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Mallorca gehört zu Spanien – oder?

In Boulevardzeitungen wird Mallorca schon mal als das 17. deutsche Bundesland beschrieben, es wird sich aufgeregt über andere Ausländer auf der Insel, die den Deutschen die Badeliegen wegreservieren. Jenseits solcher Polemik ist das "deutsche Problem" auf Mallorca durchaus real.

Von Michael Mayer | 20.08.2009
    Playa de Palma auf Mallorca, der Lieblingsstrand der Deutschen auf der Lieblingsinsel der Deutschen. Seit diesem Frühjahr leben Andre aus Kassel und sein Kumpel hier – Sie sind Gastarbeiter, jobben als Ticketeros rund um Ballermann, verteilen dort Prospekte für die Discos der Umgebung:

    "Sprecht Ihr Spanisch?"

    " Nein, wir sprechen kein Spanisch."

    "Welche spanischen Worte kennt Ihr denn?"

    " Ja einige. Hola für Hallo, Que tal – wie geht's, ja – viel."

    "Aber man muss hier kein Spanisch sprechen?"

    "Nee, auf keinen Fall."

    "Warum nicht?"

    " Ja, es sind so viele Deutsche hier, das geht auf jeden Fall."

    Das mag für die Playa de Palma durchaus gelten. Dort hört man fast nur noch Deutsch auf den Straßen. Und auch in Paguera oder Port d'Andraitx könnte man fast den Eindruck von Andres' Kollegen Udo bestätigen:

    "Mallorca, das ist Deutschland!"

    Rund 30.000 Deutsche leben auf Mallorca – einer Insel mit rund 800.000 Einwohnern und einem Ausländeranteil von 16 Prozent, höher als dem von Berlin. Die Deutschen stellen nach den Marokkanern die zweitgrößte Gruppe der Ausländer. Und genau wie die Marokkaner bleiben sie meist unter sich, in ihrer eigenen Subkultur: Mit deutschem Bäcker und deutschem Metzger, mit deutschen Heizungsmonteur und deutschem Elektriker, deutschem Delikatessenladen und deutschem Partyservice. Zwei deutsche Wochenzeitungen und ein deutsches Anzeigenblatt sorgen dafür, dass sich niemand die Mühe machen muss, spanische Blätter zu lesen. Außerdem gibt's noch den deutschen Radiosender, der einem deutschen Immobilienmakler gehört und der rund um die Uhr neben Musik auch Nachrichten sendet – in deutscher Sprache. Wer trotzdem mit den einheimischen Mallorquinern in Berührung kommt, hat meist Glück ...

    "... weil, die können alle Deutsch sprechen hier. Also ich hab bis jetzt noch keinen gesehen, der nicht Deutsch sprechen kann. Zumindest ein bisschen."

    Das zumindest ist gängiges Bild in den Deutschen-Hochburgen an der Küste. Im Landesinnern ist die Welt ein wenig anders. Hier gibt's zwar auch keine wirklich Integration, aber zumindest Annäherung. Unverzichtbar ist dafür allerdings, dass man Spanisch lernt, erzählt Martina, die seit mehr als zwölf Jahren auf einer Finca in der Inselmitte lebt:

    "Damit kommt man dahin, was man schon mal als die erste Stufe von Integration bezeichnen könnte, das ist so was wie auf dem Markt anständig einkaufen gehen, wenigstens einen kleinen Schnack übers Wetter zu halten, auf die Behörde zu gehen und das Minimum, was man so braucht zum Leben hier, für sein Haus, für seine Wohnung, seinen Müll, alles, was man so organisieren muss, seine Post – dass man da nötiges Castellano, Spanisch, Hochspanisch spricht."

    Aber selbst dafür haben dir Immigranten aus Deutschland wieder Leute, die das für sie erledigen. Gestorias nennt man die Agenturen, die Behördengänge übernehmen. Und in den Gestorias spricht mindestens einer Deutsch. Noch nicht mal in der Schule müssen sich die deutschen Ausländerkinder unbedingt mit den Einheimischen verbünden. In den staatlichen Schulen wird fast nur noch die Inselsprache Mallorquin gesprochen, deshalb sind die meisten Kinder der Deutschen in einer der zwölf Privatschulen untergebracht – wie der 12-jährige Noah, dessen Eltern aus Heidelberg eingewandert sind. Seine Schule ist sogar fast mallorquinerfreie Zone:

    "Also, es gibt auch ein paar Mallorquiner bei uns auf der Schule. Aber die meisten sind Spanier. Und dann gibt's halt ein paar Engländer und ein paar Deutsche."

