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"Man muss eine Vertrauenskultur herstellen"

Laut Karl-Rudolf Korte sind rot-rot-grüne Koalitionen bislang nie an inhaltlichen, sondern an persönlichen Problemen gescheitert. In NRW gebe es nach der Absage der FDP jedoch keine Alternative für SPD und Grüne, eine Regierung zu bilden.

Karl-Rudolf Korte im Gespräch mit Jasper Barenberg | 20.05.2010
    Jasper Barenberg: Den Sozialdemokraten an Rhein und Ruhr muss es vorkommen wie die Wahl zwischen Pest und Cholera. Nach dem zumindest gefühlten Wahlsieg und der Absage der FDP bleibt der SPD in Düsseldorf nur das umstrittene Bündnis mit der Linkspartei, soll Spitzenkandidatin Hannelore Kraft tatsächlich zur Ministerpräsidentin vereidigt werden. Auch für die Grünen führt nur dieser Weg zu einer Beteiligung an der nächsten Regierung. Dabei sind die Vorbehalte gerade gegen die Linke im größten Bundesland zahlreich und auch die bundespolitischen Folgen kaum zu überblicken. In einer knappen Stunde wollen SPD und Grüne die Chancen für eine Zusammenarbeit mit der Linken sondieren. Darüber sprechen wollen wir jetzt auch mit dem Politikwissenschaftler Karl-Rudolf Korte von der Universität Duisburg. Einen schönen guten Tag!

    Karl-Rudolf Korte: Guten Tag!

    Barenberg: Von einer Schnupperrunde hat unsere Landeskorrespondentin gerade gesprochen, und doch soll es keine Alibiveranstaltung sein. Man fragt sich: Setzt überhaupt eine der drei beteiligten Parteien auf einen Erfolg dieser ersten Sondierungsrunde?

    Korte: Ja, das habe ich schon den Eindruck. Es bleiben ja nicht sehr viele Alternativen und wer wenig Alternativen hat, muss heute nicht nur Pokerface zeigen, sondern vielleicht eine Basis legen, aus der dann eine Vertrauenskultur erwachsen kann.

    Barenberg: Woraus könnte so eine Basis bestehen?

    Korte: Zunächst mal in einem vereinbarten Konzept eines Zeitplanes. Das ist in der Politik immer wichtig, vom Ende her zu denken, wann man wie fertig sein will, und dann sich auch strategisch darauf zu verständigen, will man jetzt eine Lernkoalition sein und nur nach Gemeinsamkeiten suchen, also ein traditionelles Muster – von Schnittstellen wurde ja auch schon gesprochen -, oder eine, die vielleicht von einer Kultur der Differenz ausgeht, eher angemessen bei Fünf-Parteien-Systemen, die nach Mehrheiten suchen, also Unterschiede belassen und auch Unterschiede in Ressorts dann entsprechend vereinbaren, ohne sie am Ende zu Entscheidungskonflikten hochzufahren. Das ist sehr schwer, aber es ist natürlich ein origineller Ausweg, wie man mit Koalitionen unterschiedlicher Partner umgehen kann.

    Barenberg: Würden Sie also zu dieser Vorgehensweise raten?

    Korte: Es wäre auf jeden Fall den Versuch wert in einem Fünf-Parteien-Parlament, bei dem es nicht immer wieder um Neuwahlen gehen kann, sondern die Bürger so wählen, wie sie wählen, offenbar auch gezielt als Koalitionswähler unterwegs waren, und jetzt die Parlamentarier den Auftrag haben, daraus etwas zu machen und den Auftrag nicht einfach zurückgeben sollen. Ich sehe hier Möglichkeiten, gemeinsame Probleme, die anstehen, durch eine veränderte Perspektive vielleicht origineller anzugehen als in einer Traditionskoalition, bei der man die Lösung vielleicht eher findet, aber am Ende das Problem nicht insgesamt gelöst ist.

    Barenberg: An Widerständen gibt es einiges aus dem Weg zu räumen, unter anderem den Tenor der SPD im Wahlkampf, der Die Linke immer als nicht regierungs- und koalitionsfähig bezeichnet hat. Welche Glaubwürdigkeitsfalle droht da den Sozialdemokraten?

    Korte: Keine richtig große in dem Sinne, dass wir es mit Hessen vergleichen können. Es wird keine Regierung durch Wortbruch zustande kommen. Jeder hat taktisch geschickt, fast schon in einer souveränen Unschärfe Koalitionsaussagen getätigt, sodass niemand beim Wortbruch erwischt wird. Es wird eben genau jetzt überprüft von der SPD, ob diese Partei koalitionsfähig ist, ob sie regierungsfähig ist. Darum drehen sich ja letztlich die Gespräche. Wenn das der SPD so erscheint, ist sie nicht beim Wortbruch, sondern verhält sich so, wie sie es vorher gegenüber dem Wähler auch angekündigt hat. Dass das mit Zerwürfnissen, mit Identitätsproblemen zusammenhängt, ist doch klar, zumal die SPD ja 400.000 Stimmen weniger hat als noch 2005, also hier natürlich ein gefühlter Sieger ist, aber nicht wirklich groß und stark geworden ist.

