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Mali
Im Windschatten der Dschihadisten

Die Sicherheitslage in Mali ist dramatisch. Auch deshalb ist die Bundeswehr dort im Auslandseinsatz. Aber die Konfliktlinien in dem westafrikanischen Land haben sich verschoben. Nach Rebellion und Terror geht es jetzt um ethnisch motivierte Gewalt unter den größten Volksgruppen.

Von Benjamin Moscovici | 22.12.2018
    Auffanglager für geflüchtete Peul aus dem Zentrum Malis
    Auffanglager für geflüchtete Peul aus dem Zentrum Malis (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
    Frauen stampfen Maniok, Kinder laufen im Hof zwischen den Zelten umher, im Schatten einer Hauswand sitzen einige ältere Männer und zwei Frauen. Ein kleines Flüchtlingslager in Mali, etwa 30 Kilometer östlich der Hauptstadt Bamako. Mariam, eine Frau Anfang 40 mit tätowiertem Kinn, erzählt, wie sie hierher gekommen ist:
    "Bewaffnete Milizen haben bei uns in der Gegend gewütet. Als wir hörten, dass sie auch uns angreifen wollen, sind wir geflohen. Hätte unser Dorfchef uns nicht mit seinem Laster aus dem Ort gebracht, wären wir vermutlich alle getötet worden."
    Wie die anderen Menschen hier im Flüchtlingslager ist Mariam nicht vor Dschihadisten geflohen, sondern vor ihren einstigen Nachbarn.
    Beinahe unbemerkt von der Weltöffentlichkeit hat sich der Konflikt im westafrikanischen Mali in den letzten zwei Jahren grundlegend verändert, sagt Corinne Dufka. Die Leiterin von Human Rights Watch Westafrika hat gerade einen ausführlichen Bericht über die Lage in Mali und die neuen Schwerpunkte des Konflikts herausgebracht.
    "Seit 2015 hat sich das Epizentrum der Gewalt von Nordmali ins Zentrum verlagert."
    Im Norden Malis hatten 2012 zunächst die Touareg gegen die Regierung rebelliert und für ihre Unabhängigkeit gekämpft. Anschließend überrannten Dschihadisten weite Teile des Landes. Die Kämpfe dort sind weitgehend beendet. Der neue Schwerpunkt liegt auf lokalen Auseinandersetzungen zwischen den drei größten Volksgruppen im Zentrum des Landes: Peul, Dogon und Bambara.
    Opfer willkürlicher Angriffe
    "Verschiedene Dschihadisten-Gruppen in Mali haben ihre Rekrutierungsbemühungen in den letzten Jahren vor allem auf die Peul konzentriert. Mit Erfolg. Deshalb stellen Bambara und Dogon inzwischen alle Peul unter Generalverdacht."
    So kommt es, dass die Peul zuletzt immer häufiger zu Opfern willkürlicher Angriffe werden. Und es hat den Anschein, als würden Politik und Armee diese Entwicklung dulden, vielleicht sogar insgeheim fördern. Corinne Dufka von Human Rights Watch:
    "Es gibt in Mali eine gewisse Tradition, dass Staat und Armee ihre Sicherheits- und Verteidigungsaufgaben an bewaffnete, ethnisch nahestehende Milizen auslagern. Wir gehen davon aus, dass genau das auch jetzt im Zentrum Malis passiert, mit Blick auf die Milizen der Bambara und Dogon. Auch wenn wir es bislang nicht beweisen können."
    Aber es gibt einige Hinweise. So werde insbesondere das Vorgehen der bewaffneten Dogon-Milizen zunehmend professioneller, berichten Beobachter vor Ort. Vor allem fragen sich viele: Woher stammen die teils schweren Waffen, mit denen die Dogon Dörfer der Peul angreifen? Die Flüchtlinge in dem Lager bei Bamako erzählen:
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    Amadou Barry erzählt: "Sie hatten eine Waffe dabei, die das ganze Dorf in Flammen gesetzt hat." (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
    "Sie hatten eine Waffe dabei, die ich noch nie gesehen habe."