    So kommt es, dass das deutsche Ausländerkind Noah nur selten Kontakt zu einheimischen Kindern sucht. Spanische oder mallorquinische Freunde hat er schon gar nicht:

    "Ein paar Deutsche und ein paar Engländer eigentlich. Ich bin eigentlich nicht mit so vielen Spaniern befreundet. Warum nicht?
    Weil ... weil … komisch. Weil die dann spanisch sprechen immer,
    und ich nicht so gut spanisch sprechen kann."

    Und das, obwohl Noah sogar auf Mallorca geboren ist. Die Mallorquiner sehen diese Entwicklung zusehends kritischer. Die politische Linke regiert gemeinsam mit mallorquinischen Nationalisten – und so kommt es, dass in vielen öffentlichen Bereichen keine Ausländer mehr arbeiten können, weil dort die mallorquinische Sprache zur Pflicht wurde. Viele denken so wie Isabelle, die Angst hat, vor lauter Deutschen und Engländern bald ihre eigene Insel nicht wiederzuerkennen. Wenn schon Ausländer auf Mallorca leben, sagte sie, dann möchte sie zumindest an ihnen verdienen:

    "Es gibt viel zu viele. Und so viele ohne Qualitäten. Die kommen schon ohne Geld – das kann nicht sein. Die können oft noch nicht mal das bezahlen, was sie hier auf der Insel zum Leben brauchen."

    Viele der deutschen Ausländer sprechen auch nach Jahren auf Mallorca nur wenige Brocken spanisch, die allerwenigsten mallorquinisch. Ausnahme sind die Deutschen, die auf der Insel arbeiten müssen. Die müssen sich mit ihren einheimischen Kollegen absprechen können. Aber wer hier als deutscher Gastarbeiter tätig ist, sagt Steffi aus Ulm, der hat gar keine Zeit für Integration:

    "Wir haben eigentlich gar nie konkret über das Thema Integration oder Nicht-Integration nachgedacht. Wir sind hier als Familie und haben überhaupt nicht so große Kapazitäten, jetzt ein mordssoziales Leben zu führen. Wir sind im Arbeitsleben, wir arbeiten viel mit Mallorquinern, aber eben auch mit anderen Nationalitäten. Ich weiß gar nicht, wo dann die Integration stattfinden soll."

    Integration zwischen den deutschen Ausländern und den mallorquinischen Gastgebern funktioniert meist nur im ganz engen zwischenmenschlichen Bereich. Und selbst da stoßen Gastgeber und Gastarbeiter oft an die Grenzen, berichtet Martina aus Hamburg:

    "Die wirklich tiefe Integration findet statt, gerade wenn man wie ich mit einem Mallorquiner befreundet ist, also zusammen ist, als Paar, wenn man dann wirklich Mallorquin spricht. Also in die Familie wird man dann wirklich aufgenommen. Aber letztendlich, obwohl jeder Castellan sprechen kann; auf einem Fest, wenn du als einziger extranjero, Fremder, da ankommst, dann bemühen sie sich ab und zu und sprechen Hochspanisch. Aber es driftet dann immer wieder um in ihr Mallorquin. Und dann kann ich mal gerade so zuhören und so grundsätzlich wissen, worum es geht. Aber ich bin dann in der Abendgesellschaft natürlich nicht richtig integriert, wie man das unter Freunden in Deutschland wäre."

    Am schlimmsten geht's den Deutschen auf Mallorca, die es versäumt haben in all den Jahren, sich zu integrieren – und die dann im Alter auf Hilfe angewiesen sind. Für sie gibt's dann oft nur einen Ausweg: den Heimweg zurück nach Deutschland. Wer das nicht mehr alleine organisieren kann und keine mallorquinischen Freunde hat, kann sich oft nur noch an gemeinnützige Vereine wie den deutschen Sozial- und Kulturverein wenden. Dort trifft er auf José Antionio Rodriguez.

    "Vielen habe ich geholfen zurück. Meistens waren sie schon alt, und ich habe viele gebracht in Altersheim. Über das Sozialwerk haben wir mit dem deutschen Konsulat zusammengearbeitet. Ich habe ihnen eine Residenz gesucht und dann die Leute weggebracht. Weil hier in Spanien konnten sie nicht leben."

    José Antonio Rodriguez arbeitet ehrenamtlich für den Verein. Er ist mit einer Deutschen verheiratet und weiß genau, wie es ist, zu einer Minderheit in einem fremden Land zu gehören. 20 Jahre lang lebte er in Deutschland, seit mehr als zehn auf Mallorca. Auch dort gilt er nur als Gast, der schwer in die mallorquinische Gesellschaft zu integrieren ist. José Antonio Rodriguez ist Festland-Spanier.