    Barenberg: Es gibt in der SPD Widerstände gegen ein solches Bündnis. Natürlich: Es gibt sie auch bei den Grünen. Für wie gravierend, für wie hoch halten Sie diese Widerstände?

    Korte: Die Widerstände halte ich für sehr gravierend, auch sehr hoch, weil ich Vergleiche anstellen kann mit vier Landtagswahlen im vergangenen Jahr. In vier Fällen gab es immer eine rot-rot-grüne Mehrheit, nie kam es zu dieser Koalition. Dies ist nicht an inhaltlichen Punkten gescheitert, sondern fast immer an sehr persönlichen Problemen, und das ist auch nicht zu unterschätzen. Man muss eine Vertrauenskultur herstellen, bei der man sicher sein kann, dem anderen Integrität zu unterstellen, Verhandlungsgemeinschaften bilden zu können, Verschwiegenheit zu vereinbaren, also alles das, was den Alltag der Politik auch kennzeichnet. Wenn man dieses Gefühl nicht hat von dem Partner, der mit am Tisch sitzt, wird man keine Koalition für fünf Jahre eingehen, und wenn man konkret die Verhandlungen der letzten Jahre sich dazu ansieht, sind die Koalitionen alle an diesem entscheidenden Punkt gescheitert. Das ist hier nicht ausgeräumt, weil sich die Akteure nicht kennen. Da nutzt es auch nichts, dass von der Bundespolitik jeweils versierte Akteure wie Maurer für die Linken oder Beck für die Grünen dabei sitzen.

    Barenberg: Sie plädieren ja für eine geradezu pragmatische nüchterne Vorgehensweise auf allen Seiten. Muss es dazu in der SPD jetzt so etwas wie einen Mentalitätswandel auch geben, neu mit dem alten Problem umzugehen, das es mit der Linkspartei zweifellos gibt?

    Korte: Ja. Das ist genau die Identitätsfrage, die sich die SPD selbst stellt, und nicht im Blick auf Wandlungen zu den Linken hin, sondern was sie selbst will: mit eigener Attraktivität ausstrahlen. Dann werden sich andere auch danach richten. Wer jetzt guckt, wie man auf die Linke zugehen kann, wird niemals eine Mehrheit auf einem Landesparteitag am Ende dieses Prozesses hinter sich bekommen. Insofern muss die SPD diese Frage für sich selbst klären, wie will sie programmatisch und inhaltlich weiter verfahren, und vor allen Dingen die Schlüsselstellung für diese Koalition wird ja darin bestehen, einen Sparhaushalt, der den Namen auch verdient, zu verabschieden. Wie macht man einen sozial verträglichen Sparhaushalt in dieser Dreierkonstellation? – Da sollte jeder die eigene Farbe gegenüber der Partei auch zum Leuchten bringen. Das wird das Problem sein.

    Barenberg: Trauen Sie denn auf der anderen Seite der Linkspartei zu, sich von der einen oder anderen Forderung zu verabschieden und auch einen pragmatischen Kurs einzuschlagen, von der einen oder anderen Forderung, die viele als irrational oder utopisch ansehen?

    Korte: Ja, sehe ich so. Wir leben ja in Zeiten eines Gewissheitsschwundes. Täglich, stündlich purzeln große Gewissheiten bei allen Parteien und auch bei wichtigen Positionen, in der Europapolitik zum Beispiel. Warum soll das in diesem Fall nicht passieren? – Ich kann mir auch sehr gut vorstellen, dass gerade über personelle Angebote Brücken gebaut werden. Was würde dagegen sprechen zu sagen, wir haben mit Herrn Maurer oder mit Herrn Ramelow vonseiten der Linken doch ministeriable Akteure, die zwar kein Mandat jetzt im Landtag haben, aber die man als Minister anbieten könnte und insofern Personen ins Spiel bringt, mit denen die anderen auch zusammenarbeiten können. Da sind viele pragmatische Zwischenschritte möglich, wenn die Beteiligten es wollen, und immer vom Ende her gedacht: Landesparteitage oder Mitgliederentscheide müssen darüber am Ende befinden. Da nutzt nicht irgendwie etwas, Nebenabsprachen informeller Art; das muss ganz öffentlich am Ende sein und da muss die Hand gehoben werden, um mehrheitsfähig zu bleiben.

    Barenberg: Die Einschätzung des Politikwissenschaftlers Karl-Rudolf Korte. Danke schön für dieses Gespräch.

    Korte: Bitte schön!