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Mali: Die Suche nach einem Platz auf der Ladefläche

1200 Kilometer liegen zwischen Bamako, der Hauptstadt Malis, und Gao im Zentrum des Landes. Gao ist ein staubiger Marktflecken mit flachen ockerfarbenen Gebäuden. Hinter Gao fängt die Sahara an. Vor Gao hört die Teerstraße einfach auf. Bis zur algerischen Grenze sind es 700 Kilometer. Wer in den Norden will, muss durch Gao. Und wer nach Süden will auch.

Von Rüdiger Maack | 25.04.2006
    Boubakar und seine Freunde wollen nach Süden. Die vier sitzen im Schatten eines verfallenen Gebäudes gleich neben dem Busbahnhof. Sie spielen Karten, um sich die Zeit zu vertreiben. Einer kocht Tee.

    Boubakar ist Senegalese, wie die anderen auch. Alle vier sind Bauern. Sie sind sehr jung, zwischen 16 und 19 Jahre alt. Sie wollten nach Europa, doch sie haben es nicht geschafft. In Algerien wurden sie verhaftet und in der Wüste ausgesetzt.

    " Wir sind mehr als 1000 Kilometer gelaufen! Einige aus unserer Gruppe sind verschwunden, wir wissen bis jetzt nicht, was aus ihnen geworden ist. Nach drei Tagen haben uns ein paar Malier irgendwo in der Wüste gefunden. Wir hatten nichts mehr zu essen und zu trinken. Ein paar von uns sind gestorben! "

    Jetzt wollen sie so schnell wie möglich zurück in den Senegal. Doch sie haben kein Geld für den Rücktransport. Sie stecken fest. Gao droht für sie zur Endstation zu werden. Seit drei Tagen hat Boubacar nichts mehr gegessen.

    " Wir stehen morgens früh auf, ziehen durch die Straßen und wenn wir jemanden sehen, dem es gut geht, dann erklären wir ihm, dass wir abgeschoben wurden und nichts zu essen haben und manchmal geben sie uns dann 25 oder 100 Franc und dann essen wir etwas. "

    Bourbakar trägt ausgetretene Sandalen, eine dreckige Hose und ein zerschlissenes T-Shirt. Mehr hat er nicht. Er sitzt im Sand, neben ihm grast eine Ziege. Überall Fliegen und Mücken.

    Mehr als zwei Wochen sind sie schon in Gao. Boubakar erzählt, dass er sich nach der Ernte im letzten Jahr aufgemacht hat in Richtung Europa. Das Stück Land, das er bewirtschaftet, ist noch nicht einmal einen Hektar groß. Er baut Reis, Hirse und Erdnüsse an. Aber das reicht hinten und vorne nicht, um sich und seine Geschwister durchzubringen. Seine Eltern sind tot, er hat drei kleine Brüder. Er hat sie alleine zurückgelassen, erzählt er. Als er von ihnen spricht, stehen ihm Tränen in den Augen - vor Heimweh, Hunger, Wut und Verzweiflung.

    " Sie haben geweint und gesagt, ich soll sie nicht allein lassen. Ich habe ihnen gesagt: Gott wird Euch beschützen, bis ich wiederkomme. Oder ich helfe Euch, nach Europa nachzukommen. Das habe ich ihnen gesagt. Und jetzt das. Wirklich, ich gehe lieber wieder zurück. Ich will sie wieder sehen und bei ihnen bleiben. "

    Früher hat die malische Regierung die Abgeschobenen zurück bis in die Hauptstadt gebracht, doch das wurde ihr zu teuer. Jetzt ist Gao eine Sackgasse für alle Rückkehrer, die irgendwo abgeschoben worden sind. Und für alle Neuankömmlinge, die noch auf Europa hoffen.

    Die Schlepper bringen ihre Kunden in so genannten Ghettos unter - in Häusern, die abseits liegen und manchmal weit vor der Stadt. Dort werden sie wie Gefangene gehalten und dürfen die Quartiere nur nachts, nach Einbruch der Dunkelheit verlassen.

