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Manisch kreativ

Patienten, die an einer bipolaren Störung leiden, sind himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt. In Deutschland sollen rund zwei Millionen Menschen so zwischen den Extremen schwanken. In Berlin stellte eine Tagung eine positiven Aspekt in den Vordergrund: Bipolare Erkrankung und Kreativität.

Von Volkart Wildermuth | 08.09.2009
    Der Messias von Georg Friedrich Händel. Eine Auftragsarbeit, die fast nicht zustande gekommen wäre. Der Komponist fühlte sich antriebslos, zögerte, wollte nur schlafen. Als er sich doch an die Notenblätter setze, arbeitet er wie getrieben. Gut drei Wochen nur, dann war das Werk vollendet.

    "Gerade bei kreativen Menschen - Händel oder Schumann - sehen wir, die haben manchmal in kürzester Zeit Geniales geschaffen und hatten dann wieder Tiefphasen, wo überhaupt nichts wurde, ganz negative nihilistische und depressive Lebenseinstellungen."

    Prof. Peter Breunig vom Vivantes Humboldt Klinikum Berlin ist Spezialist für die Bipolare Erkrankung, kennt Menschen, die zwischen Depression und kreativem Rausch schwanken aus eigner Erfahrung. Romantisieren will Peter Breuning die Bipolare Störung aber auf keinen Fall. Seine Patienten sind vor allem krank. Die Manie verhilft nur wenigen zu künstlerischen Meisterwerken.

    "Ich glaube nicht, dass jemand durch eine bipolare Erkrankung zum Künstler oder zum Wissenschaftler oder zum Literaten werden kann, aber ich glaube, dass die Plusphase, die leichten Plusphasen dieser Erkrankung ihre eigenen Potenziale in einer Weise aktivieren können, wie uns das nicht oft gelingt."

    Für die Mehrzahl der Patienten ist die Manie aber ausgesprochen gefährlich, sie haben grenzenloses Selbstvertrauen, sprühen vor Ideen, vorsichtige Vernunft oder soziale Hemmungen greifen nicht.

    "In der Manie war es dann tatsächlich so, dass mir Ideen kamen für Projekte, die unter normalen Umständen einfach nicht realisierbar sind. Ich habe mich dann so rein gesteigert, habe versucht, das umzusetzen. Und bin dann letztendlich gescheitert und nach einer ungefähr zwei Monate andauernden Manie war nicht nur meine berufliche Selbstständigkeit beendet, sondern auch meine Beziehung zu meiner Partnerin ging in die Brüche."

    Erzählt Dietmar Geissler, der Patientenvertreter im Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Bipolare Störung. Mit 22 hatte er seine erste depressive Phase.

    "Die Abwesenheit von Leben, man ist nicht mehr in der Lage auch nur irgendetwas zu fühlen, das geht so weit, ich konnte über drei Monate lang mit keinem Menschen auch nur ein Wort wechseln. Die Wohnung zu verlassen, an das war überhaupt nicht zu denken, ein ständiges Angstgefühl und nur noch das hoffen, dass der Tag vorübergeht und das Bedürfnis dem Ganzen ein Ende zu bereiten."

    Bei ihm blieb es bei den Gedanken. 15 Prozent der Erkrankten begehen aber irgendwann Selbstmord. Oft ist Dietmar Geissler zwischen den Polen Depression und Manie gependelt. Erst nach 18 Jahren stellte ein Arzt die Diagnose Bipolare Störung. Diese lange Zeit der Unsicherheit ist leider der Normalfall. Gerade weil die Krankheit in widersprüchlichen Phasen verläuft, kann sie nur ein Arzt erkennen, der langjährigen Kontakt zu seinen Patienten hat. Deshalb ist es entscheidend, gerade Hausärzte über die vielen Gesichter der Bipolaren Störung aufzuklären. Ist sie erkannt, lässt sie sich mit Medikamenten und einer Psychotherapie häufig gut behandeln. Dietmar Geissler führt inzwischen ein fast normales Leben. Er vermisst den Rausch der Manie überhaupt nicht. Gerade bei den Kreativen unter den Bipolaren Patienten bleibt da aber ein Bedauern. Da ist viel Fingerspitzengefühl gefragt, meint Peter Breuning.

    "Ich glaube, dass es uns auch gelingt, von Fall zu Fall so zu handeln, dass die Patienten ihre Hochs durchaus auch ausleben können, aber das ist eben ein Balanceakt, die positiven Seiten des Hochs mitzunehmen und dann doch rechtzeitig die Bremse zu ziehen."

    Sonst entsteht Chaos und kein Meisterwerk wie Händels Messias.