autorität, zwölf Jahre lang organisierte er meisterhaft den Aufbau der Nation of Islam. Bis er mehr über die Weltreligion lernte, zum Beispiel, dass der Islam keineswegs auf Rassenhass basiert und dass der Kampf gegen Rassismus eine internationale, solidarische Kooperation verlangt. Das brachte ihn in einen Konflikt mit der Nation of Islam in den USA. Die Historikerin Britta Waldschmidt-Nelson hat eine Biografie gewagt, Martin Zähringer stellt sie vor.
    Wie geht eine weiße, bürgerliche Autorin im 21. Jahrhundert bei der gebotenen Political Correctness mit einem schwarzen Revolutionär um? Und wie kann sie dem spezifischen Rassenhass auf die Weißen und der Frauenverachtung der Nation of Islam objektiv entsprechen, deren charismatischer Propagandist Malcolm X war? Diplomatisch geht die Biografie vor, diplomatisch ist zumindest die Methode eines literarischen Dialogs, den sie mit der Autobiografie von Malcolm X führt. Ein Beispiel für diesen Dialog: Am Anfang des Kindheitskapitels ihrer Biografie steht ein Zitat von Malcolm X, der seine berühmte Autobiografie selbst erklärt:
    "Ich denke, dass ein objektiver Leser sehen kann, warum es in der Gesellschaft, in der ich als schwarzer Junge in Amerika aufwuchs, praktisch unvermeidlich war, dass ich im Gefängnis landete."
    Misstrauen, Aggression, selbstzerstörerischer Unüberlegtheit
    Waldschmidt-Nelson schildert nun, nachdem sie zuvor einen kurzen Abriss der Sklavenhaltergesellschaft in den USA geliefert hat, die Kindheit und Jugend eines schwarzen Jungen in den Südstaaten. Das Aufwachsen in einer zerrütteten Familie und deren Ende, die destruktive Sozialfürsorge und die Angriffe der Rassisten, erste Bildungserfolge und die bittere Erfahrung der Chancenungleichheit, als ihm das Studium verwehrt wird. Dann kommt die Autorin zu diesem Ergebnis:
    "Dem jungen Malcolm fehlte in entscheidenden Jahren seiner Kindheit die liebevolle Geborgenheit einer Familie oder einer anderen stabilen Gemeinschaft, die ihm eine positive Lebenseinstellung, einen inneren Halt und ein gesundes Selbstwertgefühl als Afroamerikaner hätte vermitteln können. Dieser Mangel sowie die frustrierenden Erlebnisse in seiner Schulzeit trugen zweifellos dazu bei, dass er in den folgenden Jahren auf die schiefe Bahn geriet und seine Weltanschauung lange Zeit von Misstrauen, Aggression, selbstzerstörerischer Unüberlegtheit und Hass gegenüber Weißen geprägt war."
    Einer der übelsten, parasitärsten Gauner New Yorks
    Geht die Biografin hier von ihren eigenen normativen Werten aus? Die strukturelle Gewalt der Verhältnisse im Süden der USA und die rassistische Unterdrückung der schwarzen Unterschicht stellen einen individualpsychologischen Fokus doch sehr infrage. Zum Glück täuscht der erste Eindruck, die Biografie des Individuums Malcolm X gewinnt zusehends Profil in seinem politischen Kontext. Und die Taktik des fiktiven Dialogs ist klug - Zweistimmigkeit als freiwillige Maßnahme gegen ausufernde biografische Interpretationsgewalt. So kommt Malcolm X in der neuen Biografie immer wieder selbst zu Wort. Hier kommentiert er den Einstieg in sein Leben als Kleinkrimineller Detroit Red in den Nordstaaten:
    "Ich war völlig fasziniert. Diese Welt war es, in die ich gehörte. In jener Nacht begab ich mich auf meinen Weg, ein Harlemer zu werden. Bald sollte ich einer der übelsten, parasitärsten Gauner unter den acht Millionen Einwohnern von New York sein. Aber New York war für mich der Himmel. Und Harlem war der 7. Himmel.
    Die Biografin liest seine Autobiografie gegen den Strich und nutzt als ausgewiesene Kennerin auch neue Quellen. So erläutert sie, wie der Held am Ende als Kleingangster Detroit Red die Mitglieder seiner Diebesbande preisgibt und sich überhaupt wenig schlau anstellt - wer geht schon mit einer gestohlenen Luxusuhr zum Juwelier, um sie unter seinem eigenen Namen reparieren zu lassen. Als er sie abholen will, klicken die Handschellen. Nach fast zehn Jahren Gefängnis, die Malcolm X für ein ausgedehntes Selbststudium nutzt, schließt er sich treu ergeben dem Sektengründer Elijah Muhammad von der Nation of Islam an. Die Nation of Islam ist eine nichtpolitische Selbstorganisation schwarzer Amerikaner. Das religiöse Oberhaupt hat in den 1930er-Jahren eine Art Endzeitlehre formuliert, seine Familie kontrolliert die Finanzen und der charismatische Malcolm X baut die Organisation immer weiter aus. Bis herauskommt, dass sein großes Idol selbst Wasser predigt und Wein trinkt.
    Politische Wende von Malcolm X
    Die rigide Ehemoral der Nation, die jede Beziehung außerhalb der Ehe verbietet und existenzvernichtende Strafen ausspricht, gilt nicht für Elijah Muhammad selbst: Malcolm X macht öffentlich, dass Allahs Botschafter mindestens sechs außereheliche Kinder hat, die geschwängerten Sekretärinnen hat Elijah aus der Gemeinde ausgeschlossen, Alimente bezahlt die Nation of Islam. Außerdem erkennt Malcolm nach seiner Mekka-Reise, dass der Rassismus der Nation of Islam keineswegs von der Umma der Gläubigen geteilt wird. Waldschmidt-Nelson beschreibt detailliert und spannend, wie nun ein tödlicher Kampf beginnt und eine politische Wende bei Malcolm X einsetzt. Sein frühes Ende hat er geahnt:
    "Ja, ich habe meine Rolle als Demagoge geschätzt. Ich weiß, dass Gesellschaften oft die Menschen umbringen, die geholfen haben, diese Gesellschaften zu verändern. Und wenn ich sterben kann, nachdem ich dazu beitragen konnte, die Dinge etwas zu erhellen und ein Stück der bedeutenden Wahrheit sichtbar zu machen, das bösartig im Körper Amerikas wuchernde Krebsgeschwür des Rassismus zu zerstören, dann ist allein Allah dafür zu loben. Nur für die Fehler bin ich verantwortlich.
    Man hört, auch die Autobiografie von Malcolm X hat durchaus noch ihren Reiz. Als Einführung ist die gut lesbare Biografie von Britta Waldschmidt-Nelson zu empfehlen, die das Leben von Malcolm X im differenzierten Kontext der afroamerikanischen Emanzipationsbewegung beschreibt.
    Britta Waldschmidt-Nelson:
    Malcolm X. Der schwarze Revolutionär
    C.H. Beck, 384 Seiten, 18,95 Euro.