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Malis Norden
Ein Jahr nach der Befreiung

Vor gut einem Jahr griffen französische und afrikanische Einheiten im Norden Malis ein. Diese Allianz konnte die Islamisten fürs Erste zurückdrängen. Doch der blutige Konflikt zwischen nomadischen Tuareg und radikalen Islamisten schwelt weiter. Die Bevölkerung im Norden Malis will sich lieber nicht vorstellen, was geschieht, wenn Frankreich seine Truppen wieder abzieht.

Von Alexander Göbel | 15.02.2014
    Ein Bundeswehrsoldatet bildet Soldaten in Mali aus, hier: einen KfZ-Mechaniker
    Ein Bundeswehrsoldatet bildet Soldaten in Mali aus (picture-alliance / dpa / Maurizio Gambarini)
    Mahamadou Maiga steht in einem riesigen Krater, zwischen absurd verbogenen Eisenstangen, Fetzen von Wellblech - und Schutt. Er zeigt nach drüben, auf die andere Uferseite des Nigerflusses. Sogar dort liegen die Reste des Gebäudes, das hier einmal stand. Mahamadou Maiga bewacht heute eine völlig zerstörte Ruine, früher war es einmal der Hafen von Konna. Bis zum 11. Januar 2013. Dem Tag, als der Krieg in Mali ausbrach und die Bomben fielen.
    Luftangriffe der Franzosen drängen Islamisten zurück
    "Als die Islamisten hier ankamen, sind einige Soldaten abgehauen, andere haben gekämpft. Die, die uns verteidigen wollten, wurden alle getötet. Die Islamisten haben sich im Hafen mit Lebensmitteln versorgt und wollten wieder weg, dann kamen die Luftangriffe der Franzosen."
    Dutzende Gotteskrieger waren an jenem Tag vom Norden Malis aus in Konna eingefallen, um sich mit Lebensmitteln zu versorgen. Frankreichs Luftwaffe hatte die Islamisten beobachtet: Konna war die rote Linie. Wäre die kleine Stadt den Islamisten in die Hände gefallen, sie hätten problemlos nach Sevaré, nach Mopti und möglicherweise weiter nach Bamako durchmarschieren können, erzählt Ruinenwächter Maiga.
    "Es war einfach furchtbar, ich kann vor lauter Albträumen noch immer nicht richtig schlafen. Dort hinten in der Ruine - da hatten die Islamisten ein paar Stunden ihre Toten aufgebahrt, dann haben die Franzosen mit ihren Raketen alles in Schutt und Asche gelegt. Es sollte keine Gräber für irgendwelche Dschihadisten-Märtyrer geben."
    Mali dankt Frankreich für den Einsatz
    An diesem 11. Januar gab es auch das erste Opfer auf französischer Seite. Der Hubschrauberpilot Damien Boiteux starb im Kampf mit den Dschihadisten. Eine Straße ist in Konna nach ihm benannt, und am Ortseingang ist dem französischen Offizier und den vielen gefallenen malischen Soldaten eine Statue gewidmet. Ein lebensgroßer französischer Soldat kniet auf einem Betonsockel und hält beide Hände schützend über die malische Fahne in der Form der Landesgrenzen: Mali dankt der ehemaligen Kolonialmacht für den Einsatz.
    Spuren des Krieges bleiben
    Heute rollen die Eselskarren durch Konna, Schulkinder winken. Eine riesige Tafel warnt die Bevölkerung vor Minen, Sprengfallen und übrig gebliebenen Blindgängern. Die Spuren des Krieges werden immer weiter vom Gras der Savanne überdeckt: Ausgebrannte, von Raketen zerstörte Pick-up-Geländewagen und Rollpanzer rosten vor sich hin.
    Langsam kehrt das Leben auch nach Gao zurück, eine Tagesfahrt nördlich von Konna. Untrügliches Zeichen: In der Stadt am Niger-Fluss im Norden Malis ist die "Euro-Bar" wieder geöffnet - in einem zerschossenen Hinterhof ohne Dach, dafür aber mit Strom, wenigstens für ein paar Stunden. Musik dröhnt aus den Lautsprechern, das Bier ist kalt.
    Selbst ernannte Heilige Krieger
    Ein Kneipenbesuch in der ehemaligen Islamistenhochburg Gao ist noch immer riskant, vor einiger Zeit aber war er völlig undenkbar. Im Frühjahr 2012 wurde Gao wie auch die Stadt Timbuktu erst von Tuareg-Rebellen besetzt und dann von radikalislamischen Terroristen - in Timbuktu war es Al Kaida, in Gao eine noch grausamere Gruppe namens MUJAO. Die selbst ernannten Heiligen Krieger machten Gaos Platz der Unabhängigkeit zum Platz der Scharia - wer nicht gehorchte, wurde hier in aller Öffentlichkeit ausgepeitscht, gesteinigt, erschossen. Der 17 jährige Agali erinnert sich.
