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"Man muss beides gleichzeitig vorantreiben"

Sven Giegold, der für Bündnis 90/Die Grünen im Wirtschafts- und Währungsausschuss des EU-Parlaments sitzt, kritisiert die ablehnende Haltung der Bundesregierung zu Eurobonds. Es gehe nicht an, "so zu tun, als müssten sich die Länder erst mal sanieren, und danach reden wir über Eurobonds, denn das Gegenteil ist der Fall".

Sven Giegold im Gespräch mit Jasper Barenberg | 24.11.2011
    Silvia Engels: Und wir bleiben beim Thema Schuldenkrise. In den letzten Tagen ist der Druck auf die Bundesregierung gewachsen, Eurobonds einzuführen. Statt jeden Euro-Staat allein die Aufnahme und Rückzahlung von Schulden organisieren zu lassen, soll das zusammen und nur zu einem Zinssatz geschehen. Das würde Spekulationen auf einzelne Länder zurückdrängen, könnte aber für Deutschland teuer werden. Es profitiert eigentlich derzeit von den niedrigen Schuldzinsen am Kapitalmarkt. Mittlerweile ist der Zinssatz aber so niedrig, dass die Rendite für Anleger kaum noch lohnt. Der Bund hatte gestern beispielsweise Schwierigkeiten, Käufer für Staatsanleihen zu finden. Ein Drittel wurde nicht veräußert. Auch ein Zeichen dafür, dass Deutschland seine Position als sicherer Hafen für Anleger verliert?

    Gestern Abend sprach mein Kollege Jasper Barenberg darüber mit Sven Giegold, für Bündnis 90/Die Grünen sitzt er im Wirtschafts- und Währungsausschuss des Europäischen Parlaments. Die Frage an ihn: Wie bewertet er die schwierige Platzierung?

    Sven Giegold: Ehrlich gesagt, ein wenig anders als die meisten anderen. Ich habe auch mit Marktteilnehmern darüber gesprochen und die angebotenen Zinsen waren natürlich historisch niedrig. 1,98 Prozent für zehnjährige Anleihen bedeutet ja, dass man von den Anlegern erwartete, auf Geld zu verzichten, denn das liegt ja unter der Inflationsrate, die wir derzeit haben, und darauf waren Anleger offensichtlich nicht ausreichend bereit. Das zeigt auch, dass die niedrigen Zinssätze, die derzeit kalkuliert werden auf der Basis von derivaten Finanzgeschäften, dass die offensichtlich auch spekulativ getrieben sind, und mit ganz so wenig wollen die Anleger offensichtlich auch bei deutschen Staatsanleihen sich nicht zufrieden geben.

    Jasper Barenberg: Manche andere haben das ja als eine Art Warnschuss gedeutet, auch als ein Misstrauensvotum nun auch gegen Deutschland, nachdem ja beispielsweise in letzter Zeit Frankreich und Österreich ins Visier der Spekulanten geraten sind. Sie deuten das aber nicht als Warnschuss?

    Giegold: Na ja, man kann auf jeden Fall letztlich nicht in die Hirne der Anleger blicken. Aber klar ist, die angebotenen Zinsen – ich sage es noch mal: 1,98 Prozent - das ist weniger, als was man früher für Tagesgeld erwartet hat. Und der Punkt ist einfach klar, dass unter diesen Bedingungen selbst mit der hohen Sicherheit, die deutsche Staatsanleihen nach wie vor haben, offensichtlich Anleger sagen, dafür geben wir das Geld nicht. Und der Mut der Schuldenagentur, der deutschen Schuldenagentur, die Anleihen für so wenig anzubieten, lag ja daran, dass auf den berechneten Zinssätzen, die sie praktisch bekommen anhand der entsprechenden derivativen, also abgeleiteten Finanzprodukte, dass diese Zinssätze eben tatsächlich so niedrig waren die ganzen letzten Wochen über, und offensichtlich sind dort mehr Spekulanten am Werke als Akteure, die wirklich für zehn Jahre Geld anlegen wollen.

    Barenberg: EU-Kommissionspräsident Barroso, er hat sein Projekt der Eurobonds weitergetrieben. Er hat verschiedene Varianten vorgestellt. Hat er auf diesem Weg Ihre Unterstützung?

