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"Man zahlt nie in eine Konkursmasse ein"

"Das Tempo, mit dem die Griechen Reformen einführen, ist erschütternd langsam", kritisiert Professor Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim. Dennoch glaubt er, dass weiter Geld fließt. Der Grund: Die Pose des Retters sei für einen Politiker etwas sehr Begehrenswertes.

Hans-Peter Burghof im Gespräch mit Silvia Engels | 10.05.2012
    Silvia Engels: Kommen wir noch mal zur wirtschaftspolitischen Agenda zurück. Die neu eröffnete Debatte um den Umgang mit der Schuldenkrise in Europa schwingt also derzeit immer mit, wenn im politischen Berlin diskutiert wird. Befeuert wird die Diskussion nicht nur durch die Wahl des Sozialisten Hollande ins französische Präsidentenamt, sondern vor allen Dingen durch den Wahlausgang in Griechenland. Dort verhindert der Streit über den Sparkurs die Regierungsbildung. Neuwahlen werden immer wahrscheinlicher.

    - Und über die Zuspitzung in Griechenland im Kontext der gesamten europäischen Schuldenkrise wollen wir sprechen mit Hans-Peter Burghof. Er ist Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen der Universität Hohenheim. Guten Tag, Professor Burghof.

    Hans-Peter Burghof: Guten Tag!

    Engels: Steigen wir ein mit Griechenland. Dort werden ja Neuwahlen immer wahrscheinlicher, wir haben es gerade gehört. Mitte Juni könnte es sie geben, aber Ende Juni braucht das Land schon wieder neue Hilfsmilliarden. Könnte es zeitlich und technisch überhaupt klappen, das alles noch rechtzeitig zu prüfen und tatsächlich umzusetzen?

    Burghof: Eigentlich funktioniert das nicht mehr. Das Problem ist nur, dass wir in Europa, dass die europäischen Partner in dieser Stelle immer wieder weich werden. Das heißt, eigentlich hat man eine Konditionalität zwischen dem, was politisch in Griechenland passiert, und dem, was Europa bereit ist, da zu investieren. Nur wenn es darauf ankommt, haben wir diese Konditionalität nie eingehalten, sondern wir haben dann immer gesagt okay, jetzt müssen wir retten – diese Pose des Retters ist ja für einen Politiker was sehr Begehrenswertes -, und weil wir retten müssen, geben wir das Geld eben doch, obwohl eigentlich die Bedingungen dafür nicht erfüllt sind. Also, das wäre nichts Neues, wenn wir das Geld geben, obwohl wir es eigentlich nicht dürften.

    Engels: Wäre es denn noch irgendwie vernünftig und verantwortbar, hier tatsächlich noch Geld Ende Juni zu geben, nur für den Fall, überhaupt vorausgesetzt, es käme eine sparkursfreundlichere Regierung dann ins Amt. Oder sollte man jetzt einen Schlussstrich ziehen und sagen, es wird alles nichts mehr, Griechenland muss in die Pleite gehen?

    Burghof: Vernünftig und verantwortbar sind weitere Hilfen von außen für Griechenland eigentlich schon seit fast zwei Jahren nicht mehr. Das muss man ganz klar sagen. Das ist alles verlorenes Geld, was letztendlich auch dazu führt, dass Griechenland selbst die Reformen und die Veränderungen, die notwendig sind, gar nicht vornimmt. Das heißt, eigentlich schadet man auch den Griechen – nicht den wenigen Eliten, die sich hier bereichern können, aber dem normalen Griechen, der ja eigentlich auch ein Leben führen möchte, wo dann irgendwo mal eine Sicherheit und eine Perspektive drin ist. Also, das ist schon lange vorbei. Die Frage ist halt nur, wie wir den Schaden irgendwie gering halten. Und man kann halt nur als Betrachter dann hoffen, dass das irgendwann einmal doch zu einer Reißleine führt, dass man sagt, wir können das Geld nicht mehr zahlen. In gewisser Weise bestechen wir ja im Moment die Griechen dafür, dass sie im Euro drin bleiben. Das heißt, wir geben ihnen Hilfen, damit die den Euro weiter attraktiv finden. Das ist keine Politik. Der Euro muss ein gemeinschaftliches Interesse sein, so eine Währung muss ein Gemeinschaftsinteresse sein, und wenn dieses Interesse nicht mehr da ist, dann bricht das halt an der Stelle auseinander.

    Engels: Nun gibt es ja gerade in diesen Tagen auch aktuelle Finanztranchen, die ausbezahlt werden, wo wirklich Geld fließt im Moment in Richtung Griechenland. Das sind Gelder, die noch vor Wochen auch genehmigt worden sind, das sei also eigentlich alles in Ordnung, heißt es da bislang noch von den zuständigen Stellen. Aber wäre es angesichts dessen, was Sie schildern, nicht richtig, sich den Forderungen mancher Politiker anzuschließen, das sofort zu stoppen?

    Burghof: Eigentlich ja. Also, ich bin ja nun Bankprofessor und für die große Staatspolitik überhaupt nicht zuständig. Ich kann nur die Beispiele aus dem normalen Wirtschaftsbereich nennen. Und da ist es vollkommen klar: Man zahlt nie in eine Konkursmasse ein. Warum sollte man das tun? Das ist weggeworfenes Geld, es setzt falsche Anreize, es setzt falsche Strukturen, es verstetigt falsche Strukturen, das ist etwas ganz Schädliches. Wenn denn eine solche Situation da ist, dann muss man sich ihr stellen und man darf sie nicht aufschieben und mit immer neuem guten Geld, das man dem schlechten hinterherwirft, das Problem immer weiter in die Zukunft schieben.