    "Das Rohr war etwa armdick. Sie haben die Waffe gegen einen Baum gestützt und mit Pulver und Eisen geladen. Es gab eine große Explosion, tausend Eisensplitter zerfetzten alles und das Dorf ging in Flammen auf."
    Eine Beschreibung, die gut auf einfache Mörsergeschütze zutreffen könnte. Geschütze wie beispielsweise das sowjetische M1943, das unter anderem auch von der malischen Armee eingesetzt wird.
    Kein Vertrauen in den Staat
    Bokoum Momini ist einer der wenigen jungen Journalisten in Mali, die offen über die Menschenrechtslage und die grassierende Korruption im Land sprechen. Er sagt, im Schatten des großen Touareg-Konflikts im Norden und dem Vormarsch der Dschihadisten habe sich in den letzten Jahren auch die Sicherheitslage im Rest Malis immer weiter verschlechtert. Das Vertrauen in den Staat sei inzwischen fast völlig zerbrochen.
    "Die Politik hat versagt! Sie haben es nicht geschafft, einen friedlichen Dialog ins Leben zu rufen und die Gewalt zu beenden."
    Deshalb seien überall im Land lokale Selbstverteidigungsmilizen entstanden. Corinne Dufka von Human Rights Watch:
    "Mitglieder aller Ethnien beklagen das gleiche: mangelnde Rechtsstaatlichkeit, fehlende Sicherheit, Raubüberfälle und Perspektivlosigkeit für ihre Kinder."
    Nun soll ein neues Gesetz zur nationalen Einheit den Weg zum Frieden ebnen. Das sieht vor, dass ehemalige Milizionäre in die malische Armee integriert werden sollen. Menschenrechtsgruppen kritisieren den Gesetzesentwurf. Sie werfen der Regierung vor, bewaffnete Gruppen um jeden Preis zur Niederlegung der Waffen bewegen zu wollen.
    Drissa Traore, Projektkoordinator bei der ältesten und wichtigsten malischen Menschenrechtsorganisation, sagt:
    "In dem Gesetz sind Kriegsverbrecher explizit von Amnestien ausgeschlossen, aber der Entwurf sieht keinen Mechanismus vor, um festzustellen, wer an Gewaltverbrechen beteiligt war. Die Überprüfung der ehemaligen Milizionäre soll maximal acht Tage dauern. In der kurzen Zeit ist es unmöglich, sicher zu sagen, ob jemand an Verbrechen beteiligt war oder nicht. Insofern ist das Gesetz eine Ermutigung für die Milizen."
    Straftaten bleiben ungesühnt
    Denn Straftaten werden kaum verfolgt, und mit der Aussicht auf künftige Amnestien geht das Töten weiter. Im Windschatten von dschihadistischen Gruppen, lokalen Selbstverteidigungseinheiten, ethnischen Auseinandersetzungen und dem Kampf gegen den Terror werden alte Rechnungen beglichen, wird gemordet und gebrandschatzt.
    Mariam Boli, Binnenvertriebene im westafrikanischen Mali
    "Hätte unser Bürgermeister uns nicht rechtzeitig aus dem Dorf gebracht, wären wir wohl alle getötet worden", sagt Mariam Boli (Deutschlandradio / Benjamin Moscovici)
    Wie dramatisch die Situation ist, trotz der Friedensbemühungen der Regierung, zeigt ein Gespräch mit Hamadoune Dicko. Der Mittzwanziger ist Präsident des malischen Zweigs einer internationalen Organisation, die sich für die Kultur der Peul einsetzt. Während des Interviews blinkt unentwegt sein Handy, kommen neue Nachrichten rein, Meldungen aus den Dörfern im Herzen Malis. Dann kommt ein Anruf, eine unbekannte Nummer. Dicko entschuldigt sich, sagt, das müsse er annehmen.
    "Ich wurde gerade über einen Vorfall im Osten des Landes informiert. Die Menschen in dem Dorf Mora haben von einem bevorstehenden Angriff einer Dogon-Miliz erfahren und versucht zu fliehen. Aber sie sind der Miliz genau in die Arme gelaufen. Wenn diese Leute dich schnappen, dann töten sie dich. Das passiert jetzt – während wir reden."