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Manheim im Rheinland
Wie sich Tagebau und Flüchtlingsnöte verbinden

Das Dorf Manheim bei Kerpen ist dem Tagebau zum Opfer gefallen - schon vor Jahren hat die Umsiedlung der Einwohner in ein neues Dorf begonnen. Die leer stehenden Häuser Manheims können jetzt allerdings zumindest kurzfristig noch anderen Menschen Obdach geben, die ebenfalls ihre Heimat verloren haben: Flüchtlingen.

Von Leila Knüppel | 24.08.2015
    Das Kind einer Flüchtlingsfamilie in Kerpen-Manheim (Nordrhein-Westfalen) vor der Gemeindeverwaltung, die die Umsiedlung der Bewohner im Braunkohletagebau organisiert
    Das Kind einer Flüchtlingsfamilie in Kerpen-Manheim (Nordrhein-Westfalen) vor der Gemeindeverwaltung, die die Umsiedlung der Bewohner im Braunkohletagebau organisiert (dpa/picture alliance/Oliver Berg)
    Wolfgang Eßer geht über den Schulhof. Die Eingänge des Gebäudes sind mit schweren Ketten versperrt:
    "Das ist leider auch so ein Begleitumstand der Umsiedlung, dass die Schule schon seit fünf Jahren zu ist."
    Auch sonst liegt das Kerpen-Manheim verlassen da. Die Rollläden vieler Häuser sind zugezogen. Hier wohnt niemand mehr. Die Kneipe, der Bäcker haben schon lange dicht gemacht. Das Dorf im rheinischen Braunkohlerevier stirbt. Mehr als die Hälfte der ehemals 1600 Bewohner Manheims sind schon weg. 2022 werden hier die Bagger anrollen.
    Eßer ist einer der Manheimer, die noch nicht rübergezogen sind ins rund sechs Kilometer entfernte Ersatzdorf. Mit dem Hausbau soll es dort drüben aber demnächst losgehen, meint er:
    "Für mich ist das eine Herausforderung. Jetzt keine große Freude, aber auch keine Trauer. So ein bisschen zwiegespalten."
    Der pensionierte Bundeswehrsoldat zückt den Schlüssel für das verlassene Schulgebäude, grüßt zwei kleine Jungen, die auf dem Hof Fußball kicken:
    "Das sind zwei von fünf Jungs, die mit ihrer Mutter hier sind. Aus dem Kosovo."
    Neben den beiden Jungen sitzen ein paar Männer auf einer Bank. Sie gehören zu den etwa 70 Flüchtlingen, die nun in einige der verlassenen Häuser gezogen sind.
    Einer der kleinen Jungen übersetzt. Er kann schon etwas besser Deutsch:
    "Nicht mehr viele Leute da. Das ist traurig, dass die Leute hier weggehen müssen, denn es ist ein gutes Dorf."
    Zusammen einkaufen und Fußball spielen
    Die Stadt Kerpen hat acht bereits verlassene Häuser von RWE angemietet. Dass es im Dorf keine Einkaufsläden mehr gibt, der Bus nur noch stündlich fährt, sei kein Problem, sagt der Mann. Eßer berichtet, er habe einfach angefangen, den Menschen Möbel zu beschaffen. Im Dorf seien ja genug Menschen mit Umzügen beschäftigt.
    Eßer öffnet die Tür zur verlassenen Schule. Jetzt ist sie zum Lagerraum geworden - für all die Dinge, die die Flüchtlinge vom Balkan und aus Somalia brauchen könnten und die die Manheimer beim Umzug loswerden möchten:
    "Also die Bereitschaft ist schon da. Wenn man liest, dass diese Antiwelle da ist. Der Prozentsatz der Leute, die sich aktiv beteiligen und helfen möchten, ist deutlich höher."
    Eßer lädt die Neuankömmlinge in seinen Fußballverein ein. Andere, freiwillige Paten helfen bei Alltagsproblemen, nehmen die Flüchtlinge mit, wenn sie im Nachbardorf einkaufen. Denn ein Bus fährt in Manheim nur noch einmal pro Stunde. Dass die Flüchtlinge jetzt seine neuen Nachbarn sind, findet Eßer gut:
    "Abends gehen die noch mal spazieren, machen einen Dreh durch das Dorf, dadurch habe ich wieder Leben, ich habe eine Kontrolle."
    Im Gemeindezentrum, nur einige Häuserblocks entfernt, beugen sich Bodo Rehschuh und Annette Seiche über die Umsiedlungspläne der Gemeinde Manheim.
    Der Umsiedlungs- und die Integrationsbeauftragte der Stadt Kerpen kommen regelmäßig hier in den Ort, um mit den Bürgern zu sprechen. Seit die Flüchtlinge hier leben, ein bisschen häufiger. Bis August 2016 hat die Stadt die acht Häuser für die Flüchtlinge angemietet. Vorerst, erklärt Annette Seiche:
    "Für manche Quartiere kann der Mietvertrag sicher noch verlängert werden."
    "Im Grunde kann man schon sagen, dass so eine Win-win-Situation entsteht"
    Sanieren oder umbauen musste die Stadt nichts mehr. Ans Wasser- und Stromnetz sind die Häuser noch angeschlossen. Denn: RWE vermietet die leer stehenden Häuser nicht nur an die Stadt; sondern auch auf dem regulären Mietmarkt; zu günstigen Preisen, dafür mit verkürzten Kündigungsfristen. Bodo Rehschuh erläutert:
    "Im Grunde kann man schon sagen, dass so eine Win-win-Situation entsteht. Aber ich glaube, der treibende Gedanke war: Wo können wir Familien bestmöglich unterbringen. Wenn ich Zeitungen lese jeden Morgen, dann werden die Flüchtlingsströme zunehmen. Aber wir wissen auch, dass das Dorf Manheim nur noch für eine gewisse Zeit zur Verfügung stehen kann."
    Dann werden die Manheimer - genau wie die Flüchtlinge - ihre alte Heimat verlassen müssen. Das mehr als 1.000 Jahre alte Dorf wird für immer verschwinden. Sie glaube, es gebe da Seelenverwandschaften, meint Annette Seiche:
    "Dass sie die Heimat verlassen müssen. Das ist ein Kern, über den man sich oft unterhält."