    Giegold: Ja. Ich muss ganz klar sagen, erst einmal hat er drei verschiedene Optionen angeboten, und dabei hat er ja ein attraktives Angebot gemacht. Er hat zwei Vorschläge gleichzeitig gemacht. Er hat im Grunde gesagt, auch gerade an die Adresse von Ländern wie Deutschland, Niederlande, Finnland, wir wollen stärkere Kontrolle der EU-Kommission über die Länder, die in wirtschaftlichen Problemen stecken. Und auf der anderen Seite hat er gesagt, ich möchte, dass alle Länder in der Eurozone in Zukunft zu niedrigen Zinsen ihre Staatsanleihen begeben können und dadurch eine Chance haben, die eingeforderte Stabilität überhaupt zu erreichen. Und Frau Merkel hat sich leider verhalten wie eine Braut, die sich nicht traut, dieses Angebot, was attraktiv ist, gerade für uns in Deutschland, dieses Angebot anzunehmen.

    Barenberg: Wo liegt eigentlich der Unterschied in den Positionen, denn Angela Merkel, die Kanzlerin, hat ja ein weiteres Mal auch gesagt, dass eine solche Debatte über gemeinsame Anleihen sinnvollerweise am Ende eines Prozesses steht, der vorher für mehr Stabilität, für mehr Haushaltsdisziplin sorgt? Nichts anderes sagen Sie jetzt.

    Giegold: Ja. In dem Punkt besteht auch kein Unterschied. Wenn wir Eurobonds einführen, dann muss es gleichzeitig auch die Möglichkeit geben, auf die jeweiligen Haushalte der Mitgliedsländer Einfluss zu nehmen. Ansonsten wäre das ja praktisch ein Blankoscheck. Man kann sich weiter verschulden, aber dann, wenn es zum Fall des Ausfalls der Zahlung kommt, müsste Deutschland haften und auch andere Länder. Das kann ja nicht richtig sein. Aber was eben nicht geht, ist so zu tun, als müssten sich die Länder erst mal sanieren, und danach reden wir über Eurobonds, denn das Gegenteil ist der Fall. Die Länder können sich überhaupt nicht sanieren, wenn sie sieben Prozent, wie jetzt Spanien und Italien, für zehnjährige Staatsanleihen zahlen müssen. Das bedeutet, jedes Jahr mit jedem Monat nimmt die Zinslast zu, weil ja immer mehr alte Schulden, die niedrig verzinst sind, umgeschuldet werden müssen. Unter diesen Bedingungen hat das Land, haben die Länder keine Chance. Und deshalb ist Frau Merkels Reihenfolge einfach falsch, sondern man muss beides gleichzeitig vorantreiben.

    Barenberg: Wie lange könnte das dauern, die Einführung solcher gemeinsamer Anleihen? Immerhin ist bei zwei der drei Varianten auch eine Vertragsänderung nötig.

    Giegold: Ja, das ist richtig, wobei immer wieder klar ist – und das sagt Herr Barroso mit der Studie ja eben auch -, dass faktisch wir Eurobonds ja schon haben, nämlich in Form der Anleihen des EFSF, also des Rettungsschirms, und außerdem gibt es noch mal 67 Milliarden Euro Eurobonds über die Europäische Investitionsbank, 440 Milliarden beim Rettungsschirm, macht also schon mal über 500 Milliarden, zu denen wir als Deutsche schon Ja gesagt haben. Nur nützen die derzeit Italien und Spanien nichts, denn sobald sie sich an den Rettungsschirm wenden, begänne ja eine wochenlange und monatelange Debatte zwischen den nationalen Parlamenten, und deshalb ist das Absurde, dass das Nein zu den Eurobonds seit jetzt ja im Grunde zwei Jahren von der Bundesregierung immer mehr dazu treibt, dass letztlich die Europäische Zentralbank gezwungen wird, den entsprechenden Ländern immer mehr zu helfen. Das bedeutet, das Nein zu den Eurobonds ist letztlich ein regelrechter Druck auf die Europäische Zentralbank, ihre Glaubwürdigkeit immer weiter zu untergraben. Das ist ein wahrer Pyrrhussieg gerade für Frau Merkel und alle, die an der Stabilität der Europäischen Zentralbank Interesse haben.

    Engels: Der Grünen-Europaabgeordnete Sven Giegold im Gespräch mit meinem Kollegen Jasper Barenberg.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.