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"Man muss auch einen Film nicht mit Schrecklichkeiten überhäufen"

Andreas Dresen war zuletzt mit seinem Seniorenliebesfilm "Wolke 9" im Kino. Nun legt er mit "Halt auf freier Strecke" nach und hat den Hauptpreis der wichtigsten Nebenreihe Un Certain Regard beim Filmfest Cannes gewonnen.

Andreas Dresen im Gespräch mit Sigrid Fischer | 15.11.2011
    Sigrid Fischer: Wenn ich gefragt werde, wie ist denn der neue Film von Andreas Dresen - weiß ich ehrlich gesagt nicht genau, was ich antworten soll: toller Film, unbedingt ansehen - wäre fast etwas unverantwortlich, denn man weiß nicht, ob das jeder aushält. Das heißt Sie haben schon riskiert, dass sich die Zuschauerzahlen für Halt auf freier Strecke reduzieren, einfach weil Sie dem Publikum so viel zumuten

    Andreas Dresen: Das kann sein. Das will ich auch nicht ausschließen. Aber deswegen kann ich es trotzdem nicht anders machen. Ich kann nicht spekulativ heran gehen. Ich möchte natürlich die Zuschauer erreichen, ganz klar, aber ich kann in diesem Fall leider keine Brücken bauen, ich kann den Film nicht milder machen, ich musste ihn so machen. Wir haben ihn so milde wie möglich gemacht. Aber wir wollten eben auch nicht lügen. Die Geschichte, die wir erzählen, ist eine harte Geschichte, sie handelt vom Abschied nehmen, und sie handelt von Schicksal. Und diesen Dingen setzen wir uns nicht so gerne aus. Man weiß nicht, warum so eine Krankheit kommt. Manche kriegen das, manche jenes. Das ist einfach Schicksal. Und jetzt stemmt sich diese Familie dagegen, wie wir das alle versuchen würden, und verliert zuletzt. Aber sie tun es mit einer Würde und gehen durch die größte Düsternis, dass ich finde, am Ende, wenn man den Film überstanden hat, kommt man mit einer anderen Haltung fürs Leben wieder raus. Ich hab auch beim Drehen schon oft gesagt, für mich ist das kein Film, das ist eine Reise. Das ist irgendwie was anderes. Ich glaube aber, Schmerz an sich heranlassen ist nicht per se was Schlechtes. Sondern das kann auch was sehr Befreiendes haben und man tritt danach ja wieder ans Licht und der Film endet ja auch mit einer Zuwendung ans Leben. Es geht eben weiter. Die Tochter sagt: ich muss zum Training. Und der wunderbare Gisbert zu Knyphausen singt: Das Leben lebt, es ist ein wunderschöner Sommertag. Und so ist es. Es ist nicht immer schön, aber wenn man sich den Dingen stellt, dann kann man der Sache auch gute Seiten abgewinnen.

    Fischer: Als nicht betroffener Zuschauer hat man nicht das Gefühl, dass Sie einem irgendetwas ersparen, Gab es dennoch Grenzen die sie nicht überschreiten wollten

    Dresen: Ja, es gibt vieles, was wir erspart haben. Es ist ja ein gegeneinander Abwäge, dass man sagt: wir wollen ehrlich sein, wir wollen aber auch nicht voyeuristisch sein, und wir wollen auch keinen quälen. Das ist ja ein schmaler Grad, auf dem man lang geht und jeder Zuschauer definiert den Grad etwas anders. Für den einen ist es schon zu viel, für den anderen ist es vielleicht nicht ehrlich genug. Das ist ein schwieriges Abwägen gegeneinander. Wir haben versucht einen Weg zu finden, die Wucht des Vorgangs zu zeigen und ehrlich zu zeigen, aber wir wollten nicht mit aller Gewalt auf alles drauf halten. Das ist nicht nötig, man muss auch einen Film nicht mit Schrecklichkeiten überhäufen. Für mich waren die Momente, die zärtlich sind, letztlich wichtiger und die überwiegen auch in der Geschichte

    Fischer: Für Betroffene ist Ihr Film vielleicht Hilfe, Therapie in gewisser Weise. Zumal Sie ja auch gut recherchiert haben, Wie viel haben Sie dennoch nach Gefühl gedreht?