    Engels: Sie sind Bankenprofessor, Sie haben es angesprochen. Jetzt hören wir aber immer weiter auch Politiker, die offenbar in den jüngsten Wahlen in Griechenland auch so eine Art Anlass nehmen, um nun das zu verkünden, was ohnehin unvermeidbar geworden zu sein scheint, nämlich den Staatsbankrott.

    Burghof: In gewisser Weise hatten wir den ja schon. Das kann man jetzt beschönigen, wie man will, aber wenn ein Staat 75 Prozent seiner Schulden nicht mehr zahlt – zirka um den Betrag ging es ja -, dann ist der bankrott. Anders kann man das nicht nennen. Es ist halt die Frage, ob wir hier wirklich noch die zweite Runde im Staatsbankrott kriegen. Und da sehe ich wenig Perspektiven, dass wir darum herumkommen.

    Engels: Zweite Runde Staatsbankrott ist ein Stichwort. Es ist ja auch der Vorwurf im Raum, dass es nun für den Steuerzahler viel teurer werden würde, wenn jetzt Griechenland noch einmal endgültig Pleite geht, als wenn man das schon vor zwei Jahren, als die Krise ihren ersten Höhepunkt erreichte, gemacht hätte – einfach deshalb, weil viele Risiken, die mal bei Banken und Hedgefonds lagen, nun auf die Staaten übergegangen sind. Ist das was dran?

    Burghof: Da ist eine ganze Menge dran. Das ist eigentlich der Punkt dabei. Ich will es mal ganz böse sagen: Wenn wir beide uns eine Promille der Lernkosten unserer Politiker teilen würden, würden wir beide aufhören zu arbeiten. Tun müssten wir dann nichts mehr, denn das ist sehr teuer gewesen, diese zwei Jahre, in denen wir im Grunde genommen immer neues Geld in dieses doch relativ kleine Land reingepumpt haben, unverhältnismäßig viel Geld, weil wir im Grunde genommen versucht haben, ein Gleichgewicht aufrecht zu halten, ein gutes Gleichgewicht aufrecht zu halten, das überhaupt nicht existierte, das gar nicht mehr da war. Griechenland macht ja immer noch ein Primärdefizit, das heißt, es gibt mehr Geld aus, als es einnimmt. Und zwar vor Zins und Tilgung. Das heißt, das System ist per se nicht stabil und das Tempo, mit dem die Griechen Reformen einführen, ist erschütternd langsam, und das, obwohl ja eigentlich alles brennt. Aber die Griechen gehen davon aus, das Geld kommt weiter. Die Bürger Griechenlands begreifen ja die Schulden gar nicht als ihre eigenen Schulden, sondern die tun ja so, als wären das irgendjemand anderes Schulden. Das ist genau das Problem. Mit diesen Hilfen erzeugen wir eine solche Gesinnung, die sagt, wir sind für gar nichts verantwortlich, irgendwie sind immer nur die anderen verantwortlich. Und man schafft natürlich auch Pfründe, man schafft Privilegien. Und da wollen die Leute in Griechenland natürlich nicht von runter.

    Engels: Sie haben gerade ein Stichwort genannt: Es geht alles sehr langsam. Gerade in der Regierungserklärung von Angela Merkel, um mal von Griechenland etwas wegzugehen, haben wir zum einen gehört, sie will weiter Strukturreformen, die notwendig seien für ganz Europa, hat da auch zu Geduld gemahnt, wenn es darum gehe, den Sparkurs in Europa einzuhalten, dass diese ganzen Maßnahmen auch zu den Reformen erst mal wirken müssten. Haben wir noch diese Zeit, wenn wir uns die Wahlergebnisse ansehen, denn so etwas dauert doch Jahre, oder?

    Burghof: Ja, bis die Reformen wirken, das dauert Jahre. Das Gute allerdings an den Kapitalmärkten ist, dass die Kapitalmärkte eben auch diese Zukunft bewerten. Und das heißt, wenn jemand einen glaubwürdigen Reformkurs tatsächlich fährt, dann wird es ihm auch in absehbarer Zeit – und jetzt rede ich nicht von Jahren, sondern von Monaten – gelingen, die Kapitalmärkte davon zu überzeugen. Das Problem ist die Glaubwürdigkeit. Die Frage ist halt, ob in einem System, wo im Grunde der am meisten profitiert, der sich am asozialsten verhält in dieser europäischen Gemeinschaft, der also am meisten Schulden macht, der am meisten konsumiert, ob in so einem System eine Sparpolitik glaubwürdig durchgehalten werden kann. Und das ist ja der Test, den wir jetzt mit Frankreich machen.

    Engels: Hans-Peter Burghof, Professor für Bankwirtschaft und Finanzdienstleistungen an der Universität Hohenheim. Vielen Dank für das Gespräch.

    Burghof: Bitte schön. Schönen Tag.

    Engels: Ihnen auch.

    Äußerungen unserer Gesprächspartner geben deren eigene Auffassungen wieder. Deutschlandradio macht sich Äußerungen seiner Gesprächspartner in Interviews und Diskussionen nicht zu eigen.

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