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"Man kann hier überhaupt nicht von Sieger sprechen"

Walther Stützle, freier Publizist und ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium, ist der Auffassung, dass beim Kaukasus-Konflikt Georgien als Verlierer herausgeht. Er glaube nicht, dass Georgien die Herrschaft über Südossetien zurückerhalten werde. Verlierer sei aber auch die Europäische Union, weil im Vorfeld das Prinzip der gemeinsamen Sicherheit völlig in Vergessenheit geraten sei.

Walther Stützle im Gespräch mit Dirk-Oliver Heckmann | 13.08.2008
    Heckmann: Der französische Staatspräsident Nicolas Sarkozy, er war in den vergangenen Tagen als amtierender EU-Ratspräsident in heikler Mission unterwegs, vermittelte zwischen Moskau und Tiflis. Er erreichte es tatsächlich, dass sich beide Seiten auf einen Waffenstillstand geeinigt haben. Allerdings hat Sarkozy in beiden Hauptstädten wohl offene Türen eingerannt. Die georgische Führung hat schnell erkannt, dass sie militärisch hoffnungslos unterlegen war, und Moskau hat sein Ziel erreicht. Russland hat seinen Einfluss auf die abtrünnigen georgischen Regionen Süd-Ossetien und Abchasien gefestigt.

    "Krisentreffen der EU-Außenminister", so war das Treffen in Brüssel am Vormittag von den Nachrichtenagenturen überschrieben worden. Allerdings ist der Druck auf die EU durch die erzielte Waffenruhe etwas genommen worden. Doch dass das Problem in der Region mit dem aktuellen Verhandlungsergebnis noch lange nicht gelöst ist, das war den Teilnehmern des Treffens klar. Die EU ist gefragt.

    Am Telefon begrüße ich Walther Stützle, freier Publizist und ehemaliger Staatssekretär im Verteidigungsministerium. Schönen guten Tag, Herr Stützle.

    Stützle: Guten Tag, Herr Heckmann.

    Heckmann: Moskau und Tiflis haben den Friedensplan der EU-Ratspräsidentschaft akzeptiert. Ein diplomatischer Erfolg für den französischen Präsidenten, oder letztlich nur Bestätigung dafür, dass der Konflikt militärisch längst entschieden war?

    Stützle: Ich glaube, der Besuch hat sehr deutlich gemacht, dass der Konflikt längst entschieden war und dass Sarkozy möglicherweise einen gravierenden Fehler gemacht hat. Es war ja lange verabredet, dass die deutsche Bundeskanzlerin am kommenden Wochenende in Russland sein würde. Er wäre, glaube ich, gut beraten gewesen, er hätte diesen Besuch der Bundeskanzlerin abgewartet, hätte den Ertrag dieses Besuches genommen, um dann in seiner Eigenschaft als EU-Präsidentschaft daraus ein europäisches Unionsangebot zu formulieren - sowohl an Russland wie auch an Georgien. Aber offensichtlich war dem französischen Staatspräsidenten der schnelle Auftritt wieder einmal wichtiger als die Substanz.

    Heckmann: Inwiefern schwerwiegender Fehler?

    Stützle: Weil der russische Präsident wie auch der russische Ministerpräsident beide ihm klar gemacht haben, dass das, was er vorschlägt, von den Russen schon selbst entschieden ist. Das heißt er hat in Wahrheit nichts erreicht, sondern man hat ihm in Moskau klar gemacht, dass russische Sicherheitsinteressen in der konkreten Situation, über die wir jetzt reden, in Moskau entschieden werden und nicht von einem angeblichen Vermittler der Europäischen Union, der noch nicht einmal ein ausgearbeitetes Mandat der Europäischen Union hatte.

    Heckmann: Das heißt, die Europäische Union, die zeigt sich eigentlich komplett hilflos?

    Stützle: Die Europäische Union wie die Nordatlantische Allianz haben sich in dieser Situation beide als wenig konstruktiv und als wenig aktiv erwiesen, und das ist angesichts der Konfliktlage ein sehr bedauerlicher Vorgang. Bei der Europäischen Union haben wir erneut mindestens eine Spaltung zwischen einem von Polen angeführten Lager der vehementen öffentlichen Kritik an Russland ohne Rücksichtnahme auf die russischen Interessen, die es ja nun wirklich auch gibt, und auf der anderen Seite ein Lager, angeführt von der Bundesrepublik und zum Teil unterstützt durch Frankreich - und Großbritanniens Position kennt man nicht; da vernimmt man eigentlich nur ein Schweigen -, das auf Diplomatie setzt und auf die Vermittlung setzt und wo man sich offensichtlich bewusst ist, dass es in den vergangenen Jahren eine Reihe gravierender sicherheitspolitischer Entwicklungen gegeben hat, wo die russischen Sicherheitsinteressen auf das Gröblichste einseitig verletzt worden sind.

    Ich erinnere an die einseitige Anerkennung des Kosovo. Ich erinnere daran, dass im Unterschied zu Russland, der Ukraine und Weißrussland die NATO-Staaten bisher nicht den Vertrag über die Begrenzung konventioneller Truppen und Rüstung ratifiziert haben. Ich erinnere an die amerikanischen Pläne, in Polen und der Tschechischen Republik ein Raketenabwehrsystem aufzustellen, und ich erinnere an die Zusage der NATO vom April, Georgien und die Ukraine in die NATO aufzunehmen. Eine klare, definitive Zusage. Und schließlich erinnere ich daran, dass auch im April Bush und sein russischer Kollege eine Erklärung über strategische Partnerschaft vereinbart haben, in der man Offenheit und Vorhersehbarkeit vereinbart hat und zugesagt hat. An nichts davon hat man sich gehalten.