    Dresen: Ein Rest Gefühl bleibt natürlich immer, das was die Schauspieler in den Situationen machen und was sie ausfüllen. Aber am Anfang stand tatsächlich eine ausführliche Recherche. Wenn man antritt und sagt. Wir wollen einen Film machen, der sich auf genaue und ehrliche Weise mit so einem Thema beschäftigt, muss man da sehr tief einsteigen. Wir haben ein halbes Jahr mit sehr vielen Leuten gesprochen: mit Palliativmedizinern, mit Neurochirurgen, und - das war das wichtigste - mit Menschen ,die vor kurzem ihre Angehörigen verloren haben, oder auch vor längerer Zeit, aber die bereit waren, uns ihre Geschichte zu erzählen, und ganz viele Situationen im Film sind aus dem Leben, die uns Menschen erzählt haben. Wir hatten die Mediziner auch die ganze Zeit an unserer Seite, Die in dem Film spielenden Mediziner sind Originalleute, die haben ihre Arbeit gemacht, wie sie sie sonst auch machen. Da kreuzt sich Film und Leben und allein durch die Anwesenheit dieser Leute ist so viel Lebensatem da reingekommen, man kann, wenn man mit solchen Leuten arbeitet, nicht lügen, oder nur ganz schwer. Weil die sofort eingreifen.

    Fischer: Film und Leben kreuzen sich - Ihre Spielfilme haben ja oft halb dokumentarischen Charakter, aber in diesem Fall ist kaum noch ein Unterschied zu merken, so nah an der Realität bewegt sich Halt auf freier Strecke. Nur eben stehen da zum Teil Schauspieler vor der Kamera. Warum haben Sie sich dann überhaupt für die Spielfilmform entschieden

    Dresen: Ich glaube, dass es als Doku nicht realisierbar ist. Es gibt viel zu viele Szenen, wo man als Dokumentarfilmer - ich mach ja selbst auch Dokumentarfilme - wo ich nicht in der Realität dabei sein möchte. Wo es eine Distanz des Machers braucht. Ich würde mich als Dokumentarist - selbst wenn die Leute bereit dazu wären - in vielen Szenen viel zu diskret verhalten. Ich hätte das in der Realität nicht drehen können. Das geht nur mit einer spielerischen Verabredung und hier gibt es ja auch Szenen zwischen dem Paar, die nicht gerade freundlich sind. In so einer Situation, in die die beiden da geraten, sagt man sich auch unangenehme Dinge. Und der Kranke ist kein Heiliger. Und die pflegende Frau ist permanent überfordert. So isses nun mal, das haben uns alle, die so was erlebt haben, bestätigt. Man sagt selbst irgendwann: jetzt kann es endlich mal vorbei sein, ich kann nicht mehr. Das sind Sachen, die sind zwar so in der Realität, ich glaube aber, man kann sie im Dokumentarfilm so nicht abbilden. Deshalb ist der Spielfilm das adäquate Mittel

    Fischer: Andreas Dresen, Sie haben eben gesagt: das ist kein Film das ist eine Reise. Heißt das, die Entscheidung, diesen Film zu drehen, hat weniger künstlerische als vielleicht persönliche Gründe? Zu einem bestimmten Zeitpunkt in Ihrer Biografie? Vor 10 Jahren hätten Sie den Film vermutlich so nicht drehen können.