    "Es war sehr gefährlich - wir durften gar nicht rausgehen. Die Islamisten haben uns Angst gemacht. Auf diesem Platz hier haben sie die Bevölkerung gequält. Das ist aber jetzt vorbei… ich fühle ich mich sehr gut, ich bin frei!"
    Heute spielen Agali und viele andere Jungs und Mädchen hier wieder Basketball, nebenan erinnern die Ruinen von Post, Rathaus und Polizeizentrale an die schweren Kämpfe vom letzten Jahr. Immerhin sind wieder einige Schulen und Geschäfte geöffnet. Doch stabil sei Gao, sei der gesamte Norden noch lange nicht, sagt Abdourahmane Dicko, Programmleiter der Friedrich-Ebert-Stiftung in Mali:
    "Malis Norden ist riesig, das Land ist weit und extrem schwer zu kontrollieren. Jeder, der Böses tun will, kann hier mit seinem Sprengstoffgürtel reinkommen, ob mit dem Auto, dem Motorrad oder zu Fuß. Noch immer gibt es bei uns hier oben keinen funktionierenden Staat, das Gebiet ist eine Art rechtsfreier Raum. Es ist sehr schwer, rechtzeitig zu reagieren."
    Mali als rechtsfreier Raum
    Trotz Checkpoints, trotz aller Patrouillen durch UN-Blauhelme und französische Truppen: Fast täglich werden in der Region Gao Überfälle oder Anschläge gemeldet. Weiter im Norden, in Kidal, in der Hochburg der sogenannten Tuareg-Befreiungsbewegung MNLA, herrscht völlige Anarchie. Vordergründig geht es den schwer bewaffneten Rebellen um die Unabhängigkeit eines Gebietes namens Azawad – aber dahinter stecken andere Motive: Raub, Waffen-, Drogen- und Menschenschmuggel, ethnischer Hass, Terrorismus. Radiomoderatorin Aminata Maiga durfte unter der Herrschaft der Islamisten in Gao nicht arbeiten, eine Frauenstimme im Radio war verboten. Sie will nicht daran denken, dass Frankreich seine Truppen bald auf 1000 Mann reduzieren wird.
    "Wenn wir hören, dass die Franzosen abziehen, dann schlafen wir schlecht. Dass wir einigermaßen Ruhe haben, das haben wir nur den Franzosen zu verdanken. Ich hoffe, dass ein Teil ihrer Truppen bleiben wird. Ich habe große Angst, dass die Islamisten nach Gao zurückkommen, sobald die Franzosen weg sind. Denn die malische Armee kann uns noch nicht allein beschützen, sie ist noch nicht stark genug."
    Aminata erzählt von den unfassbaren Gräueltaten, die in Gao verübt worden seien. Von den Amputationen, und auch von den Massenvergewaltigungen, die, wenn überhaupt, nur langsam ans Licht kommen. Die Dschihadisten hätten sich Gaos Frauen und Mädchen vergriffen, vor allem aber die Tuareg-Rebellen der MNLA -Malier also, auch Mitbürger aus Gao. In der Hauptstadt Bamako werde viel von Verhandlungen mit den Tuareg gesprochen, und auch von einem Versöhnungsprozess. Aminata ist skeptisch. Aber sie hofft, dass der Neuanfang gelingen kann. Irgendwann.
    "Ich erinnere mich noch gut an die erste Sendung, nachdem ich wieder ans Mikro durfte. Ich habe über den Zusammenhalt der Gesellschaft gesprochen. Darum geht es! Trotz allem, was passiert ist: Wir dürfen nicht alle Araber und alle Tuareg in einen Topf werfen - nicht alle haben Verbrechen begangen, viele sind unbescholtene Bürger. Die Täter müssen bestraft werden, das steht fest. Aber wir sind hier mit diesen vielen ethnischen Gruppen zum Zusammenleben verdammt - so schwer es auch sein wird: wir müssen einander verzeihen.
    Exekutionen dauern an
    Am nächsten Morgen kreist ein französischer Kampfhubschrauber über Gao. Schwer bewaffnete französische Soldaten fahren Patrouille. In der Nacht wurden Bomben gefunden. Wir hören, dass ein Araber in der Stadt ermordet wurde, aus Rache. Und wir erfahren von der Entführung von Mitarbeitern des Roten Kreuzes, von Exekutionen auf der Strecke zwischen Gao und Kidal - Dutzende Leichen wurden entdeckt, darunter Frauen und Kinder, durch Kopfschüsse getötet, kniend und gefesselt. Während wir Gao verlassen, werden sie gerade beerdigt.