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Mangelnde Unterstützung von den NATO-Partnern

Der UNO-Sicherheitsrat hat den syrischen Militärangriff auf die Türkei scharf verurteilt, dennoch fühlt sich die Regierung in Ankara vom Westen allein gelassen. Nun hat das türkische Parlament den generellen Auslandseinsatz der Armee erlaubt und reagiert damit auf die zunehmende Gewalt im Grenzgebiet.

Von Gunnar Köhne | 05.10.2012
    Knapp 93.000 syrische Kriegsflüchtlinge hat EU-Beitrittskandidat und NATO-Mitglied Türkei inzwischen aufgenommen. Und es werden von Tag zu Tag mehr. Doch hat mal jemand aus Brüssel angerufen und gefragt, ob man dabei behilflich sein könne, diese Menschen zu versorgen, beklagte kürzlich ein türkischer Diplomat gegenüber ausländischen Journalisten. Seine Antwort: nein.

    Kein Wort der Anerkennung für die großen Anstrengungen der Türkei, statt dessen werde an der griechischen Grenze ein tiefer Graben gezogen, damit die Flüchtlinge nur nicht weiter nach Westen gelangen können. Es war die Parlamentarische Versammlung des Europarates in Straßburg, die am vergangenen Mittwoch die europäischen Staaten dazu aufforderte, mehr Solidarität mit den Nachbarländern Syriens zu zeigen. Der Beschuss einer türkischen Ortschaft durch die syrische Armee wurde in Brüssel, Berlin und Paris zwar verurteilt, doch auf den Strassen Istanbuls fühlt man sich allein gelassen:

    "Wenn das einem anderen Staat passiert wäre, hätten die EU und die NATO schon längst eingegriffen. Bis jetzt ist aber nichts geschehen. Obwohl wir ein NATO-Mitglied sind, unterstützt uns niemand." - "Die ganze internationale Gemeinschaft sollte darauf reagieren. Aber der UN-Sicherheitsrat schweigt und erklärt das zu einer türkischen Angelegenheit."

    Dennoch: Die Mehrheit der Türken ist genauso wie die Opposition gegen eine militärische Intervention ihres Landes. Zwar hat die Regierung seit der gestrigen Entscheidung des türkischen Parlaments, das Mandat, notfalls mit der Armee in Syrien einzumarschieren. Dass Ankara davon auch Gebrauch machen würde, ist derzeit aber unwahrscheinlich. Auch die oft geforderte militärisch geschützte Pufferzone jenseits der Grenze müsste die Türkei ohne NATO und USA einrichten – jedenfalls bis zur US-Präsidentenwahl im November, glaubt der Istanbuler Publizist Mehmet Ali Birand. Syriens Armee habe darum – seiner Meinung nach - auch nicht aus Versehen den türkischen Ort Akcakale beschossen:

    "Für Assad wäre es von Vorteil, die Türkei in eine wenn auch kleine kriegerische Auseinandersetzung hineinzuziehen. Die Unterstützung Russlands und Chinas würde vermutlich noch größer, zwischen der Türkei und ihren westlichen Verbündeten gäbe es eine Krise und auch die anderen arabischen Länder würden sich - selbst wenn sie Assad-Gegner sind – bei einem massiven militärischen Vorgehen der Türkei gegen uns stellen."

    Auch ökonomisch verliert die Türkei durch den anhaltenden Konflikt in und neuerdings mit Syrien. Zwar sind die Einbussen nicht so massiv, wie während des Irak-Krieges vor zehn Jahren, als viele Touristen aus Furcht ihre Türkeireisen stornierten. Aber vor allem den Südosten des Landes hat der Zusammenbruch des grenznahen Handels mit Syrien hart getroffen.

    Hinzu kommt, dass der Konflikt in Syrien zunehmend die Türkei infiziert. Wie in Syrien auch stehen sich hier Kurden, Aleviten und Sunniten zum Teil feindselig gegenüber. Darum würde Tayyip Erdogan den Abgang Assads gerne beschleunigen; auch - so vermuten seine Kritiker, - um seinen eigenen Einfluss im Nahen Osten zu steigern. Doch einen Krieg würde wohl auch er nicht eingehen wollen – der großen Überlegenheit der türkischen Armee zum Trotz. Darum bemühte sich der stellvertretende Ministerpräsident Besir Atalay gestern Abend die Gemüter im In- und Ausland zu beruhigen:

    "Es bleibt unser Ziel, alle Fragen im Zusammenhang mit Syrien im Rahmen internationaler Bemühungen zu lösen. Darum sind die Erklärungen unserer Verbündeten, vor allem der NATO für uns wichtig. Die Ermächtigung des Parlaments sollte nicht als Kriegsermächtigung verstanden werden."

    Zahlreiche Einwohner grenznaher Ortschaften haben ihre Sachen gepackt. Nun fliehen auch Türken vor der Gewalt in Syrien. Trotz markiger Solidaritätserklärungen: Die Türkei fühlt sich mit diesem Konflikt und seinen Folgen allein gelassen. Vom Westen, und das heißt: auch von den Europäern.