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"Man stellt insgesamt das Konstrukt, den Staat Bosnien-Herzegowina infrage"

In Bosnien-Herzegowina streiten Serben, Kroaten und Bosnier über die Ausrichtung ihrer Museen. Da nicht alle Volksgruppen dieselbe Definition von Kultur haben, gebe es kein Ministerium auf gesamtstaatlicher Ebene, das Kultureinrichtungen finanziere, sagt Sabina Wölkner, Leiterin der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo.

Sabina Wölkner im Gespräch mit Stefan Koldehoff | 10.01.2012
    Stefan Koldehoff: Bei einer Schlagzeile wie dieser sind die Redakteure bei "Kultur heute" natürlich alle sofort noch hellwacher als ohnehin schon: "Bosnien-Herzegowina: Kulturinstitute müssen schließen", hieß es in Nachrichtenagenturen und verschiedenen Medien. Und dann war die Rede davon, dass beispielsweise das 125 Jahre alte Nationalmuseum und die Nationalbibliothek die Pforten geschlossen haben. Grund ist offiziell, wie so oft, das liebe Geld, aber offenbar nicht nur. Und deshalb meine Frage an Sabina Wölkner, die das Büro der Konrad-Adenauer-Stiftung in Sarajevo leitet: Worum geht es tatsächlich?

    Sabina Wölkner: Es geht um mehrere kulturelle Einrichtungen von nationaler Bedeutung, die eben vor dieser Situation, vor dem Aus stehen, und in der Tat: Sie haben einige davon genannt, unter anderem das Historische Museum, das Nationalmuseum, aber auch die Universitätsbibliothek und weitere, die von dieser Schließung betroffen sind, oder in Kürze betroffen sein werden. Hintergrund ist, dass das Geld fehlt, und zwar sind die Museen nicht mehr in der Lage, die minimalen Kosten abzudecken und auch die Gehälter ihrer Mitarbeiter zu zahlen, die ohnehin sehr niedrig waren.

    Koldehoff: Das heißt, das ist keine zentral gefällte Entscheidung, wir machen das jetzt alles dicht, sondern das haben diese Institute jeweils autonom entschieden?

    Wölkner: Das ist ein Höhepunkt der Krise, die sich schon seit Jahren abzeichnet, und einfach durch die fehlende Bildung des Ministerrates Bosnien-Herzegowinas, was eine Art Regierung auf gesamtstaatlicher Ebene ist, die allerdings sehr schwach ist. Das ist der Höhepunkt dieser Krise und hat sich durch den fehlenden Kompromiss in dieser Frage der Regierungsbildung und damit auch dem fehlenden Kompromiss eines Budgets natürlich zugespitzt.

    Koldehoff: Dann müssen wir jetzt doch vom Kulturellen ein bisschen ins Politische kommen und noch mal in Erinnerung rufen: 1995 endete der Krieg, dann gab es zwei halbautonome Gebiete. Es gibt aber auch eine Zentralregierung. Gibt es denn da so was wie eine zentrale kulturelle Verantwortlichkeit?

    Wölkner: Ja in der Tat: Es gibt keine zentrale Zuständigkeit für Kultur. Das ist auch der Hauptstreitpunkt, der ungeklärte Rechtsstand oder die Rechtsfrage, was die kulturellen Einrichtungen angeht auch mit nationaler Bedeutung. Es gibt kein Ministerium für Kultur auf gesamtstaatlicher Ebene.

    Koldehoff: Und nun müsste aber ja eigentlich auch den halbautonomen Gebieten klar sein, dass sie da ein großes Kapital haben, mit dem sie spielen, ein kulturelles Kapital, das beispielsweise für Wirtschaft, für Tourismus von hoher Bedeutung ist. Nimmt man in Kauf, dass das alles sozusagen den Bach runter geht, wenn man jetzt schließt?

    Wölkner: Das setzt voraus, dass alle Beteiligten, alle Volksgruppen dieselbe Definition von Kultur, vor allem von der Kultur Bosnien und Herzegowinas haben, und das haben sie in der Tat nicht. Deswegen gibt es keine Einigung in der Frage, ob ein Ministerium auf gesamtstaatlicher Ebene gegründet werden soll oder nicht. Nach der Unterzeichnung des Friedensabkommens, des Daytoner Friedensabkommens, erhielt Bosnien-Herzegowina sechs Monate, um den Status dieser Institutionen mit nationaler Bedeutung zu klären, aber die Situation ist bis heute ungelöst. In den vergangenen Jahren hat die Grundkosten des Museums das Ministerium für zivile Angelegenheiten geleistet. Aufgrund der fehlenden Einigung über das Budget im letzten Jahr fielen auch diese Kostendeckungen weg, sodass das Museum jetzt vor der Entscheidung steht, die Tore für Besucher zu schließen. Die bosnischen Serben vertreten eher die Ansicht, kulturelle Fragen sollen auf Identitätsebene geregelt werden, aber für uns ist Kultur eben nicht das, was uns Bosniaken und Kroaten als nationales Erbe vortragen, sondern für uns ist das in erster Linie die Geschichte und die Kultur der bosnischen Serben.

    Koldehoff: Und den anderen spricht man damit ab, überhaupt Kultur hervorgebracht zu haben?

    Wölkner: Man stellt insgesamt das Konstrukt, den Staat Bosnien-Herzegowina infrage. Wenn sie einen Gang durch das Nationalmuseum machen, dann werden sie feststellen, dass dort sowohl über die Ansiedlung der Slawen in dieser Region gesprochen und berichtet wird als auch darüber, wie in dem Mittelalter erste Versuche der Staatlichkeit vorgenommen wurden, und hier fängt schon der Streit an. Teile der bosnisch-serbischen Eliten, der politischen Eliten, stellen überhaupt in Zweifel, dass Bosnien-Herzegowina in dieser Zeit als Staat existierte. Dies wird vor allem deswegen auch genutzt, um damit ihre Begründung zu legitimieren, dass etwa die Republika Srpska nun als Staat die einzige Existenzgrundlage hat für die bosnischen Serben.

    Koldehoff: Sabina Wölkner war das, die Leiterin des Sarajevo-Büros der Konrad-Adenauer-Stiftung.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.