    " Ich lebe im Ghetto. Das ist weit weg von hier. Es ist auswärts, ich weiß nicht genau, wie es heißt. Das ist ein Zelt, in dem ich schlafe. Wir sind 10 Leute, 3 Bewacher sind ständig da. "

    Arwa Udu kommt aus Nigeria, er ist 29 Jahre alt. Er sitzt in einer Bar, die einem Landsmann gehört - und möchte weiter, durch die Wüste nach Europa. Aber er hat kein Geld mehr.

    " Das ist alles sehr schlecht gelaufen. Ein Freund hat mir gesagt, ich solle zu ihm nach Europa kommen und er hat mir Geld versprochen, aber er schickt mir kein Geld, obwohl ich ihn angerufen habe. "

    Arwa Udu erzählt, dass er es schon einmal bis nach Libyen geschafft hat. Dort wurde er geschnappt und abgeschoben. Jetzt also wieder Gao. Und erneutes Warten auf einen Platz auf der Ladefläche.

    " Ich will nicht zurück nach Hause. Ich habe kein Geld, meine Familie hat keins. Ich will zeigen, dass ich meiner Familie helfen kann, dass meine Eltern stolz sein können auf mich. "

    Am Nebentisch sitzt ein junges Mädchen - sie ist hübsch, trägt Jeans, ein sauberes T-Shirt.
    Sarah heißt sie.

    " Ich will nicht mehr nach Europa! Ich habe genug. Bis hierher zu kommen, war einfach, aber hier gehen die Probleme erst richtig los. Ich habe die Leute gesehen, die aus der Wüste zurückkommen. Ich will hier nicht sterben! Wenn ich Geld hätte, würde ich morgen früh gehen! "

    Sarah ist 24, auch sie kommt aus Nigeria. Seit zwei Wochen ist sie in Gao, erzählt sie - und auch sie hatte diesen Traum von Europa.

    " Ich wollte, dass meine Familie stolz ist auf mich. Wir leben in einem kleinen Dorf und haben kein Geld. Ich habe viele Freunde gesehen, die in Europa waren und ihren Familien geholfen haben. "

    Jetzt will sie so schnell wie möglich zurück. Aber das wird nicht so einfach sein. Sarah hat kein Geld mehr. Und der junge Nigerianer, der bei ihr sitzt, weicht ihr nicht von der Seite. Er nimmt ihr das Geld, das wir Sarah heimlich zugesteckt haben, sofort wieder ab Ein paar Hundert Meter weiter sitzen nigerianische Mädchen auf einer sandigen Straße und warten auf Freier. Sarah will nur noch weg von hier.

    " Als ich nach Gao kam, wurde ich hinter der Fähre von der Polizei kontrolliert, die haben dann meinen Pass eingezogen und gesagt, ich solle ihnen Geld bringen. Ich sagte, ich habe kein Geld. Dann sagten sie, es gibt Nigerianer in Gao. Sie hatten ihre Nummer und haben dann angerufen und die kamen dann und haben mich aus der Situation rausgeholt. "

    So hat Arwa die Bekanntschaft von Kodjo gemacht. Er ist Chairman. Überall, wo Nigerianer sind, gibt es einen Chairman. Er besticht Polizisten und Grenzbeamte, organisiert den Weitertransport und geht schon einmal dazwischen, wenn es Streit gibt.

    " Ich habe zwei Geschäfte in Gao. Diesen Frisiersalon hier und ein zweites Geschäft. Ich kaufe und verkaufe. Manchmal gibt es Leute, die kommen nach Gao und wollen nach Europa und haben kein Geld, dann helfe ich ihnen. Manchmal vermittle ich ihnen einen LKW-Fahrer und dann verschwinden sie. "

    Auch Kodjo wollte einmal nach Europa. Doch im Norden Marokkos ist er umkehrt und hat dann schnell gemerkt, dass Gao eigentlich gar nicht so schlecht ist für das Geschäft mit der Hoffnung.

    " Also, als Chairman helfe ich den Reisenden und bekomme etwas dafür. Ich bekomme dann eine Kommission in Höhe eines Fahrpreises. Damit kann ich dann auch Landsleute unterstützen, die hier ankommen und gar nichts mehr haben. "