    Heckmann: Herr Stützle, Sie kritisieren die Passivität der Europäischen Union. Jetzt will man aktiver werden. Jetzt ist die Rede davon, dass man möglicherweise auch eine Friedenstruppe in die Region entsenden möchte. Wäre das aus Ihrer Sicht eine gute Idee?

    Stützle: Ich wundere mich über diesen Vorschlag, denn es hat sich ja bereits im Tschad, in Afrika gezeigt, dass die Europäische Union gar nicht über genügend so genannte Friedenstruppen verfügt. Ich kann bei dieser Gelegenheit vielleicht mal erwähnen, dass die Staaten der Europäischen Union insgesamt zwei Millionen Soldaten unter Waffen halten, von denen bestenfalls 300.000 für Auslandseinsätze einsetzbar sind. Wenn man sich vorstellt, dass das durch drei zu teilen ist, weil eine Phase ist die Vorbereitung, eine Phase ist der Einsatz und eine Phase ist die Nachbereitung, dann hat man bestenfalls 100.000 Soldaten verfügbar für Friedenseinsätze. Davon sind bereits 98.000 verplant und versprochen und im Einsatz. Also ein weiteres Kontingent hat schon für den Tschad nicht geklappt. Wie das in der sehr, sehr komplizierten Region im Kaukasus klappen soll mit einer Friedenstruppe, die ja sehr robust sein müsste und sehr, sehr gut ausgerüstet und ziemlich umfangreich sein müsste, ist mir nicht klar. Ich weiß nicht, wie Sarkozy auf diese Idee gekommen sein sollte, aber vielleicht erklärt er das der Öffentlichkeit ja noch.

    Heckmann: Wer ist der Sieger dieser ganzen Auseinandersetzung der letzten Tage gewesen? Ist das so eindeutig Russland, wie es den Anschein hat?

    Stützle: Nein. Ich glaube, man kann hier überhaupt nicht von einem Sieger sprechen. Ich glaube, Verlierer sind wir alle, weil eines der Kernprinzipien der Europäischen Sicherheit, das während der Zeit des Ost-West-Konfliktes gegolten hat und auch während der Zeit danach, seit 1990 gegolten hat und von allen vernünftigen Politikern beherzigt worden ist, dieses Prinzip der gemeinsamen Sicherheit völlig in Vergessenheit geraten ist. Und ganz gewiss gehört Georgien zu den Verlierern, denn ich glaube nicht, dass Georgien die Herrschaft über Südossetien wird zurückgewinnen können. Ich glaube, dass dieser Parforceritt von Saakaschwili ihm letzten Endes Südossetien kosten wird.

    Heckmann: Herr Stützle, Sie haben gerade eben einige Punkte genannt, in denen die Sicherheitsinteressen Russlands vom Westen nicht gerade respektiert worden sind. Auf der anderen Seite ist es ja so, dass Moskau jetzt doch mit äußerster Härte zurückgeschlagen hat auf die Truppenbewegungen und den Einsatz der Truppen Georgiens. Der Außenminister Großbritanniens Miliband hat jetzt gesagt, dass die Partnerschaft zwischen der EU und Russland in Frage stehe. Ist es nicht so, dass in der Tat jetzt mit Moskau Klartext geredet werden müsste?

    Stützle: An den russischen Fehlern gibt es überhaupt nichts abzustreichen. Natürlich war es völkerrechtswidrig, dass Russland russische Pässe ausgegeben hat an Bewohner von Südossetien. Natürlich hat Russland die so genannten Friedenstruppen in der Region benutzt, um russische Interessen zu verfolgen. Natürlich hat Russland versucht, Südossetien, aber auch Abchasien gegen Georgien auszuspielen. Daran ist überhaupt nichts zu verniedlichen.

    Aber das ändert nichts daran, dass der Konflikt selber in einem größeren euro-atlantischen und europäischen Rahmen gesehen werden muss und, wenn überhaupt nur diplomatisch und politisch gelöst werden kann und nicht mit militärischen Mitteln. Hier ist nun ganz eindeutig - jedenfalls so weit wir bisher das feststellen können - zu sagen, dass der Präsident von Georgien Saakaschwili offensichtlich die Nerven verloren hat und zu militärischen Mitteln gegriffen hat - und das gegen Russland, wobei er hätte wissen müssen, dass das für ihn so nicht ausgehen kann.

    Die NATO hat eine interessante Erklärung herausgegeben. Man hat gesagt, Russland habe mit unverhältnismäßigen Mitteln reagiert. Dem würde ich sofort zustimmen. Interessant ist, dass die NATO nicht gesagt hat, dass Russland sich völkerrechtswidrig verhalten habe.

    Heckmann: Der Publizist und ehemalige Staatssekretär im Verteidigungsministerium Walther Stützle war das hier im Gespräch im Deutschlandfunk. Danke Ihnen für das Gespräch!

    Stützle: Ich danke Ihnen, Herr Heckmann!