    Dresen: Das war schon viel eigener Schmerz. Ich habe ein sehr schweres letztes Jahr gehabt. Es war ein Grundton schon gesetzt von Trauer und Einsamkeit. Und dann kam dazu, dass mit wachsendem Alter diese Sachen an einen heran treten. In meinem Freundeskreis gab es ganz viele dieser Geschichten, es war Thema. Geburt und Tod, der Lebenszirkel, diesen existenziellen Fragen sollte sich Kino ja durchaus stellen. Und dann haben wir halt angefangen, Filme zu schauen. Es gibt schon ein paar recht gute Filme, aber den, den wir machen wollten, gab es definitiv nicht. Was das für eine Reise werden würde, wusste ich zu dem Zeitpunkt nicht, und zwischenzeitlich gab es Momente, wo ich aussteigen wollte. Es wurde zu hart. Man muss sich da ganz weit aufmachen, und wir mussten den Schmerz dieser Menschen an uns heran lassen, und das war für mich eine sehr, sehr heftige Erfahrung. Das wurde eigentlich erst besser und richtig leicht auch interessanterweise, als wir angefangen haben zu drehen. Wir konnten dann plötzlich damit umgehen. Das fand ich ganz interessant und deswegen, ich glaube, es gibt keinen Film, egal wie er jetzt geworden ist, wo ich so viel gelernt habe für mich. Ich bin erwachsener geworden, glaube ich. Das ist dann aber Leben, das hat mit Kino eigentlich nichts zu tun.

    Fischer: Wenn diese Dreharbeiten Ihnen selbst auch sehr viel gegeben haben , mussten Sie dennoch hinter das persönliche Erleben zurücktreten und an den Zuschauer denken, einen Selbstfindungstrip will auf der Leinwand keiner sehen , und es ist ja auch keiner. Welchen künstlerischen Wert hat der Film verglichen mit ihren anderen Filmen

    Dresen: Das wird man später mal sehen wie man sich das künstlerisch - ich kann‘s jetzt gerade gar nicht sagen. Und es war auch sekundär für mich. Natürlich stehen wir Permanent vor handwerklichen und künstlerischen Fragen. Wie man bestimmte Entscheidungen trifft, wie man das erzählt, so gut wie möglich erzählt, damit es eine Wirkung entfalten kann im Saal, klar. Aber eigentlich ist ein Zurücktreten hinter etwas, das viel größer ist, als man selbst. Und in dieser Geschichte gibt es so viele Momente, die haben so eine archaische Wucht, dass man sich da eigentlich nur mit Demut verhalten kann als Regisseur. In der Schlussszene, wenn Frank stirbt auch, wir haben da ganz viel gedreht, aber war dann interessant dass die Entscheidung, da nur eine Totale zu nehmen, für diesen entscheidenden Moment, auf den alles zusteuert, in dem Moment tritt die Kamera zurück und macht nichts mehr. Wir sind ganz diskret und weg. Und geben dem Vorgang selbst den Raum. Das war dann auch die richtige Entscheidung, fand ich.

    Fischer: Sie zeigen in all Ihren Filmen viel Empathie für Ihre Figuren, Sie urteilen beziehungsweise verurteilen nicht, Sie sind ein großer Menschenfreund. Muss man die Menschen lieben um Filme zu drehen.

    Dresen: Für mich ist das eine Grundvoraussetzung für den Beruf, den Menschen - ob sie nun im Dokumentarfilm vorkommen oder den Figuren - mit Respekt entgegen zu treten. Zu gucken, wie sie in ihren Widersprüchen agieren. Das interessiert mich auch bei Menschen. Ich verhalte mich ja selbst widersprüchlich, und bin nicht immer gleich. Manchmal geht man abends ins Bett und denkt: was für ein Idiot war ich heute, hättest Du das nicht anders machen können? Das kommt ja häufig vor, so geht es vielen Menschen. Wir sind eben sehr ambivalente Wesen auf dieser Welt. Aber grundsätzlich mag ich Menschen und das widerspiegelt sich dann wahrscheinlich auch in den Geschichten.